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Tiefenbohrung in Ost und West: Ausstellung zur Geschichte Kreuzbergs und Friedrichshains

Wie es den Friedrichshainern und Kreuzbergern in den vergangenen 150 Jahren erging, zeigt eine Ausstellung im Bezirksmuseum. Sie erzählt auch vom Leben junger Menschen diesseits und jenseits der Mauer.

Sie trugen die gleichen Jacken und Frisuren: olivgrüne Parkas und lange Haare, mit Stirnband. Obwohl die Mauer zwischen ihnen lag. Die Rede ist von jungen Leuten in den Siebzigern und Achtzigern – in Kreuzberg und in Friedrichshain. Im Westen besetzten sie das Bethanien-Schwesternwohnheim am Mariannenplatz. Im Osten strömten sie zu den Blues-Messen in der Samariter-Kirche, in denen auch Tabuthemen wie Wehrdienstverweigerung diskutiert wurden.

Wie es den Parkaträgern und vielen anderen Friedrichshainern und Kreuzbergern in den vergangenen rund 150 Jahren erging, erfährt man jetzt in der Ausstellung „Ortsgespräche. Stadt – Migration – Geschichte: vom Halleschen zum Frankfurter Tor“ im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg. Per iPod 140 können die Besucher Geschichten von 33 Friedrichshainern und Kreuzbergern hören: Einer erzählt, wie aus seiner WG ein Car-Loft wurde. Ein anderer, wie er in den Fünfzigern beim Abräumen der Kriegstrümmer sitzende Tote in einem Luftschutzkeller fand. Sechs Orte im Bezirk werden an sechs Stationen der Ausstellung genauer betrachtet. Eine „Tiefenbohrung in drei bis fünf Schichten“ nennt es Lorraine Bluche, Kuratorin der Ausstellung. Zu den sechs Orten gehören die Samariterkirche, der Mariannenplatz und der Görlitzer Bahnhof. Als der Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnet wurde, gab es noch nicht viel Stadt rundherum. Erbaut wurde er von dem Unternehmer Bethel Henry Strousberg. „Der war eigentlich auch ein Migrant“, sagt Frauke Miera, ebenfalls Kuratorin der Schau. „Er stammte aus Ostpreußen.“ Um 1900, so ist auf einem Bild zu sehen, war das Viertel um den Bahnhof dann schon dicht bebaut. An der Wiener Straße standen Mietskasernen, in denen auf engstem Raum viele arme Menschen lebten – ohne ausreichend Luft und Licht.

Nach dem zweiten Weltkrieg war dann vom Bahnhof nicht viel übrig. Erst in den Achtzigern entstand ein Park – auch wenn es schon in den Fünfzigern Pläne dafür gab, und Spielgeräte für die Kinder, wie ein Foto zeigt. „Der Görlitzer Park ist ein Sinnbild für Bürgerbeteiligung“, sagt Frauke Miera. Das sieht man auf einem Foto aus den Achtzigern von einem Transparent an der Mauer des Geländes, das damals noch Schrottplatz war: „Görlitzer Bahnhof muss Stadtpark werden.“

In der Ausstellung berichtet der Kreuzberger Özcan Ayanoglu von jener Zeit in einem Video-Interview. Er gründete damals die „Arbeitsgruppe Ausländer“ des Vereins SO 36, die sich für den Park einsetzte und dort ein Kulturzentrum plante: „Leider wurden unsere Pläne nicht berücksichtigt, obwohl wir aufgefordert worden waren, uns zu beteiligen. Deswegen hatte der Bezirk wohl ein schlechtes Gewissen und wollte uns wenigstens etwas anderes Nettes bauen: die Pamukkale", sagt der heute 64-Jährige halb im Scherz. Die Geschichte dieses nach einem türkischen Vorbild erbauten Brunnens ist bekannt: Die verwendeten Steine lösten sich fast sofort auf.

Özcan Ayanoglu gehört zum „Ausstellungbeirat“ und hat bei Workshops mitgemacht, die Ideen geliefert haben. Die beiden Kuratorinnen haben rund 100 Friedrichshainer und Kreuzberger mit einbezogen. Wie auch Dirk Moldt, der in den Achtzigern zu den Blues-Gottesdiensten in der Samariterkirche ging. Er hat inzwischen ein Buch darüber geschrieben und der Ausstellung ein Bild gespendet, das er damals gemalt hatte. Darauf sind die olivgrünen Parkaträger in der Kirche zu sehen. Wer auf den Knopf daneben drückt, kann den letzten erhaltenen Mitschnitt einer Bluesmesse hören. „Die Stasi hat zwar alle aufgezeichnet, aber auch alles wieder gelöscht“, sagt Dirk Moldt. Er hat seine Aufnahme behalten.

Bis Ende 2013 ist die Ausstellung im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Adalbertstraße 95A, zu sehen, Mi. bis So., 12–18 Uhr, Eintritt frei, Informationen unter www.kreuzbergmuseum.de

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