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Ihr und wir: Ein Ost-Berliner entdeckt den guten alten Westen

Eine Ausstellung im Ephraim-Palais zeigt derzeit das Leben in West-Berlin, von der Misswahl im New Eden Club bis zum Hotel Bogota. Unser Ost-Berliner Autor hat sich das angesehen - und hat da mal eine Idee.

Da haben mich die lieben Kollegen ins Ephraim-Palais geschickt, um zu ergründen, was ein Ost-Berliner über die Darstellung des Lebens seiner Brüder und Schwestern im Westen zu sagen hat. Anlass ist die neue Ausstellung über West-Berlin, „eine Insel auf der Suche nach Festland“ oder „eine Stadt, die sich jewaschen hat“, wie einst die Insulaner sangen. Das Vorhaben ist nicht ganz einfach. Denn nicht nur Berlin war geteilt, sondern auch das Sein und Bewusstsein seiner Bewohner. „Du musst doch irgendwelche Assoziationen haben, als Ossi“, sagt die eine. Der andere möchte, dass sein heldenhaftes Dasein als Insulaner im roten Meer gewürdigt wird, der nächste beklagt die von der Einheit wegrationalisierten Vergünstigungen, und wieder ein anderer erwartet fröhliche Zeilen darüber, wie sich der Ossi noch immer darüber freut, dass er befreit auf dem Ku’damm spazieren gehen darf, ohne Mindestumtausch und ähnlichen Blödsinn.

Ich bin durch die drei Stockwerke, in denen die Ausstellung präsentiert wird, geschlendert, und finde die Schau mitteilsam, fleißig und informativ. Gut gestylt. Eine Zeitreise voller Wunder, in der man sogar dem lokalen Nilpferdstar Knautschke das kräftige Hinterteil streicheln und dem Zoo-Panda in die toten Augen gucken kann. Die Präsentation einer Teilstadt kann nichts dafür, dass jeder Besucher die Sache von einem anderen Standpunkt sieht. Die früher Geborenen werden sich an ihre Zeit „vor 61“, diesem Mauer-und-Stacheldraht-Synonym, erinnern: Wie wir in die Grenzkinos und Wechselstuben gegangen sind, am bunten Zeitungskiosk (übrigens in Berlin produzierte) Peter Stuyvesant gekauft und alles, was diese Stadt schon damals bot, genossen haben wie Jacobs-Kaffee mit echter Sahne im „Kranzler“. Die Nach-Einundsechziger kannten West-Berlin nur vom Hörensagen, in der Schule wurde von einer „Frontstadt“, einem „Pfahl im Fleisch der DDR“ und von einer „besonderen politischen Einheit“ gesprochen, bösartig und voller Neid. Die Ost-Kinder sollten nicht west-fernsehen, die Großen schon gar nicht, am liebsten Karl-Eduard von Schnitzlers „Schwarzen Kanal“ als Parteischulung und den Montagsfilm aus nostalgischen Gründen eines kulturelles Erbes.

Aber diese ideologische Spaltung kommt hier nicht vor. Stattdessen wird mir erklärt, dass sich der Westen dem ganzen Berlin zugehörig fühlte. Vielleicht sind damit die Besuche der Freunde mit den prall gefüllten Geschenktaschen vom „Spiegel“ bis zum Edamer („bei uns im KaDeWe gibts hundert Sorten!“) gemeint? Irgendwie lebte ja jede Halbstadt im Schatten der Mauer, dem West-Berliner war die Toscana näher als Köpenick. Irgendwann gewöhnte man sich an diesen widernatürlichen Zustand – nur jene, die die SED aus fernen Landstrichen direkt in die Schützengräben des Kalten Krieges rund um die DDR-Hauptstadt delegiert hatte, kannten nicht, was da hinter der Mauer er- und gelebt wurde. Jetzt, in dieser Ausstellung, kann jeder alles nachholen, was er schon immer über West-Berlin wissen wollte. Die Trümmerstadt. Der Aufbau in den drei Sektoren. Blockade und Währungsreform. Die Insel-Industrie und ihre Abwanderung gen Westen, hie freiheitliche Demokratie, da „demokratischer Zentralismus“ nach sowjetischem Muster. Im Westen wurde investiert, im Osten demontiert. Und trotzdem vieles geschaffen, was Bestand hat. Wird der West-Berliner Wohnungsbau behandelt, fallen einem unwillkürlich jene Leute ein, die mit Erich Honecker die 100 000. renovierte Altbauwohnung in Prenzlauer Berg bejubelt hatten. Und die plötzlich im Schaufenster ihres Gemüseladens Ananas, Bananen und Apfelsinen erblickten – der Honecker könnte ja den Kiez am Arkonaplatz mit einem Spaziergang beehren, und da mochte man doch keine Kohlkopfdekoration haben, wie üblich.

