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Die Trauer bleibt. Burak B.’s Eltern, Melek (Mitte) und Ahmet B., stellen sich immer wieder die Frage, warum ihr Sohn sterben musste. 84 Hinweise hat die Polizei zwar erhalten, bisher ist aber kein entscheidender dabei gewesen.

© Ufuk D. Ucta

Nach der Bluttat in Neukölln: „Wir ruhen nicht, bis der Täter gefunden ist“

Burak B. wurde vor sechs Wochen auf der Straße erschossen. Bis heute gibt es trotz vieler Hinweise keine Spur zum Täter. Buraks Familie hat Angst - Angst davor, dass der Täter draußen von ihrem Haus herumläuft. Und davor, dass der Mord in Vergessenheit gerät.

In einem kleinen Einfamilienhaus in Neukölln sitzt die Mutter des Ermordeten und sucht nach einer Erklärung. Jeden Tag fragt Melek B., 43, nach dem Warum und wartet. Darauf, dass der Schmerz nachlässt. Darauf, dass endlich das Telefon klingelt und ihr jemand sagt, dass der Mörder ihres Sohnes gefunden wurde. Doch der Anruf kommt nicht.

Sie streicht sich die wirren Haare aus der Stirn, streckt den Arm aus und zeigt auf die Vorhänge. Sie versperren die Sicht auf die Terrasse. Melek B. will es so. Sie will Buraks Honda nicht sehen, der noch immer in der Auffahrt steht, und bei dessen Anblick sie jedes Mal weinen muss. Dann kommt ihre zehn Jahre alte Tochter, legt den Kopf auf den Schoß der Mutter und sagt: „Mami, wein nicht mehr so viel wegen Burak.“ Den Wagen wegzufahren, hat sich offenbar noch niemand getraut.

Buraks Eltern Ahmet und Melek B. kamen in den 80er Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Sie wollten Burak und seinen beiden Geschwistern ein gutes Leben bieten, arbeiteten hart für ihr Haus in Buckow. Burak, 22, war im Kiez beliebt, ging Streit aus dem Weg. Vor eineinhalb Jahren begann er eine Ausbildung zum Automobilkaufmann, später wollte er studieren, sein Traum: neue Autos und bessere Motoren entwickeln.

Der Mann, der Buraks Pläne zerstörte, sagte kein Wort. Es war der 5. April, Gründonnerstag, 1.15 Uhr. Burak stand mit vier Freunden an einer Bushaltestelle in der Rudower Straße. Sie hatten im Treptower Fitnessstudio „Wing Tsun“ trainiert, jetzt wollten sie nach Hause.

Blumen am Tatort erinnern an Burak:

Der Mann kam auf die Gruppe zu, er trug eine grün-schwarze Kapuzenjacke. Plötzlich zog er eine Waffe aus der Tasche, drückte vier, fünf Mal ab. Burak wurde in Brust und Arm getroffen, zwei seiner Freunde, der 16-jährige Alex und der 17-jährige Jamal, wurden lebensgefährlich verletzt. Sie überlebten, doch Burak starb wenige Minuten später im Krankenhaus. Die Kugel hatte seine Lunge durchdrungen, der Notarzt konnte ihm nicht mehr helfen.

Burak B. war auf dem Weg nach Hause, als ihn die tödlichen Schüsse trafen.
Burak B. war auf dem Weg nach Hause, als ihn die tödlichen Schüsse trafen.

© Ufuk D. Ucta

Seitdem suchen Buraks Eltern nach Gründen, warum es ausgerechnet ihren Sohn traf. Burak war ein freundlicher Junge, immer hilfsbereit, weder polizeibekannt noch vorbestraft, sagt sein Vater Ahmet B. „Vor Kurzem saß er noch auf dem Sofa und hat gelacht“, sagt der 44-Jährige. „Jetzt muss ich auf den Friedhof gehen, um mit meinem Sohn zu reden.“

Mehr als sechs Wochen sind seit der Tat vergangen. Sechs Wochen, in denen die Familie viele Theorien aufgestellt hat: War es ein Psychopath? Vielleicht ein Rechtsextremer? „Wir puzzeln uns alles Mögliche zurecht“, sagt eine Cousine. Doch eine Antwort hat keiner, auch die Polizei nicht.

„Buraks Mutter geht durch die Hölle“, sagt Saziye Salaz, die Anwältin der Familie. Rund 800 Seiten umfassen die Akten, die sich in ihrer Kanzlei am Kurfürstendamm stapeln. Darin: viele Details, aber kein handfester Hinweis auf den Täter.

Trotzdem, sagt sie, sei sie mit der Arbeit der Ermittler zufrieden. Vor allem der Chef der 6. Mordkommission, Bernhard Jaß, scheue sich nicht, jedem noch so kleinen Hinweis nachzugehen. Nahezu täglich telefoniert sie mit ihm. Für dringende Fälle habe er ihr sogar seine Privatnummer gegeben - was ungewöhnlich ist, wie Salaz sagt.

Burak wurde in der Sehitlik-Moschee beigesetzt:

15 000 Euro Belohnung hat die Berliner Staatsanwaltschaft für entscheidende Informationen zu der Tat ausgelobt – eine besonders hohe Summe. 84 Hinweise sind inzwischen bei den Ermittlern eingegangen. Aber das Motiv ist weiter unklar. In der Nachbarschaft war schnell die Rede von einem fremdenfeindlichen Anschlag auf die Gruppe der türkisch-, russisch- und arabischstämmigen Jugendlichen. Die Polizei kann diesen Verdacht bisher weder bestätigen noch dementieren. „Es gibt bislang keinen Hinweis auf eine rechtsradikale Tat“, sagt ein Sprecher. „Aber wir ermitteln in alle Richtungen.“

Nur 500 Meter liegen zwischen dem Haus, in dem Burak aufwuchs, und der Stelle, an der er starb. Am Tatort haben seine Freunde Plakate, Blumen und Kerzen aufgestellt. Mehrmals in der Woche kommen sie vorbei, um verwelkte Gerbera und Rosen auszutauschen und neue Grablichter aufzustellen. Hier reden sie über alte Zeiten, lachen und weinen gemeinsam. Hier muss Melek B. jeden Tag vorbeifahren. „Das tut mir so weh“, sagt sie. Häufig nimmt sie einen Umweg durch Nebenstraßen, „um das alles nicht sehen zu müssen“.

Zu der Trauer kommt die Angst. „Vielleicht läuft der Täter nachts vor unserem Haus herum“, sagt Ahmet B. „Das will ich mir gar nicht ausmalen.“

Am meisten Angst, sagt Melek B., hat sie aber vor dem Vergessen. Davor, dass der Mord an ihrem Sohn zu den Akten gelegt wird und dass die Tat nie aufgeklärt werden kann. „Jeder Tag gehört Burak“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Wir werden nicht ruhen, bis der Mörder unseres Sohnes gefunden ist.“

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