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An Berlins Laternenmasten: Kunst aus Müll und Frischhaltefolie

In Berlin hängen Einkaufswagen eingewickelt an Laternen. Das sei Kunst, sagen die Macher. Sie wollen Weggeworfenem verloren gegangene Aufmerksamkeit zurückgeben - bleiben aber anonym, denn sie fürchten Berlins Ordnungsämter.

Die Frischhaltefolie ist so dicht herumgewickelt, dass man nur die Silhouette erkennen kann. Der Gitterkorb ist durch die Folie verdeckt, die Beine hängen heraus. Wie ein Kokon hängt er an einem Laternenpfahl auf dem Alexanderplatz in 1,50 Meter Höhe: ein Einkaufswagen.

Wer das war? „Bestimmt irgendwelche Leute um die zwanzig, die sich einen Spaß machen wollten“, vermutet eine Mitarbeiterin des Drogeriemarktes direkt dahinter. „Keine Ahnung, was das soll“, sagt sie, aber der eingewickelte Einkaufswagen ist eine kleine Attraktion auf dem Alex. Seit Tagen wird das Objekt fotografiert.

Dahinter steckt ein Künstlerkollektiv namens Bosso Fataka, das auch eine eigene Facebook-Seite hat. Und es ist nicht das erste Mal, das die Künstler in Berlin zur Folie gegriffen haben. „Eigentlich arbeiten wir nur tagsüber“, erzählt ein Mann aus der Gruppe, der sich den Künstlernamen Falkland gegeben hat – das mit dem echten Namen wäre heikel, schließlich wird es von Ordnungsämtern ungern gesehen, wenn Menschen irgendwelchen Sperrmüll mit Folie um Laternen wickeln. Das Verkehrsschild sei zwar sichtbar, heißt es bei der Polizei. „Aber was ist, wenn aus drei Metern Höhe so ein Einkaufswagen auf den Kopf fällt?“

Die Künstler sind seit einiger Zeit unterwegs, nicht nur am Alex, sondern auch in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Mal hingen Einkaufswagen im Mauerpark und an der Warschauer Straße. Auch Matratzen, Fahrradskelette, Stühle und ähnliche Fundstücke wurden am Frankfurter Tor, an der Oberbaumbrücke oder am Schlesischen Tor aufgehängt und eingepackt. Besonders die Matratzen fielen dabei ins Auge, denn ihnen wurden Strichgesichter mit leidenden Mündern und Augen verpasst. „Die Matratzen gehören schon zu unseren Lieblingsstücken. Da kann man Gesichter draufmalen und damit bekommen sie eine eigene Seele“, erzählt Falkland.

Die Idee entwickelten die Künstler im vorigen Herbst. Falkland war nach eigenen Angaben durch ein Projekt für sein Designstudium auf die Arbeit mit Frischhaltefolie gestoßen und bat Freunde um Hilfe. Inzwischen bestehe die Gruppe aus fünf Leuten, alle seien um die Mitte zwanzig, alle kämen aus dem Berliner Umland, aus Brandenburg. Sie seien Architekturstudenten und Designstudenten. „Zuerst haben wir aus der Folie eine Art Mauer gespannt, um sie zu bemalen. Dabei haben wir gemerkt, dass dieses Material äußerst tragfähig ist und auch eine gewisse Ästhetik hat.“ Bei Streifzügen durch die Stadt kam zunächst die Idee, Fundstücke von der Straße in „Christo und Jeanne Claude“-Manier einzupacken – dann wurden die Aktionen größer.

„Wir ziehen mit Folie, Sprühdose und Leiter bewaffnet durch die Straßen und setzen Weggeworfenes in ein neues Licht“, sagen sie. „So bekommt der Müll, über den man hinwegschaut, wieder verloren gegangene Aufmerksamkeit und soll zum Nachdenken anregen, aber auch unterhalten.“ Man könne ihre Kunst konsumkritisch sehen, aber es gehe ihnen eigentlich um einen bewussteren Umgang mit Gütern. „So eine Matratze kann man auch länger benutzen“, meint Falkland. „Aber Stadtverschönerung kann man es auch nennen.“

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