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Letzte Lokalrunde: Berlins besondere Eck(kneip)en

Humpen, Schlager, vergilbte Gardinen. Und manchmal sogar eine Dusche für Gäste. Eine Fotoausstellung in Neukölln würdigt 25 Berliner Eckkneipen – eine aussterbende Art.

Geht auf’s Haus, sagt die Kellnerin mit dem feuerrot gefärbten Schopf. Zack, stehen drei Weingläser auf der Plastiktischdecke. Kleine Erfrischung, ruft der Wirt mit dem Goldschmuck im Raucherbass herüber. Der Nachbartisch mit den Bierchen bechernden Senioren hebt solidarisch die Humpen: Prösterchen! Bisschen vorsichtig nippen – au weia, das goldgelbe Zeug ist Pfirsichwein. Dann ist erst mal Schluss mit Reden. Die Kellnerin schmeißt die Jukebox an, ist ja Herrentag, da muss Musike sein. „Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen“, dröhnt es durch die Kneipe. Kann ja alles nicht wahr sein, aber ist es – in der Bergklause in der Boddinstraße in Neukölln.

Pia Wessels und Peter Liptow haben es hier als Eckkneipenausforscher auch schon fast zum Stammkunden gebracht. Die Bühnenbildnerin und der Fotograf zeigen mit ihrer nur noch dieses Wochenende in der Galerie des Saalbau Neukölln laufenden Ausstellung „Berliner Eckkneipen – 25 Wohnzimmer“ ein Stück aussterbender Alltagskultur. In 90 von Peter Liptow fotografierten Bildern setzen die beiden in Friedenau und Kreuzberg geborenen Schulfreunde der Kneipe der kleinen Leute ein Denkmal. So vorzufinden sind die in höherer Dichte wenig überraschend meist nur noch in Neukölln, Kreuzberg, Moabit und Wedding. In Mitte oder Prenzlauer Berg gebe es sie kaum noch, sagt Wessels. Da blühen dafür massenhaft Szenebars und Cafés, die natürlichen Feinde der Eckkneipe. Oder auch in Steglitz, wo Pia Wessels eines Morgens nicht mehr ihre übliche belegte Schrippe mit einer Tasse Filterkaffee frühstücken konnte, weil die Eckkneipe dicht war. Ein paar Wochen später machte dann ein Latte-Café auf, erzählt sie. So fing das Projekt Eckkneipen an.

Peter Liptow ist 44 und da sozusagen aufgewachsen. In seiner Familie habe das Feierabendbier Tradition, sagt er. Schon vom Vater her. Der war Polizist, Gewerkschaftler, Kneipengänger. Und mit Oma und Opa ging er als Junge immer in der Eckkneipe Mittag essen. „War ganz normal damals“, sagt er. Nun nicht mehr. Mit dem Schwinden der Arbeiterkultur in der Stadt gehen auch der Eckkneipe die Kunden aus. Da mag sie noch so mythenträchtig sein. Angestellte, Kreative, Studenten zieht’s nicht zur geblümten Eckbank, dem tiefbraunen Mobiliar, den vergilbten Gardinen. Hier in der Bergklause komplettiert von Topfpflanzen, Porzellantigern und einem von Glittergirlanden und Kunstblumensträußen zugewucherten Tresen, an dem alle Tage Silvester und Frühlingsfest zugleich ist.

„Eckkneipen sind natürlich gewachsen“, kommentiert Peter Liptow diese eigenartigen guten Stuben. Ganz das Gegenteil der räumlichen Kühle moderner Bars. Und in die Gesichter der Menschen auf seinen Fotos hat sich die Patina aus Tabak, Alkohol und Leben so tief eingebrannt wie der Zigarettenrauch in die Wände der Bergklause. Nachkolorierte Stillleben in Sepia sind das, die den warmen Braunton der hölzernen Bierschwemmen betonen und Einrichtung wie Gäste nicht einfach nur dokumentieren, sondern leicht überhöhen. „Aber nicht als sentimentale Schau“, wie Pia Wessels feststellt. Sondern als Bestandsaufnahme eines Orts, eines Menschenschlages, einer Gemeinschaft, die es so mutmaßlich nicht mehr lange gibt. Für Peter Liptow hat die Eckkneipe ganz klar eine sozialpolitische Funktion: „Die ist wichtig, besonders für die Alten, die ohne sie allein vor der Glotze sitzen.“ So wie die Oldies in der Bergklause, die gerade freudig einen Nachbarn samt dessen Dackel Heidi begrüßen.

In Kneipen wie der Schöneberger Haltestelle hat die Wirtin für ihre obdachlosen Stammgäste sogar eine Dusche installiert. Das sei ihm sympathisch, sagt Peter Liptow, der beim Vertrauensaufbau in den nicht gerade vom Durchgangspublikum geprägten Wirtschaften seine Leberwerte nicht geschont hat. Fast keiner der Eckkneipen-Kunden sei scharf darauf gewesen, fotografiert zu werden, erzählt er. Obwohl sie die dollsten Lebensgeschichten zu erzählen hatten. Nur die Wirte, die meist alle über 60 sind und rund um die Uhr hinterm Tresen stehen, hatten nichts dagegen, abgelichtet zu werden. Herausgekommen sind anrührende Porträts rustikaler Gestalten, wie das der alten Wirtin mit dem einen Zahn. Sie habe das Gefühl, dass sich die Gesellschaftsschichten in Berlin noch nicht mal mehr gegenseitig ansehen, sagt Pia Wessels, vom Begegnen gar nicht zu reden. Da können zumindest Bilder von der Bergklause ein Gegenmittel sein.

Galerie im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, Sa/So 10–20 Uhr, So ab 18 Uhr Finissage mit Kneipengeschichten der Lesebühne Brauseboys und Bier, Eintritt frei.

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