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Voll, aber friedlich. Auf dem MyFest ist Kreuzberg ging es friedlich zu.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

1. Mai in Berlin: Friedliche Demos in Kreuzberg, Antifa-Proteste in Pankow

Der 1. Mai verlief in Berlin friedlich, festlich und kämpferisch. Bei der unangemeldeten Demo durchs Myfest gab es nur kleine Scharmützel. Unser Tagesüberblick.

Um kurz nach halb neun, es ist inzwischen dunkel und die Revolutionäre 1.-Mai-Demo bereits seit zwei Stunden in Kreuzberg und Neukölln unterwegs, vermeldet die Polizei über ihren Twitter-Account einen dringenden Hinweis: „Übrigens, die Kollegen haben in Kreuzberg Köpenicker, Ecke Skalitzer Straße gerade einen herrenlosen Pitbull gefunden.“ Dazu ein Bild des Vierbeiners, um das suchende Herrchen zu finden. Viel mehr Aufsehenerregendes erlebte die Polizei auch nicht mehr an diesem Abend.

In der Nacht nach der Demo liefen zwar noch viele Betrunkene durch die Straßen von Kreuzberg, aber kein gewaltbereiter schwarzer Block mehr. Der 1. Mai ist, trotz des 30. Jahrestages der schweren Krawalle und Provokationen aus der linken Szene vorab, wieder überwiegend friedlich geblieben. Von Verletzten war bis in die Nacht hinein nichts bekannt. Ein paar Flaschenwürfe, viele Feuerwerkskörper, zwischenzeitlich auch erhöhte Aggressivität beim Zug durch Neukölln – doch verglichen mit früheren Jahren blieb alles im Rahmen.

Einige Festnahmen am Spreewaldplatz

Die meisten Festnahmen gibt es gegen 21 Uhr am Spreewaldplatz, wo die unangemeldete 18-Uhr-Demo mit gut 10.000 Teilnehmern endet. Gezielt stürmen kleine Polizeitrupps in die Menge, greifen Demonstranten, die zuvor bei Straftaten beobachtet worden waren und führen sie ab. Das Ganze führt zu Unmut unter den Autonomen, die die Abführungen mit Pfeifkonzerten und Flaschenwürfen quittieren. Zehn Minuten Hass, dann scheint wieder alles gut. Die meisten Demonstranten gehen nach Hause oder zum Feiern – die Revolution fällt aus.

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Zunächst beginnt die Demo mit Verspätung – und mit Feuer. Demonstranten aus dem Schwarzen Block zünden Dutzende Bengalos und Böller und hüllen den Oranienplatz in Rauch, ehe der Zug zumeist vermummt und ohne Anmeldung in die Oranienstraße mitten ins Myfest startet. Dort kann nur demonstriert werden, weil Ordner das Fest kurzfristig räumen. Die Polizei reagiert gelassen auf Provokationen und begleitet den Zug betont deeskalativ. Selbst durch die Naunynstraße dürfen die Autonomen ziehen, obwohl Innensenator Andreas Geisel (SPD) diese zuvor noch explizit als Fluchtweg bei möglichen Anschlägen genannt hatte. Am Ende geht die Taktik des Abwartens auf.

Konfetti statt Steine bei 16 Uhr-Demo

Noch friedlicher verläuft die Demonstration, die bereits um 16 Uhr durch Kreuzberg zieht. Rund 800 Linke nehmen teil und laufen schnell vom Spreewaldplatz zum Kottbusser Tor. Statt Steinen werfen die Aktivisten Konfetti und feiern die internationale Solidarität. Später gehen die meisten aufs MyFest.

Insgesamt eher unpolitisch geht es auf dem MyFest zu, das 15-jähriges Bestehen feiert. Von den vielen Bühnen wummert der Bass, die Chevapcici-Grills verrauchen die Straßenzüge und vor den Getränkeständen bilden sich schon am Mittag lange Schlangen. Dabei kostet der vorgemischte Becher Caipirinha inzwischen fünf Euro. Und was ein Selfie für 50 Cent auf einer Leiter auf der Adalbertstraße Ecke Oranienstraße mit der Arbeiternehmerrechten zu tun hat, weiß in Kreuzberg wohl auch keiner mehr.

