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"Mauerkrieger" im Buch-Porträt: Molotow-Cocktails gegen die Berliner Mauer

Vier aus der DDR ausgebürgerte junge Männer griffen von West-Berlin aus die Berliner Mauer an - mit Molotow-Cocktails und Bolzenschneidern. Ein neues Buch erzählt mehr über die Aktionen.

"Man muss sich doch rühren, ehe das Ding zusammenkracht", schrieb Erwin Strittmatter 1953 in seiner Erzählung „Eine Mauer fällt“. Er meinte natürlich nicht die Berliner Mauer, die erst 1961 gebaut wurde und die er in einem Schreiben an Günter Grass als „notwendig“ bezeichnete. Ganz anderer Meinung waren die vier jungen Männer aus Halle, die 1989 sein Motto ernst nahmen und nach ihrer Ausreise aus der DDR in West-Berlin Aktionen gegen die Mauer unternahmen: von Protesttransparenten an Aussichtsplattformen bis zu Molotow-Cocktails auf Grenztürme und Bolzenschneider-Attacken auf den Streckmetallzaun am Stadtrand im Berliner Südwesten. „Mauerkrieger“ nennen die Herausgeber einer Dokumentation der Stiftung Berliner Mauer die militanten jungen Leute. Das ist hoch gegriffen, und zu Fall gebracht haben die Mauer nicht sie, sondern die friedlichen Mauerstürmer des 9. November in Ost- Berlin.

Ein bisschen dürften sie sich wohl dennoch als Sieger der Geschichte gefühlt haben, wenn dieser pathetische Begriff auf sie anwendbar wäre. Nach ihrem Selbstverständnis gehörten sie in der DDR zur Heavy-Metal-Szene, die – wie alle Formen des Jugendprotests – politisch kriminalisiert wurde und „deren Weg über die Musik in den Konflikt mit dem SED-Staat führte“. In West-Berlin fanden sie politisch Anschluss an die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), die für demonstrative Aktionen an der Berliner Mauer bekannt war, während die alternative Szene West-Berlins, in der sie sich sozial und kulturell bewegten, in ihrer politischen Einstellung zur DDR gespalten war.

Bei einer Demonstration zum 13. August 1988 am Checkpoint Charlie sahen sich die Kreuzberger Autonomen sogar „genötigt, gegen die Reaktionäre der IGFM anzutreten. Mit denen hatte ich den Abend zuvor noch in einer Kreuzberger Kneipe gefeiert“, erinnert sich einer der vier Ausgebürgerten. Bekanntlich war es der DDR auch gelungen, Inoffizielle Mitarbeiter in die alternative Szene – und die „Alternative Liste“ – einzuschleusen; auf die IGFM war unter anderen eine Übersiedlerin aus Halle angesetzt, die schon in der DDR für die Stasi gespitzelt hatte.

Kein Wunder, dass Einreiseersuchen der Vier aus West-Berlin in die DDR stets abgelehnt wurden, mit der internen Begründung des MfS, der Antragsteller sei Mitglied der „Feindorganisation IGFM“: „Bei Einreise muss mit Aktivierung bestehender Rückverbindungen und feindlich-negativer Inspirierung gerechnet werden.“ Eine Voraussage, die sich selbst erfüllte: Als die Vier nach dem Mauerfall wieder frei einreisen konnten, machten sie sich Anfang 1990 mit Flugblättern zur Montagsdemo in Halle auf. Nicht als Sieger, sondern auf Seiten der Opfer: „Auf den Flugblättern befanden sich Geschichten von Stasi-Opfern. Wir haben uns eingemischt. Das ist das Ende der Geschichte.“

– Ole Giec, Frank Willmann (Hg.): Mauerkrieger. Aktionen gegen die Mauer in West-Berlin 1989. Ch. Links Verlag, Berlin 2014. 128 Seiten, 14,90 Euro.

Hannes Schwenger

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