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Raphaels Gegner bei dieser Partie ist 55 Jahre alt

© Anett Kirchner

Jungstar vom Schachklub Zehlendorf: Raphael setzt sie alle schachmatt

Er ist erst 14 Jahre alt und besiegt doch schon die Großen. Raphael Lagunow gilt als Naturtalent im Schach, als Jungstar. Um im "geistigen Marathon" zu bestehen, heißt es jedoch: üben, üben, üben. Der Tagesspiegel war bei einem Turnier dabei.

„Psst“, zischt es aus einer Ecke. „Ruhe“, flüstert derselbe Mann. Nicht ohne Wirkung. Es wird mucksmäuschenstill an diesem Sonntag im Saal des Hans-Rosenthal-Hauses in Lichterfelde. Zwei von acht Partien laufen noch. Und zwar im Schach, hochkonzentriert, in einer der Runden der Berliner Mannschaftsmeisterschaft der aktuellen Saison. Geduldig sein, Nachdenken und den Mitspieler im Blick behalten, dann im entscheidenden Moment den richtigen Zug machen. Schach ist manchmal wie das Leben. Wenn der Gegenüber einen Fehler macht: schachmatt. Raphael Lagunow vom Schachklub Zehlendorf (SKZ) hat es bei diesem Turnier wieder einmal geschafft, als einziger seiner Mannschaft. Sein Gegner ist 55 Jahre alt. Er ist erst 14.

„Ich habe gemerkt, dass mein Mitspieler immer mit dem Kopf schüttelte und unsicher wurde“, erklärt er. Trotzdem hätte es auch anders ausgehen können; beispielsweise unentschieden. Mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und die Situation realistisch einschätzen: Raphael wirkt vernünftiger als andere Jugendliche in seinem Alter. Und was letztlich entscheidend für den Sieg war? Mit einem taktischen Gegenschlag konnte er die Idee des Mitspielers verhindern. Im Kopf hatte er da bereits sieben bis acht verschiedene Zug-Varianten berechnet und spürte, dass er mit seinen Figuren einfach besser stand als der Gegner.

Für beide Seiten ist es jeweils ein geistiger Marathon. Bis zu fünf Stunden kann eine Partie dauern. Hinterher geht Raphael am liebsten hinaus, an die frische Luft, muss sich bewegen. Ausruhen? Schlafen? Das kommt für ihn nicht in Frage. Er ist ein Naturtalent, sagen die Großmeister, die ihn trainieren. In seinem Verein gilt er als der Jungstar.

Anfang des Jahres wurde er in seiner Alterklasse in den Kader des Deutschen Schachbundes aufgenommen. Es ist das erste Mal überhaupt, dass ein Mitglied des SKZ im Bundeskader vertreten ist. Der Verein ist entsprechend stolz darauf. Für Raphael bedeutet das unter anderem, dass er automatisch bei der Deutschen Jugendmeisterschaft (U 16) im Schach antreten darf, ohne sich vorher qualifizieren zu müssen. Einmal Jugendmeister in Deutschland sein oder Jugendweltmeister, warum nicht?

"Ich denke nicht so weit im Voraus, sondern lege meine ganze Kraft lieber in das nächste Spiel", erklärt er. Zweimal pro Woche trainiert der Vierzehnjährige und seit Oktober letzten Jahres ist er hier Mitglied im Verein. Zwar wohnt Raphael in Schöneberg, spielt aber deshalb im Zehlendorfer Schachklub an der Bolchener Straße, weil es einer der leistungsstärksten Clubs in Berlin ist. Zumindest sagt das Helmut Flöel vom SKZ. Insgesamt gibt es hier fünf Herren-Mannschaften. Schach ist offensichtlich ein Männersport, denn von insgesamt 75 Spielern im SKZ sind lediglich zwei Frauen. Die erste Mannschaft, in der auch Raphael ist, spielt in der Zweiten Bundesliga Nord, die vier anderen Mannschaften spielen in den Berliner Ligen.

Helmut Flöel liegt vor allem der Schach-Nachwuchs am Herzen. Er hat Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, war viele Jahre lang Lehrer. Seine Meinung: „Schach fördert Denken. Schule verhindert Denken.“

Doch zurück zu Raphael. Bis zum Sommer möchte er gern seine Elo-Zahl verbessern; von derzeit 2150 auf 2350. Diese spezielle Zahl beschreibt den Wert der Spielstärke eines Schachspielers. Das heißt: üben, üben, üben. Nicht immer einfach für jemanden, der von sich selbst sagt, dass er ein wenig faul ist. Gleichwohl spielt Raphael viel lieber Schach, als dass er zum Beispiel Hausaufgaben macht. Die Schule hat trotzdem Vorrang. Er besucht im Moment die neunte Klasse. Kopfrechnen und Vokabelnlernen fallen ihm leicht. Das ist ein Denksport wie Schach, sagt er und hofft auf einen guten Schulabschluss; danach vielleicht ein Studium oder eine Ausbildung. Schachprofi werden, wäre auch eine Option, aber der unsicherere Weg.

Raphael hat das Schachspielen schon sehr früh gelernt. Mit etwa drei Jahren brachte es ihm seine Mutter bei. Er kommt aus einer erfolgreichen Schach-Familie. Die Eltern sind beide Internationale Meister und auch die 17-jährige Schwester spielt Schach. Vor ein paar Jahren musste die Familie jedoch einen großen Verlust hinnehmen. Raphaels Mutter, gebürtige Lettin, verstarb nach einer schweren Krankheit. Sein Vater, Alexander Lagunow, geboren in Nowosibirsk, ist Diplom-Mathematiker, und hält die Familie jetzt zusammen. Schach hilft dabei, ist eine Konstante im Leben der Lagunows; weit mehr als ein Hobby.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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