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Franzosen-Siedlungen: Angst vor der Flugstille in Tegel

Die ehemaligen Siedlungen der französischen Streitkräfte am Flughafen Tegel sind eine Zone der Ungewissheit. Wenn der Airport schließt, könnte es mit der Abgeschiedenheit der 600 Bewohner vorbei sein.

Die Nachbarn von Otto Lilienthal leben im Paradox. Sie sagen „Schön ruhig hier“, während hinter ihnen gerade eine Boeing vollen Schub gibt. Das Paradox fällt ihnen gar nicht mehr auf. Manuel Schwarz, ein langer Dünner mit Bartstoppeln „hätte nix dagegen“, wenn der Flughafen Tegel so bliebe, wie er mal gedacht war. Mit viel Lärm und Kerosingestank.

Hier ist Berlin am Ende. Die Rue Ambroise Paré führt direkt an den Bretterzaun, die Lärmschutzwand, erst vor zwei Jahren installiert. Der Grund: Es war mal wieder lauter geworden. Rechts davor steht ein großer rechteckiger Kasten mit verrammelten Fenstern, eine ehemalige Schulturnhalle. Die Cité Pasteur, die ehemalige Siedlung der französischen Streitkräfte am südöstlichen Flughafenrand, ist eine Zone der Ungewissheit. Unter den rund 600 Bewohnern kursierten Gerüchte über Abrisspläne. Viele Häuser müssten dringend saniert werden, einige stehen leer. Eigentümer ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Die stellte vor einigen Monaten klar, es gebe Bestandsschutz für die Siedlung. Von Sanierung und Aufwertung war nicht die Rede.

Das „schön ruhig“ der Bewohner bezieht sich vor allem auf die dörfliche Abgeschiedenheit ihrer Siedlung. Es gibt nur eine Zufahrt vom Kurt-Schumacher-Damm. „Keene Randale, jeder kennt jeden“, erzählt der 21-jährige Schwarz, dessen Familie vor allem wegen der billigen Mieten zugezogen ist. Hier gibt es Unmengen leerer Parkplätze und Garagen. In zweien davon stehen alte Golfs, die Schwarz gerade aufmöbelt. Einen fährt er im Sommer, den anderen im Winter.

Wer in der Cité Pasteur wohnt, wollte dorthin, direkt an den Flughafen. Dass die Lärmschutzwand gezogen wurde, die nun die Sicht versperrt, hat viele Bewohner verärgert. Auch ihre Besucher, die „Planespotter“, Flugzeugfreaks, die Fotos machten, wenn die dicken Jumbos krachend in den Himmel stiegen. Nebenan, im Fitness- und Squashcenter von Jeffrey Burton, haben die Planespotter Pause gemacht und was getrunken. Auch Burton wird den Flughafen vermissen.

Der ADAC betreibt nebenan sein Testgelände, hinten liegt „McParking“, der Billigparkplatz mit Shuttle-Service. Globeground, die Firma für den Flughafenservice, betreibt ein kleines Lagerhaus. Ohne den Flugbetrieb wird es hier noch stiller.

Das nördliche Pendant zur Cité Pasteur ist die Cité Guynemer. Hier geht es beschaulicher zu, die Mietshäuser sind frisch gestrichen. Zwischendrin liegen Einfamilienhäuser mit Gärten, an deren Pforten gelbe Schilder vor dem Wachhund warnen. Außer Hunden ist kaum jemand zu Hause. Hier können Spaziergänger mittig die Kopfsteinpflasterstraßen entlanglaufen. Die Einfahrt in die Siedlung ist nur Anwohnern erlaubt. Eine Polizeistreife beschützt die Ruhe der Menschen, denn gelegentlich rollt eine Limousinenkolonne durch die Stichstraße mit dem Ziel Regierungsflughafen. In einem der Autos sitzt dann Kanzlerin Merkel.

Auch hier hört man die Flugzeuge aufsteigen, aber zum Ohrenbetäuben reicht es nicht. „Sehr gute Nachbarschaft“, lobt Sabine, die mit ihrem Partner vor zwei Jahren zugezogen ist. „Einige WGs mit Pflegebedürftigen gibt es hier.“ Einen schönen Blick hat Sabine von ihrem Balkon auf den Flughafen. Der Freund der Tochter schätzt den Ausblick ganz besonders. Und nur ein paar hundert Meter entfernt befindet sich der Flughafensee, mit Badestrand. Ideal im Sommer.

Zwischen den Cités – direkt unter der Einflugschneise, zwischen Scharnweberstraße und Autobahnzubringer – liegt eine merkwürdige Siedlung, sie ist eine Mixtur aus Gewerbegebiet und Datschenidyll. Wenn gerade kein Flugzeug startet, wirkt Tegel hier im Gegenlicht der untergehenden Sonne wie die afrikanische Savanne. Ein Grundstück ist mit Wohnwagen, Karussellteilen und Buden zugestellt. Auch die ehemalige Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde steht hier.

„Mein ganzes Haus zittert, wenn da so eine große Maschine drübergeht“, sagt eine ältere Frau am Gartentor. 1927 wurde ihr Häuschen gebaut, da dachte noch niemand an einen Flughafen. „Früher war das mal eine richtig schöne Siedlung.“ Ihre Nachbarn haben längst aufgegeben und sind weggezogen. Die Grundstücke übernahm der Senat und verkaufte sie an Unternehmer.

Die Industrie- und Handelskammer würde angrenzende Wohngebiete wie die Cité Pasteur gerne in Gewerbegebiete umwandeln, als Pufferzone zu den erwünschten Industrieansiedlungen auf dem Flughafen. Dann würde sich der Fluglärm in Lkw-Lärm wandeln und das Wohnen wäre weiterhin nur etwas für Hartgesottene.

Für die Nachbarn, die weiter weg wohnen, an Schäfersee und Residenzstraße, erhofft sich Reinickendorfs Baustadtrat Martin Lambert (CDU) eine deutliche Steigerung der Lebensqualität. „Dort hatten wir 20 Jahre lang keine Nachfrage.“ 2010 gab es erstmals wieder Anfragen zum Bau von Mietshäusern. Auch für das Einkaufszentrum am Kurt-Schumacher-Platz hofft Lambert auf eine Belebung. „Höher bauen ging dort bisher nicht.“

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