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Mittendrin: die Franzosen. Berlin-Charlottenburg, 1980, Ernst-Reuter-Platz. Die Alliierten drehen mal wieder 'ne Runde durch die Stadt.

© Imago

20 Jahre Abzug der Alliierten: Das französische Erbe in Berlin verkommt

Die französischen Alliierten zogen 1994 aus Berlin ab. Zum traditionellen Volksfest eröffnet dieses Jahr eine neue Ausstellung über die französische Zeit in Wedding und Reinickendorf und zeigt: viel ist davon nicht übrig. Heute droht der Norden Berlins zu verkommen.

Zwanzig Jahre ist es her, dass die französische Armee und die Familien der Offiziere aus dem Norden Berlins abzogen, ihre Wohnviertel am Flughafen Tegel, in der Cité Foch und der Cité Joffre, räumten und die Baulichkeiten der Bundesvermögensverwaltung und der Bundeswehr übergaben.

Aus der Zeit der vielen gemeinsamen Aktivitäten zwischen Deutschen und Franzosen ist eigentlich nur das Deutsch-Französische Volksfest geblieben, das am 20. Juni wieder seine Tore öffnet. Wenn jetzt das Bezirksamt Reinickendorf in den Räumen des Heimatmuseums in Hermsdorf eine Ausstellung über die Zeit der französischen Besatzung und „Die Franzosen in Reinickendorf 1945–1994“ ausrichtet, mutet das im Jubiläumsjahr des Abzugs wie ein nostalgischer Blick in die Vergangenheit an, der zur Realität in Wittenau und Waidmannslust in einem ziemlich herben Kontrast steht.

Der Zahn der Zeit ist es nicht, der am baulichen Erbe aus der Zeit der französischen Alliierten im Norden Berlins nagt. Es ist eine beschämende Mischung aus Desinteresse, bewusster Zerstörung und Vernachlässigung sowie Berliner Wurstigkeit, die einem einstmals sehr reizvollen Stadtquartier in Wittenau und Waidmannslust zusetzt. Grundstücksspekulation tut ein Übriges, dass nicht nur die einstige Botschaftervilla und die Nebengebäude verkommen, sondern vor allem die Cité Foch, das größte geschlossene französische Wohngebiet in Berlin für mehr als 2600 Personen verlottert.

Schon längst wurde jeder Versuch einer Zwischennutzung des einstigen Einkaufszentrums aufgegeben, heute ist es eine Ruine. Die Schwimmhalle konnte bis 2002 von Vereinen für den Jugendsport genutzt werden, jetzt gammelt sie vor sich hin, weil das Geld für den Unterhalt fehlte. Die Wohnungen galten aus der Sicht der Bundesvermögensverwaltung als nur schwer vermietbar, weil sie zu groß waren. Lieber baute man auf der anderen Straßenseite in den neunziger Jahren neu, als die Blöcke in ruhiger Wohnlage zu sanieren. Heute leidet das ganze Quartier, in dem nur noch die alten französischen Straßennamen an die Geschichte erinnern, unter den Auflösungserscheinungen in seinem Zentrum. Das Behördenargument, man komme dem privaten Eigentümer der heruntergekommenen Großbauten des Einkaufszentrums nicht bei, klingt eher wie die klassische Berliner Ausrede, wenn man keine Lust hat, sich zu kümmern.

Dabei lebt das französische Erbe in Wedding und Reinickendorf durchaus – überall da, wo sich private Eigentümer und Organisationen kümmern. Das Centre Bagatelle in Frohnau, in der Zeit der französischen Besatzung ein beliebter kultureller Treffpunkt, würde vermutlich auch nicht mehr existieren, nachdem der Bezirk es 2005 als finanzielle Belastung einstufte und über den Liegenschaftsfonds verkaufen wollte. Eine Bürgerinitiative sammelte in kurzer Zeit mehr als 1000 Unterschriften und konnte den Bezirk überzeugen, vom Verkauf zum Höchstpreis Abstand zu nehmen.

Für 935.000 Euro übernahm ein Verein das Anwesen, dem Norden Reinickendorfs blieb das bis heute beliebte Kulturzentrum erhalten. Französisches Leben pulsiert auch weiter in der Müllerstraße im Centre Français, das ebenfalls als deutsch-französisches Kulturzentrum 1961 eröffnet wurde. Heute ist das „Hotel de France“ eine besondere Unterkunft mit angeschlossenem französischen Restaurant und Ort vielfältiger multinationaler Begegnungen.

Die Ausstellung im Hermsdorfer Heimatmuseum hat amüsante und lehrreiche Aspekte. Aus heutiger Sicht geradezu kurios wirkt der Streit der Franzosen unmittelbar nach Kriegsende mit Russen, Amerikanern und Briten über ein Stück Sektor in Berlin – denn Frankreich war als Besatzungsmacht ursprünglich nicht vorgesehen. Erst, als Großbritannien auf Reinickendorf und Wedding verzichtete, konnte die französische Armee einrücken, konnte der Stadtkommandant seine geräumige Villa in der Dianastraße beziehen.

Die zahlreichen Dokumente und Fotos, die Plakate von Volksfesten und Kulturereignissen künden von einer fernen Zeit. Aber die Exponate sind eben auch Zeugen eines ziemlich harmonischen Nebeneinanders und gelegentlich fröhlichen Miteinanders, das letztlich nur durch die Sprachbarriere behindert war. Denn an einem hat sich bis heute nichts geändert: Wer sich französische Lebensart erschließen will, ist ohne Sprachkenntnisse zum Scheitern verurteilt. Die Spuren Frankreichs im Berlin von heute, die findet man nicht im Museum, die muss man selbst erkunden.

- Heimatmuseum Reinickendorf in Hermsdorf, Alt-Hermsdorf 35, bis 28. August, geöffnet Sonntag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, Samstag geschlossen.

- Das Deutsch-Französische Volksfest auf dem Zentralen Festplatz (am Flughafen Tegel) findet statt vom 20. Juni bis 20. Juli. Geöffnet Montag bis Sonnabend ab 14 Uhr, Sonntag ab 13 Uhr. 2 Euro Eintritt. Kinder bis 14 Jahre frei. Einen Bericht lesen Sie auch unter diesem Link.

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