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Das Märkische Viertel wird in großem Stil saniert und zieht jetzt auch wieder Mieter an. Die Wohnungsnot ist aber noch nicht so groß, dass hippe Leute herziehen würden.

© Thilo Rückeis

Wo Neuberliner wohnen: Plattencharme im Märkischen Viertel

Berlin wächst: Junge Menschen steuern zwar weiter die angesagten Gegenden in Kreuzberg und Neukölln an. Aber auch einst verrufene Gegenden wie das Märkische Viertel haben Zulauf. Dort haben sich sogar die Plattenbauten herausgeputzt.

Von Fatina Keilani

Hätte Irmgard Nöske eine Million im Lotto gewonnen, sofort würde sie ihre Koffer packen und auf eine italienische Insel auswandern. Oder nach Bayern. Nun bewohnt die 77-jährige Rentnerin allerdings schon seit 1976 das Märkische Viertel, die Hochhausinsel im Berliner Nordwesten. Statt auf Zypressen schaut Frau Nöske aus ihrem Balkon im 14. Stock auf einen kahlen Innenhof mit gestutzten Platanen. Wie seine Bewohnerin kann auch das Haus selbst von mediterranem Flair nur träumen. Stattdessen: großflächiges Blau-Grau-Weiß auf Beton. Kahle, kalte Wände und hohe Häuserfluchten. Immerhin, alles neuerdings in Neu.

Berlin wächst, das belegen einmal wieder die Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg. Prenzlauer Berg und Neukölln liegen bei den Zuzügen ganz weit vorne, aber auch andere Teile der Stadt werden immer begehrter. Die große Überraschung: Plattenbauviertel der Industrieproduktion West sind beliebter denn je. Im vergangenen Jahr hat die Bevölkerung des Märkischen Viertels um 3,5 Prozent zugenommen – 1260 Menschen zogen in die Reinickendorfer Retortenstadt.

Eine groß angelegte Sanierungsaktion der Gesobau lässt die Satellitenstadt jedenfalls nicht mehr alt aussehen. Seit 2008 läuft das Modernisierungsprogramm, es werden rund 450 Millionen Euro investiert. Damit ist man zum größten Sanierungsvorhaben Deutschlands geworden. „Das Märkische Viertel hat sich total gemacht“, schwärmt David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. „Die sanierten Wohnungen sind top, und es gibt eine gute Infrastruktur.“

Noch nichts für Studenten

Für Studenten ist die Gegend allerdings wohl nicht attraktiv genug. Vor den frischen Grün- und Grautönen der Plattenwände steht zwar ein Infokasten der Gesobau: „Wir haben Wohnungen für Studenten“. Mit bunten Farben und einer modernen Innenausstattung wird auch um junge Familien geworben. Besonders die Einzimmerwohnungen sollen attraktiven Wohnraum bieten. Aber das 35-Quadratmeter-Apartment kostet auch 303 Euro kalt – und dafür ist man ganz schön weit draußen.

Der Lockruf der Gesobau verhallte bei jungen Leuten ungehört. Nur zehn Wohnungen seien im vergangenen halben Jahr an Studenten gegangen, heißt es aus dem Vermietungsbüro der Gesobau.

Das entspricht den Empfindungen der Bewohnerin Nicole Salomon. Die 35-Jährige, von Beruf Verkäuferin, wohnt seit fünfzehn Jahren im Märkischen Viertel und sagt: „Hier ziehen Leute weg, aber nicht zu.“ Die Zahlen des Amtes für Statistik wundern sie. Und junge Leute? „Für Studenten ist es hier doch zu teuer und zu weit weg“, sagt Salomon.

Die Lage entscheidet

Für dasselbe Geld bekommt man im angesagten Nord-Neukölln schon ein schönes WG-Zimmer. Doch auch dort dürften die Preise künftig mit der Nachfrage steigen. Allein 2809 Menschen zogen im vergangenen Jahr in diese Gegend. Sehr gefragt sind auch zentral gelegene Plattenbauten. Auf die Lage komme es an, sagt Steffi Pianka, Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Die WBM hat in den vergangen Jahren mit dem besonderen Charme ihrer Plattenbauwohnungen geworben.

Unter dem Motto „Jeder m² Du“ spricht sie junge Neuberliner an. „In den letzten Jahren ist der Trend zur Platte bei uns sehr deutlich geworden“, erzählt Pianka. Die Plattenwohnungen rund um den Alexanderplatz, in der Spandauer Vorstadt und in Friedrichshain waren schnell vom Markt. „Heute haben wir keinen Leerstand mehr in diesen Beständen“, sagt Pianka. Sie sieht den Grund für das Revival der Platte vor allem in der relativ günstigen Miete und der Wandlungsfähigkeit der Wohnungen. „Unsere Mieter toben sich hier richtig aus und machen was aus den Wohnungen“.

Auch für den Studenten Cedric Goussanou und seine drei WG-Mitbewohner waren diese Argumente für den Umzug in die Platte am Kottbusser Tor vor zwei Jahren ausschlaggebend. „Aber der Charme der Platte ist bei uns vor allem ein dreckiger“, sagt Goussanou. Andere scheint das weniger zu stören – „in unsere Nachbarwohnungen ziehen immer mehr Studenten und junge Paare ein“. Ein Trend? Vielleicht hat es die Platte geschafft, Teil des großen Berlin-Mythos zu werden. Solange die Lage stimmt.

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