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Zwei Töchter, zwei Enkel. Familie Sternheimer aus Spandau.

© Frank Bachner

Kinder und Familie in Berlin: Die Geschichte einer Großmutter im Dauerstress

Dagmar Sternheimer hat innerhalb weniger Wochen gleich zwei Enkel bekommen. Eine Geschichte aus Spandau, erschienen auf unserer Familienseite.

Ein edler Duft hängt in der Parfümerie-Abteilung. Dagmar Sternheimer sieht die Flacons. Sie möchte jetzt Parfüm auf Teststreifen sprühen, den Geruch aufnehmen und genießen. Sie freut sich darauf. Dann sieht sie Elay und Arne, und sie sieht ihre Töchter. Und dann weiß sie, dass sie jetzt das Kaufhaus in der Spandauer Altstadt verlassen wird. Elay ist zehn Wochen, Arne sechs Monate alt, die beiden quengeln, ihr Weinen ist nervenaufreibend, ihre Mütter blicken gehetzt. Sie wollen jetzt raus, sofort, sie wollen die Straße sehen, keine Flacons. Und Dagmar Sternheimer, die Oma von Arne und Elay, hat das Auto. Also geht auch sie raus.

Es ist heiß an diesem Tag im Juni, Elays Mutter Miriam hat sowohl Baby-Tragegurt als auch Kinderwagen vergessen („Stilldemenz“, sagt sie), also hängt Elay in Arnes Baby-Tragegurt und Arne, sieben Kilogramm schwer, abwechselnd in den Armen von Dagmar Sternheimer und in den Armen von deren Tochter Hannah, Arnes Mutter.

Später will Dagmar Sternheimer in einen Supermarkt. „Wir begleiten dich“, sagen ihre Töchter. Doch die 56-Jährige winkt ab. Sie will allein einkaufen, sie will jetzt endlich ihre Ruhe haben. Nur sie und ihr Einkaufswagen. Manchmal kann die Rolle als doppelte Oma sehr anstrengend sein.

„Die Babys sind oft gleichzeitig da“

Ein winzig kleines Enkelkind, kein Problem für die Oma. Aber zwei, wenige Monate auseinander? Wenn die Mütter zudem nur ein paar Gehminuten entfernt wohnen und die Babys jeden Tag zur Oma bringen können? Das ist etwas anderes. Dann besteht der Alltag aus ganz vielen herrlichen, glücklichen Momenten, aber auch aus Szenen, in denen eine bestimmte Parole eiserne Pflicht ist. „Das A und O“, sagt Dagmar Sternheimer, „ist es, die Nerven zu behalten.“

Sternheimer hat mal auf einer Intensivstation gearbeitet, sie hat drei Kinder großgezogen, sie ist Belastungen gewohnt, psychische, physische. Jetzt steht sie auf dem Balkon ihres Hauses in Kladow, unter sich einen weitläufigen Garten mit Rosen und Schwimmbecken. Auf dem Arm hält sie Elay, sie hat ihn fest gegen den Oberkörper gedrückt. Sie tippelt auf der Stelle, ein Schaukeln, das ihn in den Schlaf wiegt. Neben ihr steht Elays Mutter Miriam Sternheimer, die Haare bis zu den Schultern, die Beine in schwarzen Leggings, und sagt: „Es ist doch schön, wenn beide Babys gleichzeitig bei der Oma sind. Sie können sich dann aufeinander beziehen.“ Auch Hannah Sternheimer ist da, Arnes Mutter, sie sagt: „Es erleichtert mein Leben extrem, dass ich das Baby bei der Oma abgeben kann. Der erste Einkauf war wie Urlaub.“

Dagmar Sternheimer tippelt die ganze Zeit, sie nennt das „Oma-Tango“, sie hat sich das Schaukeln so angewöhnt, dass sie manchmal auch tanzt, wenn sie niemanden im Arm hat. „Die Babys sind oft gleichzeitig da“, sagt sie mit ihrer ungewöhnlich warmen Stimme. „Dann ist im Haushalt nichts mehr möglich.“ Sie hat ein Haus zu versorgen, einen Garten zu pflegen, sie kocht für sich und ihren Mann, sie muss allen möglichen Kram am PC erledigen, sie hätte genug zu tun.

