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DDR

© DHM/Katalog

Ausstellung zu 1989: Hast du Träume?

Bilder des Widerstands, Bilder der Freiheit, Bilder der Einheit: Das Deutsche Historische Museum Berlin zeigt Fotos vom Umbruch 1989 – und Menschen, die Unmögliches wagen.

Das Dach ist durchgebogen, einige Ziegel sind abgerutscht. Regenrinnen lösen sich vom Giebel, hängen schon halb vor den Fenstern. Im Erdgeschoss weist die Werbeschrift einen Laden aus: „Schuhe für das Kind“ – das Geschäft aber ist mit Tüchern verhangen. So beginnt Deutschlands einzige friedliche Revolution.

Das Foto eines Altbaus in Altenburg zeigt den Verfall der DDR. Es zeigt in Schwarz-Weiß das Graue, das die meisten Menschen irgendwann nicht mehr ertragen konnten und das so gar nicht passte zu den leuchtenden Propagandabildern, die eine Partei zeichnen ließ, eine Partei, die immer recht hatte. Das Foto von Gerhard Gäbler wurde 1983 aufgenommen. Nun schmückt es eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums zur Zeitenwende 1989. Auf ein Neues bewegend sind die hier versammelten 235 Bilder, darunter viele berühmte Zeitdokumente und manch unbekannter Schnappschuss. Denn sie zeigen, dass die große Veränderung, die vor 20 Jahren die Welt erfasste, auch an einem morschen Dachgiebel in Altenburg hing.

Bilder des Widerstands, Bilder der Freiheit, Bilder der Einheit. Gesehen und verewigt in Leipzig, Dresden, im halben und dann im ganzen Berlin. Irgendwie glaubt man, sie alle schon gesehen zu haben, und doch entfalten sie eine neue Wucht. Die wirkt besonders in Berlin, wo der Alexanderplatz gerade wieder zum Schauplatz der Wende geworden ist – mit einer hervorragend sortierten Fotoschau, die unter freiem Himmel den Umbruch bis zu den im Untergrund verborgenen Wurzeln erlebbar macht. Diese haptische, weil subversive Qualität erreicht die staatstragender wirkende Sammlung im Deutschen Historischen Museum keineswegs, schon weil sie nicht mit der qualitativen Breite der 800 Bilder vom Alexanderplatz mithalten kann. Sie setzt lediglich Schwerpunkte – und Pointen.

Das Witzige des Umbruchs, die Ironie der Geschichte – auf manchen Fotos wird das erkennbar, wenn man nur genau hinsieht. Die Mittagspause zweier Werktätiger im Volkseigenen Betrieb, bei der die Bierflaschen schon auf dem Tisch stehen. Der junge Demonstrant in der ausgewaschenen Jeansjacke, der den zu Ketten aufgezogenen Volkspolizisten einen Vogel zeigt. Und der Mann, von dem nur das Wort Wende und ein falsches Lächeln haften geblieben sind: Egon Krenz. Er schlägt in der Volkskammer die Hände vors Gesicht, als der Führungsanspruch der SED aus der DDR-Verfassung gestrichen wird. Und die eine Partei plötzlich nicht mehr immer Recht hat.

All diese Bilder ließen sich leicht zu einer Heldensaga zusammenfassen, ja zu einer Geschichtssage, die im neuen Deutschland von Generation zu Generation weitergetragen werden könnte. Aber noch ist der Umbruch, der nicht bloß eine Wende war, keineswegs zur museumsreifen Historie geronnen. Denn die erlebten und durchlebten Geschichten, der große Freiheitsgewinn, der auch manch unerwartete Niederlage in sich barg, all das brennt noch frisch in den Augen und auf der Haut. An das Brennen zu erinnern, es nicht mit seichter Einheitstaumelerinnerungssalbe zuzuschmieren – mehr vermag eine Fotoausstellung über 1989 wohl noch nicht zu leisten. Woraus speiste sich das Feuer, das viele Menschen in sich und dann aus sich heraus trugen? Das lässt sich etwa in den Gesichtern jener Übersiedler sehen, die Stefan Moses feinsinnig porträtiert hat. Warum ist dieser Mut in manchen Gesichtern inzwischen erloschen? Das lässt sich nur erfahren, wenn sich die Menschen gegenseitig mehr erzählen vom Damals, das zum Heute geworden ist.

Bilder des Widerstands, Bilder der Freiheit, Bilder der Einheit. Sie zeigen Menschen, die träumen und Unmögliches wagen. Zuerst ziehen sie sich zurück in ihre Familien, in Nischen und Mittagspausen, aber irgendwann treten sie ins Offene. Die Kinder an der Hand, so schlüpfen sie durch Löcher eiserner Grenzzäune oder gleich raus auf die Straße. Und sie rufen: Demokratie – jetzt oder nie!

Der Stolz auf diese emanzipatorische Leistung ist noch nicht besonders ausgeprägt in Ostdeutschland. Friedliche Revolution – diese zum Glück miteinander verbundenen Worte kommen vielen schwer über die Lippen (seltsamerweise sogar den Ausstellungsmachern). Träume haben eben selten einen schönen Schluss. Meist ist man vorher aufgewacht.

Noch stehen die Nähe zu den Ereignissen sowie die unterschiedliche Rückschau aus Ost und West – und, was immer vergessen wird, aus Ost und Ost – einem selbstverständlichen Geschichtsbild der 89er Zeitenwende eher im Weg. Das ist der Unterschied zur (weiterhin westdeutsch geprägten) Bearbeitung der 68er Halbzeitenwende, wie sie jetzt am Stasi-Fall des West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras deutlich wird. Das Bild des von ihm erschossenen Demonstranten Benno Ohnesorg ist schon lange im historischen Gedächtnis der alten Bundesrepublik abgelegt; nun wird es neu angesehen, differenzierter, auch vorsichtiger – und wieder zurückgelegt.

Die Momente von 1989 dagegen haben sich trotz vieler Filme, Tagungen und Ausstellungen noch nicht zum selbstverständlichen Bilderbogen der neuen Bundesrepublik verfestigt. Politische Debatten und persönliche Befindlichkeiten prägen 20 Jahre danach den Blick auf den Umbruch. Deshalb tut es gut, wenn die Fotos der friedlichen Revolution unverstellt das Leben zeigen und damit vor Augen führen: Im Träumen waren sich viele Deutsche schon mal ganz schön nah.

Die Ausstellung „Das Jahr 1989 – Bilder einer Zeitenwende“ ist ab Sonnabend im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen. Der Katalog kostet 15 Euro.

Der Autor Robert Ide diskutiert heute ab 14 Uhr im Kinosaal der Humboldt-Universität über den Film „Wendekinder“. 

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