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Kontrapunkt: Schuld ist immer ein anderer

Ob Autozündler oder wild campende Großfamilien: Berlin wird von einer unfassbaren Unzuständigkeit regiert, sagt Lorenz Maroldt - und zwar parteiübergreifend. Welche Wahl haben die Bürger am 18. September eigentlich?

Nahezu jedes Problem, mit dem Bürger konfrontiert werden, wird vom Bürokratenapparat aus Senat, Bezirken, Behörden, Ämtern und Institutionen mit einem anderen, noch größeren Problem gekontert: der Handlungsunfähigkeit. Irgendwer findet immer irgendeinen Paragrafen, aus dem sich angeblich ableiten lässt, dass eine andere Institution, ein anderes Amt, eine andere Behörde, der Bezirk oder der Senat zuständig ist, und dort einmal angekommen, wird das Problem nach einem entarteten Subsidaritätsgedanken wieder nach unten delegiert. Der Bürger mit seinem Problem verzweifelt erst am praktizierten Kafkaismus, dann reihum an den Parteien und am Ende an sich selbst: Warum, so fragt man sich, lassen sich die Leute das gefallen? Andererseits: Was sollen sie tun?

Zum Beispiel den oder die Autoabfackler schnappen, wie der Regierende Bürgermeister meint. Die Polizei glaubt zwar, sie wüsste, um wen es sich handelt, nämlich um jenen Herren, der, einmal auf frischer Tat ertappt, von einem unerschütterlich gutgläubigen Richter auf Bewährung freigestellt wurde. Aber dieser mit ladungsfähiger Adresse versehene und durch Foto und Anschauung bekannte Berliner läuft offenbar mit einer Tarnkappe durch die Stadt, so dass es leider nicht möglich ist, ihn von wenigstens einem der inzwischen 160 Mann starken Spezialabteilung überwachen zu lassen. Das müssen dann eben die lieben Nachbarn übernehmen.

Und so ist es eigentlich immer, wenn etwas aus dem Ruder läuft in Berlin: Am Ende bleibt’s beim Bürger hängen, so oder so. Absolut prototypisch ist der Fall der vermutlich aus Rumänien stammenden Großfamilien, die mal am Ufer des Glienicker Sees campieren und mal im Görlitzer Park und sich im wahrsten Sinne des Wortes einen Dreck darum scheren, was die Gesellschaft im Kern zusammenhält, also zum Beispiel eine gewisse Rücksicht auf den Nächsten, und das wiederum zum Beispiel bei der Entsorgung von Rückständen des täglichen Lebens sowie bei der versuchten Erzwingung von Münzgeld für unerwünschte oder nicht erbrachte Dienstleistungen. Zwar ist eine bestimmte Rücksichtslosigkeit im Grundsatz auch anzutreffen bei den Angehörigen anderer Stämme, die immerzu Berlin erobern, und, kaum dass sie da sind, andere mit verbalem oder körperlichem Einsatz dazu bringen wollen, sich ihren Normen für das Leben in Berlin gefälligst unterzuordnen; aber am Beispiel der Großfamilien aus Südosteuropa lässt sich die Selbstentblößung des Berliner Regierungsapparats in ihrer ganzen Hilflosigkeit und der daraus folgenden Hilfsverweigerung bestens beobachten.

Die Polizei schaut ab und zu vorbei und wieder weg, das Ordnungsamt ist beschäftigt mit dem Verteilen von Knöllchen und peinlichem politischen Streit mit der FDP, das Jugendamt möchte am liebsten gar nicht wissen, welche Kinder da verwahrlosen und nicht in die Schule gehen, der eine Bezirk sucht angeblich nach einer Lösung, erklärt sich aber für nicht zuständig, der andere Bezirk dementiert Gerüchte, er hätte eine Lösung und fordert den Senat auf, nach einer zu suchen, denn der sei in Pflicht. Dort macht man wiederum die missliche Weltlage für die Wanderung der Familien verantwortlich oder schiebt die überall herumliegenden Windeln wortwörtlich den Bürgern in die Schuhe. Schuld und zuständig ist immer ein anderer. Mittendrin laufen mit besorgter Miene Streetworker herum und lassen sich treuherzig von den Familien versichern, im nächsten Haus, das man ihnen zum Wohnen anbietet, würden sie nicht mehr randalieren, mit dreißig Leuten eine Wohnung beziehen und in den Hinterhof pinkeln. Passend zur karikaturenhaft verzerrten Szenerie meldet sich ein Mann im Park zu Wort und erklärt: „Wissen Sie, ich bin auch linksalternativ eingestellt, aber das ist wirklich unzumutbar.“ Welche Wahl hat er eigentlich am 18. September?

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