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Projekt "Auf Augenhöhe": Münte muss noch trocknen

Der Bildhauer Harald Birck hat den SPD-Politiker und ehemaligen Arbeitsminister Franz Müntefering in Ton modelliert – und für sein Projekt „Auf Augenhöhe“ in eine Reihe mit rund 70 Obdachlosen gestellt.

So entspannt war Franz Müntefering selten in seinen politisch aktiven Zeiten. Seit zweieinhalb Stunden sitzt er auf einem Hocker, dreht und wendet sich bisweilen, blickt in einen Wandspiegel, plaudert ein wenig. „Man muss mit den Händen ein kleines Gefälle nach vorn haben“, sagt er, „das sieht am besten aus.“ Dann schaut er die feuchte Tonplastik an, die seinen markanten Kopf darstellt, und gibt einen selbstkritischen Kommentar ab: „Ein bisschen arrogant, das angezogene Kinn, aber ich bin nun mal so.“ Pfarrer Ralf Döbbeling, der Hausherr der Stadtmission am Hauptbahnhof, gibt sich konziliant: „Wer so viel geleistet hat, der darf das.“

Dann legt der Bildhauer Harald Birck noch einmal Hand an den weichen, schokoladenbraunen Ton; am Hals hat er sein Modell älter gemacht, als es in echt ausschaut, das lässt sich mit ein paar Korrekturen regeln. „Das Halbprofil mache ich gern am Schluss“, erläutert er, „das bringt das Ganze noch mal in Schwingungen.“

„Auf Augenhöhe“ heißt das Projekt Bircks, dem nun auch ein lebensechter, nur ganz sanft karikierter Müntefering angehört. Der Bildhauer hat bislang fast 70 Obdachlose porträtiert. Die Köpfe wandern durch die Republik, werden mal hier, mal dort gezeigt, auch in offiziellen Ausstellungen und unbekannten Obdachloseneinrichtungen, treffen aber nie alle zusammen. Immer nur die Köpfe – das egalisiert die Porträtierten und lässt sie so zum Sinnbild werden für einen Satz, den sich auch Müntefering zu eigen macht: „Wir sind nicht alle gleich, aber wir sind alle gleich viel wert.“

Die Betrachter der Köpfe sollen rätseln, ob der Betreffende eine wichtige Persönlichkeit ist oder nur der Hans aus der Suppenküche – die Büsten lassen darauf keinerlei Rückschlüsse zu, wenn auch bei Müntefering ganz zum Schluss noch ein leicht zerknautschter Krawattenknoten hinzukommt, der den Prominenten fast unmerklich aus der Masse der anderen heraushebt: „Die tragen ja normalerweise keine Krawatte.“ In den Worten der Stadtmission: „Der Mensch als Ebenbild Gottes steht im Mittelpunkt, egal ob mit Wohnung oder ohne.“ Keine leichte Arbeit, meint auch Döbbeling: „Wir müssen erst das Vertrauen der Menschen gewinnen, damit wir ihre Köpfe ausstellen können.“

Müntefering wurde mit Bircks Projekt schon in seiner Zeit als Arbeitsminister vertraut und bot dem Künstler 2008 Raum zu einer Ausstellung im Ministerium. Er habe sich als Christ, Zeitgenosse und Bundespolitiker gern bereit erklärt, die Arbeit zu unterstützen, heißt es in der Presseerklärung. „Ich bin ja von Hause aus katholisch“, sagt er selbst, „aber es ist mir schon wichtig, dass man nicht unbedingt tief im Glauben verankert sein muss, um anderen Menschen helfen zu können.“

Der Künstler hat im Dialog mit seinem Modell ein paar Stellen korrigiert und geglättet, dem Modell gefällt, was dort zu sehen ist. Dann entspinnt sich ein kurzes Gespräch, das Standbild Willy Brandts in der Parteizentrale wird erwähnt, es ähnelt dem Porträt Münteferings in seiner Charakterköpfigkeit, Müntefering wehrt ab, plaudert weiter. Der Künstler kehrt von seiner Zigarettenpause zurück, umrundet das fertige Werk kritisch, so kann es bleiben. Auch Müntefering ist zufrieden, studiert sein Ebenbild interessiert, steigt aber nicht selbst in die Details. „Ich habe mal einen Töpfer porträtiert“, sagt Birck, „der wollte ständig mitmachen.“ Schließlich habe er ihm den Mund verklebt – und das Pflaster mit ins Bildnis aufgenommen.

Ganz fertig ist Bircks Müntefering noch nicht. Zunächst muss der Kopf zwei oder drei Wochen trocknen, wird dann gebrannt und in seiner rauen Kantigkeit endgültig konserviert. Schließlich kann er auf Tournee gehen, immer auf Augenhöhe mit den Abbildern obdachloser Zeitgenossen, Frauen und Männern ohne große Lebensgeschichte – und ohne Krawatte.

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