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Groß, größer, Groß-Berlin. Der Alexanderplatz, aufgenommen im Sommer 1906. Im Oktober des Vorjahres hat das Kaufhaus Tietz mit dem charakteristischen Globus auf dem Dach eröffnet, das bis dato größte Warenhaus der Stadt.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Wolkenkratzer am Alexanderplatz

Die Reichshauptstadt wächst und wächst, die Bodenpreise explodieren. Der Stadtplaner Werner Hegemann bringt eine Idee aus Amerika mit: Warum nicht Hochhäuser im Zentrum bauen fürs Business - und neue Wohnungen in den grünen Randbezirken?

Es wird eng und enger in Berlin. Einige suchen das Weite. Andere die Höhe. 1905 hat die Zahl der Einwohner die Zweimillionengrenze überschritten, die Bevölkerung hat sich seit 1877 verdoppelt. September 1906: Wir blicken aus dem Grand-Hotel auf den belebten Alexanderplatz. Vorsicht beim Überqueren der Straße, die Elektrische klappert nicht mit den Hufen! Man sollte ein geübter Großstädter sein, um im Verkehrsgewühl unbeschadet bis zur Mittelinsel zu gelangen. Von dort blickt die eiserne Berolina über das Treiben. Hinter ihr erhebt sich das neue Kaufhaus, der Globus auf der Turmspitze trägt den Namen Tietz. Oscar Tietz, der sein Geschäft nach seinem Stiefonkel und Förderer Hermann Tietz benannt hat, eröffnet am Alexanderplatz im Herbst 1905 sein zweites Warenhaus in Berlin, das erste steht seit 1901 in der Leipziger Straße.

Dem Neubau am Alex muss auch das Haus am Königsgraben 10 weichen, in dem Lessing seine Minna von Barnhelm vollendete. Es soll ungefähr an der Stelle gestanden haben, wo der Künstler Walter Womacka 65 Jahre später den "Brunnen der Völkerfreundschaft" errichtet. Bereits beim Bau des Warenhauses wird klar, dass es zu klein ist – sinnfällig für eine Stadt, die so rasant wächst, dass sie ihre Maßstäbe verliert. 1910 wird angebaut, 1911 steht am Alexanderplatz "das größte Warenhaus der Welt", so ist in einer Festschrift zu lesen. Allein die Schaufensterfront misst 250 Meter. Sieben Etagen, verbunden über Fahrstühle und Paternoster, ein Warenhaus, das keine Wünsche offen lässt. "Selbst Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hat kein gleiches aufzuweisen."

Der Hochhausbau soll auch mehr Grundwertsteuern in die Stadtkasse bringen

Aus Amerika bringt der Stadtplaner Werner Hegemann neue Visionen mit. Der Architekturkritiker, bedrückt von Enge und Elend proletarischer Wohnquartiere, hat in New York und Philadelphia neue Wohnprojekte kennengelernt und will Berlin als Gründer des "Propaganda-Ausschusses für Groß-Berlin" zur modernen Metropole formen. Im Januar 1913 spricht Hegemann sich in der "Berliner Illustrirten Zeitung" für den Bau von Hochhäusern für Büros und Geschäfte im Zentrum aus, um die Verteuerung der Innenstadtflächen zu bremsen. Gleichzeitig soll der Wohnungsbau in den Vororten gefördert werden. Allerdings warnt er mit "Rücksicht auf die Schönheit des Stadtbildes" davor, "zügellos in die Höhe zu bauen" wie im südlichen New York, wo die "Bureautürme in ganz engen Straßen so dicht" stehen, dass "von guter Lüftung, Beleuchtung und freier Aussicht nicht mehr die Rede sein kann". Hinzu komme das Verkehrschaos, wenn "bei Bureauschluß aus jeder dieser in die Luft gebauten Bureaustädte Tausende, ja Zehntausende hervorbrechen" und es "lebensgefährliche Sturmläufe auf die verfügbaren Verkehrsmittel" gebe. Gleichwohl sieht Hegemann viel Luft nach oben: für Wolkenkratzer in der City mit unterirdischen Bahnhöfen. Und für fünf- bis zehnmal höhere Grundwertsteuererträge, die Berlin von Hochhausbesitzern verlangen könnte, während die "auf die Gesundheit ihrer Kinder bedachten Bewohner in die luftigeren Vororte" ziehen.

Das erste Berliner Hochhaus entsteht jedoch nicht in der Innenstadt, sondern in der Peripherie. An der Warschauer Straße errichtet die Auergesellschaft (später Osram-Werke) 1909 ein zehngeschossiges Gebäude. Der sogenannte Narva-Turm misst mit dem modernen fünfstöckigen Glasaufbau aus dem Jahr 2000 eine Höhe von 63 Metern.

Aber Berlin mag wachsen, wohin es will – Enge beherrscht die kühnste Fantasie. In seiner Vision "Bei Kempinski im Jahr 2000", erschienen 1904 in der Zeitschrift "Berliner Leben", sieht der Autor Eugen Isolani das gefragte Weinrestaurant in der Leipziger Straße zu einem Hochhaus mit 30 Stockwerken angewachsen. Doch hat die „Größe des Etablissements niemals mit dem Wachstum Berlins und der Beliebtheit der Kempinskischen Küche" mithalten können. Auch im Jahr 2000 bleibt es fast aussichtslos, einen Tisch zu reservieren.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie hier.

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