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Es tut sich was nördlich des Hauptbahnhofs.

© Kitty Kleist-Heinrich

Europacity in Berlin: Am Hauptbahnhof wächst eine neue Stadt

Die Bäume sind gepflanzt, bald starten die nächsten Bauprojekte. Nicht mehr lange, dann ziehen die ersten Bewohner ins neue Riesenquartier beim Hauptbahnhof. Doch nicht alle freuen sich über den Wandel.

So flanieren wie auf der Heidestraße geht sonst nirgends in Berlin. Den sieben Meter breiten Gehweg hat man ganz für sich. Rechts eine maschendrahtbewehrte Mondlandschaft, links die tägliche Blechkarawane, noch weiter links liefern sich Baggerfahrer einsame Rennen gegen die eigene Langeweile.

Aber die Bäume stehen, alle 137, Ulmen und Hainbuchen, in drei Reihen gepflanzt. Auf dem Mittelstreifen, drei Meter breit, ist sogar noch Platz für Kartoffelrosen und Apfelbeeren. So viel Straßengrün gönnt sich Berlin selten. Auch der Querschnitt der künftigen Allee ist bereits erkennbar: 38 Meter, doppelt so breit wie die Friedrichstraße. Dies hier wird ein „Boulevard“ und eine „Hauptgeschäftsstraße“, so das erklärte Planungsziel. Mit „wirklich urbanem Leben“ rechnet Markus Diekow vom Immobilienunternehmen CA Immo allerdings erst in acht bis neun Jahren. Urbanität ist eine sehr empfindliche Pflanze.

Noch in diesem Jahr soll der vierspurige Boulevard mit Radfahrstreifen und Parkbuchten fertig werden. „Wir hoffen, schneller zu sein als angenommen“, sagt Martin Pallgen von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Angenommen wurde Ende 2016. Spätestens dann wird sich der tägliche Stau wahrscheinlich auflösen. Die Senatsverwaltung rechnet auch nach Fertigstellung des Quartiers nicht mit wesentlich mehr Verkehr. 42.400 Autos pro Tag werden für das Jahr 2025 prognostiziert, 2009 waren es 1000 weniger.

Berlin setzt konsequent seine Architektursprache der gesichtslosen Schuhkartons fort!

schreibt NutzerIn matbhm

Im Sommer Baubeginn für erste Wohnungen

Noch in diesem Jahr starten die nächsten Bauprojekte in der sogenannten „Europacity“, zu der auch die bereits fertigen Hotels gegenüber dem Hauptbahnhof und der Total-Turm gehören. Der zweite Turm daneben, die Zentrale des Stromnetzbetreibers 50Hertz, ist schon im Rohbau fertig. Weiter nördlich beginnt der Bau des „Apothekerhauses“, dort will 2018 der Spitzenverband der Apotheker einziehen.

Ende 2018 könnten auch die ersten Bewohner in das Neubauquartier östlich der Heidestraße einziehen. In diesem Sommer soll Baubeginn für die ersten 200 von 560 Wohnungen sein, die zwischen dem Stadtplatz am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal und dem Kunstquartier Hamburger Bahnhof entstehen sollen. Insgesamt sind in der Europacity 2800 Wohnungen vorgesehen.

Die neuen Geschosswohnungen mit den breiten Terrassenfenstern in strenger kubischer Form sind nur schwer in Einklang zu bringen mit den schlichten grauen Gründerzeitfassaden, die Krieg und DDR-Grenzregime hier übrig gelassen haben. Haus Nummer 45 wirkt unbewohnt, ein paar Nummern weiter südlich sind die Klingelschilder noch beschriftet. „Haus Kunst Mitte“ steht über dem Hauseingang der 54. Hier residiert die „Asyl der Kunst“-Stiftung, die sich für Künstler einsetzt, die abseits des Marktes arbeiten.

Stadthafen wurde gestrichen

Die Heidestraße war in den nuller Jahren ein zentrales Kunstquartier der Stadt. 20 Galerien sollen hier zeitweise residiert haben, doch mit Beginn der Bauarbeiten zogen fast alle an die Potsdamer Straße. Der „Kunst- und Gewerbehof“, im Eigentum der Berliner Traditionsfirma Kuthe, konserviert das alte Heidestraßenviertel, mit einer wilden Mischung aus Holzbaracken, Blechhütten und ehrwürdigen Backstein-Fabriketagen; seine Fans würden es gerne als „gallisches Dorf“ im künftigen Neubauviertel erhalten. Neben Maschinenverleih und einem Laden für Handwerkerbedarf sind hier auch ein Designstudio und der Modeladen „Darklands“ ansässig. Prominenteste Mieter sind die Graft-Architekten, die weltweit für ihre Entwürfe gefeiert werden. Was aus dem Gewerbehof werden soll, ist offen. Eine Anfrage bei Kuthe blieb ohne Antwort.

2025 werden die Schuppen, Hallen und Mietshäuser am neuen Boulevard liegen, der neuen Läden, Restaurants und Supermärkten Platz bieten soll. „Mal sehen, ob das alles auch so kommt. Der Stadthafen wurde ja auch schon gestrichen“, sagt Martin Schiewe, der an der Heidestraße eine Motorradwerkstatt betreibt.

Teure Eigentumswohnungen

Schiewe würde gerne bleiben, die Kundschaft aus den nahe gelegenen Bürotürmen weiß das konkurrenzlose Angebot zu schätzen. Den nächsten Händler gibt es erst in Wedding. Auch die Total- Tankstelle erscheint Schiewe durchaus sinnvoll an einer vielbefahrenen Bundesstraße, der B 96. Doch die Tanke passt nicht mehr in die neue Zeit, haben die Planer entschieden. Wann sie schließen muss, ist unklar.

Berlin, die große Stadt der Kunst, soll künftig auch Sammler beherbergen, dafür stehen am „Kunst-Campus“, der nördlichen Erweiterung des Hamburger Bahnhofs, künftig teure Eigentumswohnungen zur Verfügung. Nebenan bauen die Firmen Ernst Basler AG (Bau, Beratung) und Edel AG (Musikverlag) ihre Repräsentanzen.

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