zum Hauptinhalt
Enge Kiste. CNN-Reporter Frederik Pleitgen schält sich aus seinem Trabant. Den ließ er für die Aktion des Senders und des Tagesspiegels mit Mauerfall-Motiven besprayen.

© Alice Epp

25 Jahre Mauerfall: Berlin, zum knattern gern!

CNN und der Tagesspiegel suchten gemeinsam die besten Bilder der Stadt – und haben viele tolle Geschichten von Einwohnern gefunden. Erzählt werden sie vom rasenden Trabi-Reporter.

Die Beine sind viel zu lang. CNN-Reporter Frederik Pleitgen, 1,97 Meter groß, zwängt sich in den Trabi 601S – die Sonderwunschversion des legendären DDR-Volksmobils mit Extras wie Radio oder beheizbarer Heckscheibe. Er zieht den Kopf ein, stöhnt: „Mal seh’n, ob ich ihn gleich ankriege.“ Choke ziehen, Zündschlüssel drehen. Der 26-PS-Zweitakter tuckert wie ein Traktor, dann rattert er los. Ruckelt, heult auf. Rasch Zwischengas geben. Die Kamerafrau auf dem Beifahrersitz hält sich fest. Ab geht’s Donnerstagmittag zum Drehtermin am Tempelhofer Feld.

Seit einer Woche steuert Frederik Pleitgen anlässlich des Mauerfall-Jubiläums für den internationalen Nachrichtensender Cable News Network (CNN) im Trabi besondere Orte der Hauptstadt an und kooperiert dabei mit dem Tagesspiegel: Es sind Plätze, an denen einst der „ DDR-Schutzwall“ stand, aber auch Lieblingsorte der heutigen Berliner und Berlin-Besucher.

Um die schönsten Berliner Ansichten und Plätze 25 Jahre nach der Wende zu finden, hatten CNN und Tagesspiegel Zuschauer und Leser zur Mithilfe aufgerufen. Was begeistert Sie am heutigen Berlin?, wollten wir wissen und baten um Fotos von ihren Lieblingsorten. Die Reaktion war überwältigend. Zahlreiche Berliner sowie CNN-Zuschauer vor allem aus den USA, die an die Spree zum Sightseeing kamen, outeten sich als Fans der Stadt. Sie schickten Bilder ein, beschrieben ihre Fotografien liebevoll. Die interessantesten Motive hat Frederik Pleitgen (38), Sohn des einstigen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen, für seine Trabi-Reportagen ausgewählt – und trifft sich nun am jeweiligen Ort mit den Einsendern zum Drehtermin.

Risse durch die Berliner Mauer

Seine Interviewpartner präsentieren ihren Favoriten. Und das Publikum des international verbreiteten US-Senders schaut weltweit zu. Motto: Berlin, wie hast du dir im vergangenen Vierteljahrhundert verändert! Auch der Trabant bekam für das Vorhaben ein neues Outfit. Pleitgen ließ ihn von Künstler Martin Raumberger besprayen. Grau zieht sich die Mauer an den Seiten entlang, aber es gibt Risse, grüne Zweige der Hoffnung wuchern hindurch – über die Karosserie.

Der Ukrainer Arthur J. Yatsenko am Tor zu seinem Favoriten, dem Tempelhofer Feld - den Trabi signierend.
Der Ukrainer Arthur J. Yatsenko am Tor zu seinem Favoriten, dem Tempelhofer Feld - den Trabi signierend.

© Alice Epp

Erster Trabihalt am Donnerstag: der Eingang zum Tempelhofer Feld am S-Bahnhof Tempelhof. Arthur J. Yatsenko aus Lviv in der Ukraine, 22 Jahre jung, wartet schon am Tor, zeigt auf die weite Fläche des früheren Flughafens, auf die Drachen am Novemberhimmel, die Skatertrupps auf der Rollbahn – und er gerät ins Schwärmen: „Ein perfekter Ort für ein schönes Wochenende. So etwas ist nur in einer freien Stadt wie Berlin möglich.“ Auf CNN hat der angehende Webdesigner von der Aktion erfahren und danach gleich seine Bilder vom Tempelhofer Feld eingeschickt.

In Berlin absolviert Arthur ein fünfmonatiges Berufspraktikum, drei Monate ist er schon da, fühlt sich in der Stadt „wie zu Hause“. Die Menschen hier seien offen, tolerant, sagt er ins CNN-Mikro. „Ich liebe Berlin. Und die Volksabstimmung zum Tempelhofer Feld, das war doch ein tolles Beispiel von Demokratie.“ Der junge Ukrainer hat vor lauter Begeisterung über die Stadt und auch andere deutsche Gegenden seine eigene Reise-Website eingerichtet – unter www.travels-in-germany.com.

"Vorne der Bär, dahinter die Spree - das ist mein Berlin"

Pleitgen interviewt unseren Leser Klaus Gaffron vor dessen Lieblingsmotiv - der Moabiter Bärenbrücke.
Pleitgen interviewt unseren Leser Klaus Gaffron vor dessen Lieblingsmotiv - der Moabiter Bärenbrücke.

© Alice Epp

Zweiter Stopp am Donnerstag: Die Moabiter Bärenbrücke über die Spree am Hansaviertel. Hier wartet schon Tagesspiegel-Leser Klaus Gaffron auf das CNN-Team. Blauer Auspuffdunst weht über die Bärenstatuen am Brückenkopf. Der Trabi ist da, Bremsen quietschen, Frederik Pleitgen schiebt sich aus dem Sitz. „Sorry“, sagt er nach dem lautstarken Halt. „Ich musste mal wieder voll auf die Bremsen treten.“

Die TV-Kamera surrt. „Warum, Herr Gaffron, haben Sie sich diese Brücke als Lieblingsort ausgesucht?“ Der weißhaarige 71-Jährige zögert keinen Moment. „Ich mag diese Szenerie, vorne der Bär, dahinter das Bundesinnenministerium und die Spree – ja, das ist mein Berlin!“ Der pensionierte Betriebswirt wohnt in Mitte und hat die Hauptstadt zu seinem Hobby gemacht. Er erkundet „spannende Berlin-Spaziergänge“, stellt diese mit Fotos und Text auf seine Homepage www.flanieren-in-berlin.de und erzählt dabei „jede Menge Wissenswertes drum herum“ – als Lektüre der Straße. Zum Beispiel, dass die Bärenbrücke seit 1820 als hölzerner Brückenschlag die erste Verbindung über den Fluss nach Moabit war.

Doch auch CNN-Reporter Frederik Pleitgen selbst kann Berliner Geschichten erzählen. Von 1977 bis 1982 war sein Vater West-Berliner Fernsehkorrespondent in Ost-Berlin. Die Familie wohnte im Osten an der Leipziger Straße. Deshalb wurde der kleine Frederik jeden Tag im Diplomatenbus über die Grenze zu seiner West-Kita in Kreuzberg kutschiert. Auch am vergangenen Mittwoch ist Pleitgen wieder zum Mauerstreifen gefahren und dem einstigen Grenzverlauf gefolgt: er im Trabi auf der Ostseite und ein Reporter-Kollege im Mercedes an der Westseite entlang. Auch diese Tour haben sie gefilmt. „Danach“, sagt Pleitgen, „war ich aber froh, wieder in mein modernes Privatauto zu steigen.“

Zur Startseite