West-Berlin als Schaufenster und Vorposten der freien Welt wurde, man halte sich fest, von 1951 bis 1989 mit einer Billion D-Mark subventioniert. Die Bewohner der Stadt am Tropf waren zwar eingemauert, aber sie waren freier als „die da drüben“, also wir. In Tempelhof und Tegel stand ihnen die Welt offen, unsereins traf sich mit seinen Verwandten in Prag oder an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Und dort erzählten wir den West-Berlinern, was es bei ihnen Neues gab – dank Friedrich Luft, der SFB-Abendschau, Rias und Kennzeichen D. Waldbühnenkonzerte, Boxen, Freiheitsglockenläuten, Promis im ICC, Filmfestspiele, Grüne Woche, Funkausstellung, ITB – Mensch, Meier, wussten die wirklich, wie gut sie es haben? Im Biotop mit dem eigenen Sound, den man in der Ausstellung überall hören kann: die langen „Kreuzberger Nächte“, „Ich trink auf dein Wohl, Marie“, „Wunder gibt es immer wieder“, Hildchen Knefs Sommersprossen und unsere Nina Hagen „Auf’m Bahnhof Zoo im Damenklo“. All dies ohne Bundeswehr, aber mit einem eindrucksvollen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, der in seiner Radiosendung „Wo uns der Schuh drückt“ brennende Fragen beantwortete: Solch kommunale Freizügigkeit scheint aus der Mode gekommen zu sein, vielleicht nimmt Michael Müller den Faden wieder auf? Würde der „Abendschau“ gut tun!

Freilich war es auch ein Privileg, in der Ost-Hauptstadt zu wohnen: billige Speisen, bezahlbarer Wohnraum, Kultur en masse, schöne Bücher, gefragte Klassik-Schallplatten. Auch wir wurden von der halben Republik subventioniert: Bauleute aus Suhl karrten ihre Platten für den Wohnungsbau nach Berlin, während zu Hause die Häuser verfielen. Vorwärts, und nicht vergessen! Leider gab es gerade mal das „Ganymed“ oder die „Offenbachstuben“, wohin man den Westbesuch führen mochte, um irgendwann platziert zu werden. Prenzlauer Berg sah der Kreuzberger Mischung ziemlich ähnlich. Nur der Unfug war etwas anderer Art als bei den West-68ern mit Losungen wie „Alle Professoren sind Papiertiger“, „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ oder „Keine Macht für niemand“. „Lesben, erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ Wie schrieb der Autor Horst Bosetzky nach der Wende über den West-Berliner: „Er ist einem Einzelkind vergleichbar, dem, im Altberliner Sound, Puderzucker in den Arsch geblasen wurde, nun aber hat er nicht nur einen Zwillingsbruder bekommen, sondern auch die Familie als Ganzes ist wichtiger geworden als er.“

Nicht mehr klein-klein, sondern Groß-Groß. Wir haben eine neue Stadt, jetzt ist ganz Berlin ’ne Wolke, und West-Berlin im Museum. Demnächst bitte noch so eine schöne Schau: über „Ost-Berlin“.

Die Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum im Ephraim-Palais, Poststraße 16, Mitte, läuft noch bis zum 28. Juni.

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