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Der Kiez hat sich hübsch gemacht für das anstehende Fest am Wochenende. Die Veranstalter rechnen mit rund 350 000 Besuchern.

© Thilo Rückeis

25 Jahre lesbisch-schwules Stadtfest: Feiern im ältesten Homo-Viertel der Welt

Das lesbisch-schwule Motzstraßenfest in Berlin feiert seinen 25. Geburtstag - es entstand einst als Reaktion auf rechte Gewalt. Doch die queere Geschichte des Kiezes reicht noch weit länger zurück.

Wo heute naturtrüber Apfelsaft auf seine Käufer wartet, floss früher Champagner. Roland Müller-Flashar, Miteigentümer des Buchladens „Prinz Eisenherz“ von schräg gegenüber, betrachtet im Foyer des Bio-Supermarkts in der Motzstraße 24 die alten Fotos. Hier befand sich Anfang der Dreißigerjahre das legendäre „Eldorado“ – über zwei Etagen mit Empore, ein edler Kachelofen dominierte den Raum. SA-Chef Ernst Röhm verkehrte im „Eldorado“ samt hübscher Adjutanten, Marlene Dietrich soll hier die Berliner Chansonette Claire Waldoff geküsst haben.

Unsterblich wurde das Etablissement mit den freizügigen Travestieshows durch Christopher Isherwoods Romane, die wiederum dienten als Grundlage für das Musical „Cabaret“. Isherwood selbst wohnte um die Ecke, in der Nollendorfstraße 17. Der Ursprung des Viertels als Amüsiermeile liegt aber schon im Kaiserreich. „Insofern ist die Motzstraße wahrscheinlich das älteste Homosexuellenviertel der Welt“, sagt Müller-Flashar. Als das berühmte Castro in San Francisco Ende der Sechzigerjahre von Schwulen besiedelt wurde, lebten hier schon seit über einem halben Jahrhundert homosexuelle Menschen.

Früher war das Vergnügungsviertel viel größer

„Nicht nur Schwule übrigens, sondern auch Lesben!“ Vorm Krieg waren Männer und Frauen längst nicht so separiert, wie das später der Fall war. Heute ist das Motzstraßenviertel ein von schwulen Männern dominierter Kiez und ziemlich überschaubar, von der Martin-Luther-Straße bis zum Nollendorfplatz. „Aus alten Reiseführern aber wird ersichtlich, um wie viel größer das Vergnügungsviertel vor dem Krieg war. Es gab viele Bars entlang der Bülowstraße bis hin zum Kreuzberger Mehringdamm, wo sich neben dem jetzigen Finanzamt, damals eine Dragonerkaserne, der Soldatenstrich befand.“

Die letzten Orte der Prostitution sind heute in der Fuggerstraße, für einige Bewohner des Kiezes ein Dorn im Auge. Im vergangenen Herbst schloss sogar eine Bar mit Verweis auf die zunehmende Straßenkriminalität für immer ihre Pforten. Doch längst nicht alle im Kiez läuten die Alarmglocken. Müller-Flashar kann aus seiner Sicht eine Zunahme der Gewalt nicht bestätigen: „Im Umfeld von Prostitution gibt es auch immer Kriminalität und Drogen, aber auch Alteingesessene sagen mir, dass sie sich nicht unsicherer fühlen als früher.“

Nach dem Krieg verlagerte sich der Schwerpunkt der Barkultur hin zur Kleiststraße. Trotz des weiter bestehenden Paragrafen 175 fanden Lokale wie das schicke Kleist-Casino oder die rustikale Kleistquelle ihr Publikum, stets unter den Augen der Sittenpolizei, die häufig Razzien durchführte. Dann fanden Karrieren ein jähes Ende.

1977 zog Müller-Flashar nach Berlin. Da gab es noch ein paar Lesbenkneipen im Kiez, vor allem aber dominierte das Rotlicht. Die emanzipierten Schwulen der 70er und 80er Jahre hatten zum alten Homo-Kiez ein gespaltenes Verhältnis. Man traf sich lieber andernorts, im Kreuzberger Café Lila, im SchwuZ in der Kulmer Straße oder dem Anderen Ufer mit seinen großen Schaufenstern. Auf die alten Herren und ihre jungen Liebhaber sah man herab, die Motzstraßen-Szene galt als rückständig und kommerziell. Erst mit dem „Tom’s“ begann Anfang der 80er eine neue Barkultur nach amerikanischem Vorbild und mit dem danebenliegenden „Hafen“ zog die Generation der bewegten Schwulen endgültig in der Motzstraße ein. Kurz zuvor hatte das „Chez Romy Haag“ dem alternden Viertel schon mit einer anderen, selbstbewussten Form von Travestie neues Leben eingehaucht.

"Gemeinsam sicher leben": Das Motto des ersten Stadtfestes

Nach der Maueröffnung erlebte die Berliner Schwulenszene eine Welle rechts motivierter Gewalt, die 1991 mit dem Angriff auf das Gründerzeitmuseum der DDR-Tunte Charlotte von Mahlsdorf gipfelte. Im Verlauf des Jahres 1992 entstand als Antwort darauf die Idee eines jährlichen schwul-lesbischen Straßenfests, das eine neue Generation LGBT-bewegter Wirte unter der Federführung von Gerd Hoffmann organisierte. 1993 fand es zum ersten Mal unter dem Motto „Gemeinsam sicher leben“ statt.

Für Müller-Flashar ist das „Lesbisch-schwule Stadtfest“, wie es offiziell heißt, bis heute der Höhepunkt des Kiezjahres: „Diese Mischung aus Initiativen, Gruppen und Bars zeigt die Vielfalt der Szene und man muss dem Regenbogenfonds schon dafür dankbar sein. Es ist bei aller Kritik den Organisatoren zu verdanken, dass das Motzstraßenfest weit davon entfernt ist, zu einem Chinapfannenevent zu verkommen, im Gegenteil. Das Straßenfest ist ein toller Ort, wo man sich treffen und etwas entdecken kann, aber es ist auch ein Fest für Touristen und heterosexuelle Familien. Ein Ort der Sichtbarkeit, der die Vielfalt der Szene abbildet und erlebbar macht.“

Ferienwohnungen wohlhabender Schwuler entstehen

Heute fällt der Blick in der Motzstraße auf ein gutes Dutzend Fetischgeschäfte, auf Tagescafés und eine wachsende Zahl von Apotheken: Zeichen der Veränderung. Ferienwohnungen wohlhabender Schwuler aus ganz Europa entstehen überall in den umliegenden Häusern, dazu kommen Hotels und private Bettenvermieter. Der Tourismus nimmt spürbar zu, sagt Müller-Flashar. Doch der schwule Kiez altert auch mit seinen angestammten Bewohnern. Vielleicht wird mit ein paar Jahren Verspätung die Motzstraße dem Weg amerikanischer Schwulenviertel folgen, die gentrifiziert und vom Aussterben bedroht sind. „Kann gut sein“, sagt Müller-Flashar, „wenn da politisch nicht gegengesteuert wird.“

Mehr Informationen zu den Pride Weeks in Berlin finden Sie hier.

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