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Das Ehepaar Fluhr- Araújo (rechts) teilt seine Wohnung mit acht Teilnehmern des Taizé-Treffens, die mit dem Bus aus Portugal angereist sind.

© Paul Zinken

Charlottenburg: Die Taizé-WG

Eine Charlottenburger Familie hat acht Teilnehmer des christlichen Jugendtreffens aufgenommen. Insgesamt hatte sie 16 Schlafplätze angeboten. Könnte sein, dass es in den nächsten Tagen noch etwas enger wird.

Helena Araújo müsste eigentlich am Schreibtisch sitzen. Das Manuskript, das sie gerade übersetzt, hätte sie längst abgeben müssen. Aber stattdessen steht die 47-Jährige an diesem Mittwochmittag in der Küche über einem riesigen Topf mit Wasser für Spaghetti. Im Esszimmer sitzen acht hungrige Gäste, die früh um sechs Uhr mit dem Bus aus Portugal gekommen sind. Bis zum 1. Januar wollen sie in Berlin singen, meditieren, beten und Menschen – und natürlich die Stadt kennenlernen. Die acht sind Fans der christlichen Gemeinschaft Taizé, die im französischen Burgund angesiedelt ist und einmal im Jahr ein großes Jugendfestival in einer europäischen Stadt veranstaltet. Diesmal findet das Treffen in Berlin statt, 30 000 Jugendliche aus aller Welt sind dazu angereist.

Wobei „Jugendliche“ weit gefasst wird: Die acht Männer und Frauen, für die Helena Araújo Nudeln kocht, sind in den 30ern. Vor drei Stunden standen sie mit ihren Rucksäcken, Iso-Matten und Schlafsäcken bei den Fluhr-Araújos in Charlottenburg vor der Tür, jetzt könnte man meinen, sie gehören zur Familie. Einer der Männer schnippelt in der Küche Schinkenstücke für die Vorspeise, die anderen plaudern mit Gastvater Joachim Fluhr am Esstisch. Das Wohnzimmer haben sie gemeinsam in ein Matratzenlager verwandelt, ebenso das Zimmer des Sohnes, der gerade in den USA zur Schule geht. Die Altbauwohnung ist nicht gerade klein, und es gibt drei Bäder. Dennoch: Selbstverständlich ist es nicht, acht Gäste aufzunehmen, Frühstück zu machen und abends vielleicht noch einen Trunk für die Nacht zu bereiten. Erst vergangene Woche hat sich das Ehepaar dazu entschlossen, als sie hörten, dass noch 3000 Schlafplätze gesucht werden. Sie meldeten sich bei der Pfarrgemeinde: „Wo acht sind, können auch 16 übernachten.“ Könnte sein, dass es in den nächsten Tagen noch etwas enger wird.

Joachim Fluhr und Helena Araújo sind katholisch. Schon als ihre beiden Kinder noch Säuglinge waren, sind sie mit ihnen immer mal wieder für eine Woche nach Taizé in Burgund aufgebrochen. Sie schwärmen von der Einfachheit des Lebens dort, von der Begegnung der Menschen, die von überall herkommen, von der besonderen spirituellen und friedlichen Atmosphäre. Als die Kinder größer wurden, sind sie auch deshalb mit ihnen nach Taizé gefahren, weil sie ihnen christliche Werte weitergeben wollen. „Sie sollen lernen, dass es mehr gibt als das eigene Ich und den eigenen Suppentopf“, sagt Joachim Fluhr. Heute sind die Kinder 15 und 17 Jahre alt und pilgern selbst nach Taizé. Die Tochter hilft außerdem bei der Organisation des Jugendtreffens.

Dass nun ausgerechnet Portugiesen bei ihnen übernachten, ist ein ganz besonderer Zufall für Helena Araújo. Sie stammt aus Portugal, die acht bringen ein bisschen alte Heimat mit. „Ich dachte, ich mache Frühstück und gut ist“, sagt Helena Araújo, am Dienstag kehrte die Familie aus dem Weihnachtskurzurlaub zurück. Als die Tochter am Mittwoch um 8.30 Uhr sagte: „Die sind schon alle in Berlin“, zuckte die Mutter zusammen. „Aber jetzt bin ich so froh, dass wir unsere Tür geöffnet haben“, sagt Helena Araújo und stellt die dampfenden Spaghetti auf den Tisch. Sie lacht und scherzt mit den Gästen, am Nachmittag wollte sie ihnen Berlin zeigen, bevor das Festivalprogramm unter dem Funkturm beginnt. Sieht ganz so aus, als würde ihr Manuskript noch ein bisschen warten müssen.

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