Um 17 Uhr muss die Polizei das MyFest wegen Überfüllung abriegeln

Rund um den Mariannenplatz und auf der Wiese vor dem Bethanien gibt es aber auch wieder politische Stände. An auffällig vielen türkischen Ständen sieht man „Hayir“-Plakate gegen das Ergebnis des türkischen Verfassungsreferendums. „Wir wollen eine Gegenbewegung in Berlin starten, wie es sie in der Türkei bereits gibt“, sagt ein Mann an einem Weinstand. Auch wegen klassischer Kreuzberger Probleme wird mobil gemacht. Die Kiezinitiative Bizim Kiez protestiert gegen die drohende Kündigung der Betreiber des Spätis in der Oranienstraße 35, die den Laden seit 15 Jahren betreiben. Am Nachmittag drängen immer mehr Menschen auf das Straßenfest. Gegen 17 Uhr muss die Polizei die ersten Zugänge schließen. Wegen des Anschlags auf dem Breitscheidplatz im vergangenen Dezember sind die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Zahlreiche Mannschaftswagen versperren die Zugänge.

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Schon am Mittag halten die U-Bahnen nicht mehr an den Haltestellen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof. Die Masse feiert bis in die Nacht – und macht nur eine kurze Pause, als die Demo durchzieht. Michael Trüstedt freut das. Er und seine Freunde verkaufen auf der Oranienstraße Bananenbrot und Maftoul, ein palästinensisches Couscous. „Der Stand läuft“, sagt er und schiebt nach, dass es ihm gar nicht ums Geld gehe, sondern um die schöne Atmosphäre.

In Pankow stehen sich AfD und Antifa gegenüber

Mehr Aufregung gibt es in Pankow, wo ein SPD-Fest, ein AfD-Bürgerfest und eine Demo der Antifa gegen die AfD am frühen Nachmittag aufeinandertreffen. Für die Polizei entwickelt sich daraus ein überraschender Großeinsatz. Stoßstange an Stoßstange fahren die Mannschaftswagen vor und bilden eine Mauer aus Blech. Links stehen Demonstranten, vornehmlich in schwarz gekleidet, mit Transparenten „Gegen Nazis“. Rechts eine Hüpfburg, ein Grill und eine Dosen-Pyramide, auf die Kinder Bälle schleudern. Und vier Dutzend meist ältere Menschen, die an Biertischen sitzen.

Zunächst bilden noch Polizisten eine Menschenkette, aber am Rand schafft es ein Mittzwanziger in die heiße Zone. „AfD, Rassistenpack, wir haben euch zum Kotzen satt“, schreit er, ehe ihn ein Polizist am Kapuzenpulli packt. Ursprünglich sind hier nur 100 Polizisten eingeteilt. Doch dann schieben sich die Demonstranten auf die Wiese, die eigentlich als Pufferzone gedacht ist – und die Polizeiführung holt 200 weitere Beamte. Danach bleibt es friedlich, bei vereinzeltem Gerangel. Die AfD selbst bietet ein Dutzend eigener Ordner auf, die, sagt AfD-Sprecher Ronald Gläser, aber „eher unauffällig sind“. Auffällig sind einige Fotografen, bei denen nicht klar ist, ob es sich um Journalisten handelt oder um Leute, die gezielt AfD-Mitglieder ablichten. „Hier warten ja einige darauf, dass wir uns provozieren lassen“, sagt Gläser.