Töchter sprechen sich ab

Aber wenn Elay und Arne gleichzeitig da sind, ist klar, was sie tut: Windeln wechseln, singen, Oma-Tango. Und natürlich spazieren gehen. Dann schnallt sie Arne mit dem Baby-Tragegurt an den Oberkörper, schiebt Elay im Kinderwagen und steuert den Glienicker See an, ein paar Gehminuten entfernt. Einkaufen mit den beiden hat sie längst gestrichen. Schreiende Babys, genervte Blicke von Kunden, hektisches Abarbeiten eines Einkaufszettels, hat sie alles gehabt, braucht sie nicht mehr.

Sie hat ja genug damit zu tun, die Abläufe zu koordinieren, wenn sie mit beiden allein zu Hause ist. Wenn sie in der Küche den einen versorgt und aufpassen muss, dass sie nicht auf den anderen tritt, wenn der auf der Decke auf dem Boden liegt. Oder wenn der eine unruhig wird, während sie den anderen windelt.

Hannah Sternheimers Schwangerschaft war geplant, die ihrer Schwester Miriam kam eher überraschend. Und bei der Nachricht, dass sie in so kurzer Zeit zweifache Oma wird, durchströmte Dagmar Sternheimer erst mal nur ein Gefühl: „riesige Freude“. Betreuung, Stress, alles kein Thema. „Ich hatte keine Zeit, mir groß Gedanken zu machen, wie man das alles bewältigt.“

„Ja“, sagt Miriam Sternheimer, „ihr habt cool und locker reagiert“. Aber so cool und locker reagierte Dagmar Sternheimer auch, weil sie sich ohnehin immer gewünscht hat, als Oma sehr präsent zu sein. „Meine Enkel benötigen erst mal keinen Kitaplatz“, sagt sie. „Ich kümmere mich um sie, wenn die Eltern Unterstützung brauchen, das war klar.“ In der Regel sprechen sich die Mütter ab, wenn sie zur Oma kommen. Entweder weil sie sich dort treffen wollen oder weil sie gerade verhindern wollen, dass Dagmar Sternheimer beide Babys auf einmal zu betreuen hat.

Babys sind vier bis fünf Stunden da

Nett, diese Rücksichtnahme, nur nützt sie nicht immer. Vor wenigen Tagen war Elay allein bei Dagmar Sternheimer, nur: Er weinte die ganze Zeit, und die Oma wusste nicht, weshalb. Und deshalb fühlte sie sich unendlich erleichtert, als irgendwann Elays Mutter zurück vom Sport kam. Diese Erleichterung hielt genau ein paar Sekunden. Dann klingelte Hannah Sternheimer und brachte Arne vorbei.

Miriam, die 30-jährige Industriekauffrau, will zwei Jahre zu Hause bleiben, so lange wird auch Dagmar Sternheimer viel und intensiv Zeit mit Elay intensiv verbringen. An vielen Tagen sind es vier, fünf Stunden, an denen die Babys da sind, oft gemeinsam mit ihren Müttern. Jeder kümmert sich, so wie es gerade gebraucht wird. Großfamilie halt. Die Industriemechanikerin Hannah Sternheimer, zwei Jahre älter als ihre Schwester, wird im März 2017 wieder in ihren Betrieb gehen. Kein Problem, die Oma ist ja da. „Ich finde es toll, dass mein Sohn erst mit drei Jahren in eine Kita gehen muss.“ Und die Väter? Die arbeiten Vollzeit. Und der Opa? Arbeitet ebenfalls.

Ab März 2017 wird es dann einfacher – oder auch nicht. „Dann sind ja beide mobil“, sagt die Oma, und in der Wohnung gibt es genug Sachen, die man anfassen, umwerfen oder hochheben kann. Andererseits: Solange sie sich nicht gegenseitig hochschaukeln, geht es ja noch. „Das Gebrüll“, sagt sie, „ist die größte Belastung.“ Doch das ist völlig vergessen, wenn die Enkel ihre Zuneigung zeigen – mit unnachahmlicher Mimik, die direkt ins Herz zielt. Dagmar Sternheimer war vor Kurzem ein paar Tage mit ihrem Mann verreist. „Als wir zurückkamen, haben uns die Kinder angelächelt, einfach herrlich.“

Es gab allerdings auch einen Moment, in dem ihr beim Gedanken an Babys „regelrecht die Gesichtszüge entglitten“. Das war, als Simon, ihr Sohn, vor nicht so langer Zeit mit Grabesstimme eine wichtige Mitteilung ankündigte. Dann folgte der Satz: „Ich werde Vater.“ Drei Babys? Dagmar Sternheimers Blutdruck sackte ab. Aber ihr Sohn hatte noch eine zweite Mitteilung, nach einer Kunstpause. Sie lautete: „Hey, Mama, heute ist 1. April.“

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