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Winklig. Die milliardenteure BND-Zentrale in Mitte.

© Dirk Laubner

Rundflug über Berlin: Mit der Cessna über dem BND

Mit 160 PS in 500 Metern Höhe über Berlin: Der Tagesspiegel hat einen Rundflug über Berlin unternommen - mit überraschenden Einblicken.

Das letzte Mal, als ich eine Cessna bestiegen habe, war ich zehn. Am Steuerknüppel saß mein Vater, und mit der Familie hoben wir ab vom Genfer Flughafen zur Urlaubsreise nach Südfrankreich – vier Menschen in einer käfergroßen Flugkanzel.

Irgendwo am Mittelmeer zog dann dieses Gewitter auf, der Funkkontakt brach ab und wir Kinder fantasierten über Haifische und Wasserschlangen.

Gut, dass über Berlin ein stabiles Hoch herrscht. Und dass Kapitän Reinhard Wartig über 11.500 Flugstunden absolviert hat. Verständnis für die tausend Ängste, die wir damals ausstanden? Jedenfalls überstand der frühere Testpilot auch brenzlige Situationen im Sowjet-Jäger MiG21, der im Osten für Pannen ähnlich berüchtigt war wie der „Starfighter“ im Westen. „Aber nicht mit so was“, sagt er und deutet auf die gutmütige Maschine.

Mit einer Cessna und 160 PS, 500 Meter über Berlin schweben – das ist aber schon was. Wie schön unsere Stadt ist, zeigt sich da, wo sie sich wandelt – und wo sie still steht.

Zwischenlandung am BER

Am Geisterairport BER zum Beispiel, unserer ersten Station. Eine Startbahn des alten Airports wird gerade saniert, weshalb die neue Rollbahn vorläufig offen ist. Wie klein der BER aus der Luft doch ist. Kein Wunder, dass Verkehrsexperten sagen, der werde schon bei seiner Eröffnung aus allen Nähten platzen.

Dass wir kurz nach dem Start in Saarmund schon wieder landen, ist der Sicherheit geschuldet: Am Terminal für Geschäfts- und Privatflieger werden wir gescannt. Auch die Flugroute wird abgestimmt. In Zeiten von Terroranschlägen darf nur eine Handvoll Flieger mit Sondererlaubnis über die Innenstadt.

Dirk Laubner macht sich gern ein Bild von oben.
Dirk Laubner macht sich gern ein Bild von oben.

© privat

Der Käptn hat eine: „Ich darf bei Angie rüberfliegen und durfte das auch schon bei Honni“, sagt Hartig. Das Sicherheitspersonal amüsiert’s. Die Frau und die drei Männer haben einen coolen Job. Ende Juni Wochen landeten die Männer von AC/DC hier, bevor sie im Olympiastadion spielten. Vor zwei Jahren schwebte George Clooney mit einem Privatjet ein. Der kommt mit einer Tankfüllung bis in die USA.

Abflug! heißt es dann wieder. Fotograf Dirk Laubner klappt das Seitenfenster nach oben und der Flugwind pfeift uns um die Ohren. Er jongliert mit Kameras und gewaltigen Objektiven. Unten schlängelt sich die Spree träge durch die Stadt, da liegt die Rummelsburger Bucht; es entstehen immer noch neue Wohnungen hier. Der Blick reicht zum Fernsehturm und weiter in den grünen Westen.

Aus etwa 500 Metern Höhe rückt die Stadt zusammen, Berlin ist ein Legoland, durch das sich Matchbox-Autos mühsam durchschieben – wie kurz sind die Wege auf der Luftlinie!

Der einsame weiße Turm an der East Side Gallery

Spreeblick. Links das "Linving Levels"-Haus, recht die Mercedes-Benz-Dependance.
Spreeblick. Links das "Linving Levels"-Haus, recht die Mercedes-Benz-Dependance.

© Dirk Laubner

An der East Side Gallery am Spreeufer in Friedrichshain steht der einsame weiße Turm von Bauherr Maik Uwe Hinkel, der wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstritten ist. Die Wende ist Hinkel ausgesprochen gut gelungen: Die Luxuswohnungen im „Living Levels“ sind fast alle verkauft. Und die Gestaltung des Gebäudes mit den vor- und zurückspringenden Etagen ist für Berliner Verhältnisse fast schon überragend.

Schwerer zu kämpfen hatte der frühere NVA-Pilot Wartig: Die Genehmigung zur Nutzung des Airports und zum Aufbau seiner Firma bekam er erst, als sein Bruder die inzwischen verstorbene, damalige Ministerin Regine Hildebrandt persönlich auf die vielen Hindernisse ansprach. „Das war damals so schwer, wie für Deutsche heute auf Mallorca die Genehmigung zum Verkauf von Thüringer Rostbratwürsten zu bekommen“, sagt der 65-Jährige.