Gewerkschaften mit drei Demos

An Experimenten war dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) am Tag der Arbeit nicht gelegen. Traditionell starten die Gewerkschaften mit drei Demonstrationen in den Tag, dem klassischen Zug vom Hackeschen Markt in Richtung Brandenburger Tor sowie mit einem Fahrrad- und einem Motorrad-Korso. Mehrere Tausend Menschen sind gekommen, darunter der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke). „Wir sind viele, wir sind eins“, lautet das Motto. Flyer werben für mehr soziale Gerechtigkeit, „eine Integration, die klappt“ und „eine Rente, die reicht“. Verglichen mit dem MyFest in Kreuzberg ist es das politischere Programm. „Wir demonstrieren für ein Leben in Würde auch im Alter und gute Bildung für alle“, sagt DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann.

Siegfried Breuer, 76 Jahre alt und IG Bau-Mitglied ist seit 30 Jahren bei Mai-Kundgebungen. „Aus Tradition“, sagt er. „Die Bundesregierung tut nichts mehr für die Arbeitnehmer, also tun wir etwas“, sagt der pensionierte Polier. Er bedauert aber, dass nicht viele junge Menschen dabei sind.

Müller: Brauchen starke Gewerkschaften

Michael Müller ist einer der ersten Redner und mahnt vor 5000 Menschen eine „humane Digitalisierung“ an. Er sagt aber auch: „Die Gewerkschaften müssen weiterkämpfen für Weltoffenheit und Toleranz.“ Gerade in Zeiten des erstarkten Populismus dürften Gewerkschaften nicht eingeschränkt werden.

Es ist die Vorlage für die Rede der aus der Türkei geflohenen Gewerkschaftlerin Sakine Esen Yilmaz. Sie fordert Solidarität für inhaftierte Journalisten und politisch Verfolgte, etwa von der kurdischen Oppositionspartei HDP. „In der Türkei dürfen sich barbarische islamistische Organisationen wie die IS frei bewegen, aber der Taksim-Platz in Istanbul ist für Demonstranten gesperrt“, sagt Yilmaz. Und erntet Applaus.

Friedliche Walpurgisnacht

Es gab einmal Zeiten, da war die Walpurgisnacht gefürchteter als der 1. Mai. Viele Jahre lang hatte es regelmäßig massive Krawalle gegeben, erst am Kollwitzplatz, dann im Mauerpark und zuletzt am Boxhagener Platz in Friedrichshain. Doch diesmal bleibt es so ruhig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Nicht einmal ein Böller fliegt. 3000 Leute ziehen nach Zählung der Polizei durch den Wedding unter dem Motto „Selbstorganisiert gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“. Die Veranstalter sprechen von 4000 Teilnehmern – so dicht liegen die Schätzungen selten beieinander.

Und Veranstalter wie Polizei sind gleichermaßen zufrieden. Die Demo am Sonntag ist aus Sicht der Organisatoren laut und kämpferisch, es sind mehr Menschen als im Vorjahr (2300) dabei.  Erfreulich aus Sicht der Polizei: Die vielen leer getrunkenen Bierflaschen werden ordentlich am Straßenrand abgestellt. Bis auf eine, die wird geworfen und trifft einen Polizisten – für die Polizei der einzige leidige Zwischenfall. Der Beamte wird leicht verletzt. Insgesamt sind rund 2000 Beamte im Einsatz. Im Mauerpark feiern 10 000 Menschen die ganze Nacht friedlich bei Lagerfeuern, vielen Bands und entspannter Stimmung. Nachbarn hatten das Kiezfest „Friedliche Walpurgisnacht“ organisiert.

Auch auf der IGA und in den Kleingärten ist viel los

Viele Berliner nutzen das lange Wochenende sowieso zum Entspannen. Tausende treffen sich bei Kiezfesten auf Plätzen und in Parks, besuchen die Gartenschau IGA in Marzahn oder beginnen die Saison in den gut 70.000 Kleingärten der Stadt. Einen Besucheransturm erlebt auch das alternative Bauprojekt „Holzmarkt“ in Friedrichshain, das wie berichtet eine neue Wohnkultur etablieren will und am 1. Mai offiziell Eröffnung feiert. Auch beim Baumblütenfest in Werder drängen sich die Massen. Friedlich und fröhlich.

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