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Grüne im Berliner Parlament: Der kurze Marsch ins hohe Haus

Sie siegte und mischte mit: Vor 30 Jahren zog die Alternative Liste ins Abgeordnetenhaus ein. Drei Jahre nach Gründung gehörte die AL schon zum Politbetrieb.

Von Sabine Beikler

West-Berlin 1978: Das war der Inbegriff für ein alternatives Lebensgefühl. Überall in der Stadt arbeiteten Öko-Bäckereien, Kinderläden, Kiezgruppen, Bürgerinitiativen. Als am 5. Oktober 1978 im Saal der Neuköllner „Neuen Welt“ 3000 Gewerkschafter, Spontis, linke Anwälte, Arbeiter und K-Gruppen-Aktivisten die „Alternative Liste“ gründeten, dachte niemand an einen Einzug ins Parlament. Aber schon drei Jahre später erreichte die AL nach dem Scheitern des rot-gelben Senats unter Dietrich Stobbe bei den Wahlen 7,2 Prozent und zog mit neun Fraktionsmitgliedern ins Rathaus Schöneberg ein, den damaligen Parlamentssitz. Am Freitag feiern die Berliner Grünen 30 Jahre Parlamentsgeschichte im Festsaal des Abgeordnetenhauses.

Am 11. Juni 1978 fuhr die AL mit Fahrradeskorte und dem BMW-V-8-Oldtimer von AL-Landeskassierer Volker Schröder vor das Rathaus. Geschmückt war das Auto mit der Igel-Standarte, und „im Kofferraum hatten wir so einen Flickenteppich, den wir ausrollten“, erinnert sich der heute 68-jährige Diplom-Kaufmann. Michael Wendt, der kürzlich verstorbene Grüne mit der Mitgliedsnummer 001, saß damals auch in der ersten Fraktion. Als die AL damals einzog, habe es ein „Siegesgeschrei“ gegeben, erinnerte sich Wendt, „uns konnte jetzt niemand mehr aufhalten.“ Es dauerte aber Monate, bis den ALern von anderen Parlamentariern die Hände geschüttelt wurden. Und als Wendt die erste AL-Rede hielt, da leerte sich der Plenarsaal schlagartig.

Legendär sind die Ausfälle von CDU- Hinterbänklern, die der AL-Abgeordneten Rita Kantemir beim Gang zum Mikrofon zuraunten: „Na, dann mal los, Schätzchen.“ Für diesen Spruch musste sich damals der CDU-Fraktionschef Eberhard Diepgen entschuldigen. Der Sozialpädagoge und ALer Manfred Rabatsch leitete bis 1983 den Jugendausschuss im Parlament. Er weigerte sich beharrlich, in seinem Gremium über die Einführung der Kita-Gebühren abstimmen zu lassen, die der Senat damals beschlossen hatte. Damit nervte er die zuständige CDU-Senatorin Hanna-Renate Laurien gewaltig. Und er lieferte sich mit CDU-Fraktionsvize Klaus Landowsky amüsante Wortgefechte. Rabatsch sprach ihn häufig am Mikrofon mit „Herr Landoooooofsky“ an, was der mit „Herr Rabbatz“ konterte.

Volkswirt und Diplom-Handelslehrer Peter Sellin war damals AL-Mitglied im Haushalts- und Wirtschaftsausschuss. „Wir mussten uns in alle Politikfelder einarbeiten. “, erzählt Sellin, heute 62, und Mitarbeiter im Büro der Grünen-Bundestagsabgeordneten Christine Scheel. Koalitionen und Regierungsbeteiligungen lehnte die Alternative Liste noch vor 30 Jahren kategorisch ab. Das politische Credo lautete viele Jahre: Das „Spielbein“ ist das Parlament, das „Standbein“ die außerparlamentarische Opposition.

Die AL wollte den sozialen Bewegungen im Parlament Gehör verschaffen und Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Anfang der achtziger Jahre war im Westteil der Stadt nach Immobilien- und Bauskandalen um den Architekten Dietrich Garski der Wunsch nach Veränderungen zu spüren: Viele hatten von den etablierten Parteien genug, Bürgerinitiativen protestierten gegen die Rodung des Tegeler Forsts für den Bau der Autobahn und Hausbesetzer demonstrierten gegen „Wohnraumvernichtung und Kaputtsanierung“.

Vor 30 Jahren stand die AL dem Berufspolitikertum skeptisch gegenüber. Alle zwei Jahre mussten die Fraktionsmitglieder rotieren. „Heute sind die Grünen etabliert“, sagt der Ex-Finanzverantwortliche Volker Schröder. Aber „ein bisschen“ sei der Partei der Spaß verloren gegangen, meint er. Als er den Grünen vorschlug, die Spitzenkandidatin Renate Künast zur Feier am Freitag mit seinem alten BMW V 8 vorzufahren, wurde das abgelehnt. Die Partei möchte vermeiden, dass dieser Oldtimer schon als Staatskarosse betrachtet wird. Sabine Beikler

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