Links unten liegt mittlerweile ein großer grüner See: das Tempelhofer Feld. Was für ein Luxus, das Areal unbebaut liegen zu lassen! Aber Baustellen gibt es auch so genug. Gegenüber vom BND in Mitte, der von oben mit den vielen abgewinkelten Gebäudeteilen nicht so langweilig ausschaut wie von der Straße aus, ragen Kräne über fast einen ganzen frei geräumten Häuserblock.

Ecke Chaussee- und Wöhlertstraße entsteht „The Garden Living“: Laut Bauherr sollen das „großzügige Stadthäuser und individuelle Eigentumswohnungen im Grünen“ werden. Im Grünen? Naja, aus der Höhe ist ein Meer aus Sandsteinbauten zu sehen, grün ist hier kaum was. Fünfzimmerwohnungen kosten hier fast 900 000 Euro. Wer hätte gedacht, dass hier, an der Grenze zum einst „roten Wedding“, mal so viel Geld für Wohnraum verlangt werden würde?

Das gekappte Dach des Hauptbahnhofs

Viel Platz. Hinterm Hauptbahnhof entsteht die Europacity.
Viel Platz. Hinterm Hauptbahnhof entsteht die Europacity.

© Dirk Laubner

Was früher am Rand lag, als die Mauer noch stand, liegt nun mittendrin. Das gilt auch für das Gebiet an der Heidestraße, wo noch reichlich Platz ist. Eine riesige Schneise mitten in der Stadt liegt da, nördlich des Hauptbahnhofs. Dessen verstümmeltes Dach schaut von hier oben wie eine Wulst aus. Traurig, dass Meinhard von Gerkans genialer Entwurf dem Sparwillen der Bahnmanager zum Opfer fiel.

Zumal so wenige Neubauten hier Lust auf zeitgenössische Architektur machen. Wie abwechslungsreich ist im Vergleich die Baukunst des 19. Jahrhunderts: Das Moabiter Gerichtsgebäude etwa, dessen Türme mal schlank, mal kräftiger den Rhythmus der unterschiedlich hohen Gebäudeteile aufnehmen – so etwas heute zu bauen, wäre vermutlich unbezahlbar.

Weiter geht’s in der Luft. Die „Schwangere Auster“ im Tiergarten ist eingerüstet und bekommt ein neues Dach. Gleich nebenan, gegenüber von Merkels Arbeitsplatz, sind die Zelte vom Tipi am Kanzleramt zu sehen. Früher stand hier auch ein Zelt, das Tempodrom, welches aber aus Sicherheitsgründen wegziehen musste, aber dafür ein festes Haus am Anhalter Bahnhof erhielt.

Waren der Skandal um die Finanzierung des gezackten Ersatzbaus, der Rücktritt des damaligen Bausenators und das politische Beben in Berlin am Ende überflüssig, wenn die Show am Kanzleramt doch weitergeht?

Das Flugzeug legt sich auf die Seite

Dann reizt Kapitän Wartig das Strömungsvermögen der Cessna aus, legt die Maschine auf die Seite, um Fotograf Laubner einen freien Blick auf Mitte zu bieten: das Schloss, fertig im Rohbau, die Erweiterung der Museumsinsel durch die James-Simon-Galerie und das Pergamonmuseum.

Und wo sich schon mal alles auf einen Blick erschließt, liegt auch diese Vermutung nahe: Großprojekte in Berlin, bei denen Kosten und Bauzeit nicht aus dem Ruder laufen, sind die Ausnahme. Das Schloss ist eine. James-Simon-Galerie, Staatsbibliothek und die senatseigene Skandalbaustelle Staatsoper sind die traurige Regel. Wie stehen eigentlich die Wetten, dass die Sanierung des Pergamonmuseums schiefläuft?

Weiter, los, go west! Der liegt nur wenige Flugminuten entfernt, wo sich unten die Blechlawine endlos über die Stadtautobahn A100 wälzt. Ja, hat denn niemand die Meldungen über die vielen Sommer-Baustellen auf der Stadtautobahn gelesen? Oder ist es nur der übliche Verkehr zum Feierabend? Wir fliegen drüber weg, lassen die Fragen zur Zukunft des ICC offen und jagen der Sonne nach, die golden auf dem Wannsee glitzert.

Grün ist Berlin hier, hinter der Stadtautobahn, und auf dem blauen Wasser wölben sich die Segel der Jollen – schade, dass das die Runde über die Traumstadt Berlin schon wieder zu Ende ist. Sie verging wirklich wie im Fluge.

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