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Wanderbaustelle. Martin Germer, Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, auf dem Gerüst am neueren Glockenturm neben dem sanierten Altbau.

© Mike Wolff

Berlin-Charlottenburg: Die Gedächtniskirche bröckelt schon wieder

Während die Sanierung der alten Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fast beendet ist, wurden jetzt erneut große Schäden an Betonwaben des neueren Glockenturms entdeckt. Aber es gibt auch gute Nachrichten.

Bröckelnde Steine, rostendes Eisen und andere Schäden an den Baudenkmalen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz gehören zum Alltag von Martin Germer. Zum Glück hat der Pfarrer der evangelischen Gemeinde für sich entdeckt, dass Bautechnik ihre spannenden Seiten hat. Es ermüde ihn gar nicht, seit Jahren mit Experten über Sanierungen der berühmten Gebäude zu reden, sagt er. „Ich bin froh, dass ich hier sein kann. Es ist interessant, aus den Gesprächen entstehen auch neue Ideen.“

Und der Gesprächsstoff geht nicht aus, obwohl die Sanierung des alten Turms fast beendet ist, der sich seit der weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als 71 Meter hohe Ruine und Mahnmal präsentiert. Die Gerüste sind weg, bis Anfang nächsten Jahres soll auch die Gehweg-Überbauung mit einer weißen Baustellenplattform verschwinden.

Der neuere Turm ist sanierungsbedürftig

Doch dafür wurden soeben wieder große Schäden an den Betonwaben des neueren Glockenturms entdeckt, der von Egon Eiermann gestaltet und 1961 einweiht worden war.

Betonwaben bröckeln und Eisen rostet. Der 1961 eingeweihte Kirchturm von Egon Eiermann muss mal wieder saniert werden.
Betonwaben bröckeln und Eisen rostet. Der 1961 eingeweihte Kirchturm von Egon Eiermann muss mal wieder saniert werden.

© Mike Wolff

Der 53-Meter- Turm ist seit dem Sommer eingerüstet, bisher nur für Untersuchungen. Nun ist klar, dass er dringend saniert werden muss, wie Germer dem Tagesspiegel bei einem Rundgang über das Gerüst zeigte.

Noch gibt es keine Kostenkalkulation, der Pfarrer rechnet grob mit einem „einstelligen Millionenbetrag“. Oben gebe es „kein Wabenfeld ohne Schäden“. In Höhe der Glockenstube sei die Fassade filigraner als unten, damit der Schall gut hinausgelange. Das mache die dortigen Betonwaben besonders anfällig.

Claudia Schiffer warb auf Riesenpostern

Drei Mal wurde der Turm schon saniert: in den 1970er und 1980er Jahren und von 1999 bis 2000. Bei der letzten Reparatur erregten Riesenwerbeposter an der Fassade viel Aufsehen; auf einem warb Model Claudia Schiffer für Kosmetik.

Die neuen Probleme wurden erstmals im Frühjahr deutlich, als ein etwa 25 Zentimeter langes Betonstück herabfiel und Rostspuren an der Stelle aufwies, wo das Armierungseisen angebracht war.

Trümmerteile en gros

Als Kletterer dann lockere Teile lösten, kam so viel Material zusammen, dass man zwei Badewannen hätte füllen können. Germer spricht fachmännisch von „Carbonatisierung“. Kohlenstoff dringe in den Beton ein, und „das saure Niveau nimmt den Rostschutz weg“.

Als nächster Schritt ist ein Test an ein paar Waben geplant. Geprüft wird, ob und wie man das Eisen mit frischem Beton ummanteln kann. Die Kosten trägt die Wüstenrot-Stiftung, die auch die bisherige Untersuchung finanzierte.

Auch die Kapelle wird modernisiert

Darüber hinaus zahlt die Stiftung 1,4 Millionen Euro für die im kommenden Jahr geplante Sanierung der Kirchenkapelle. Diese erhält Toiletten, eine Teeküche, eine Wärmeschutzverglasung und neue Klimatechnik. Germer verspricht sich davon endlich eine „gute Temperierung für Veranstaltungen“. Außerdem würden auch an der Kapelle Betonwaben ausgebessert und der begrünte Umgang neu bepflanzt.

Woher kommt neues Geld?

Der Pfarrer glaubt nicht, dass die Stiftung sich auch noch die ganze Restaurierung des Eiermann-Turms aufbürden möchte. Und er bezweifelt, dass man für diesen so viele Spenden einwerben kann wie bei der „Fugenpaten“-Aktion, die mit Einnahmen von rund 1,4 Millionen Euro zur 4,2 Millionen Euro teuren Sanierung des alten Turms beigetragen hatte. Also brauche man öffentliche Zuschüsse oder müsse wieder Riesenplakate anbringen.

Draußen wird das Plateau restauriert

Aktuell sucht die gemeindeeigene Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche „Podiumpaten“ für das Plateau, auf dem das Gebäudeensemble steht. Hier geht es um weitere 1,4 Millionen Euro. Eingedrungenes Wasser, die Witterung und Erschütterungen haben starke Schäden und Unebenheiten verursacht. Schilder warnen vor Stolperfallen. Bald sollen Musterplatten einen Vorgeschmack auf das restaurierte Plateau geben. Es wird mit dem ursprünglichen mehrfarbigen Betonboden gestaltet, ohne die später hinzugefügten Pflastersteine.

Beim Saxofon-Fest spielen 200 Musiker auch in der Umgebung

Große Pläne hat die Gedächtniskirche aber nicht nur baulich. Am 6. November gibt es das spektakuläre Saxofon-Festival „sax200.berlin“ in den eigenen Gebäuden, auf dem Breitscheidplatz, im Europa-Center, in drei Hotels und andernorts in der Umgebung. 200 Musiker spielen zum 200. Geburtstag von Adolphe Sax, dem Erfinder des Instruments.

Bald ist das eine Bühne. Pfarrer Germer im alten Turm, der im Zweiten Weltkrieg größtenteils ausgebombt wurde. Im November spielen Musiker an gleicher Stelle beim Saxofon-Festival „sax200.berlin“
Bald ist das eine Bühne. Pfarrer Germer im alten Turm, der im Zweiten Weltkrieg größtenteils ausgebombt wurde. Im November spielen Musiker an gleicher Stelle beim Saxofon-Festival „sax200.berlin“

© Mke Wolff

Die Idee kam Pfarrer Germer durch viele Jazzkonzerte in der Kirche. Der daran maßgeblich beteiligte Musiker Uwe Steinmetz, Kirchenmusikdirektor Helmut Hoeft und die Saxofonistin Birgitta Flick organisieren das Festival.

Saxofonisten können sich dafür bewerben, denn ein paar fehlen noch (Näheres unter www.sax200.de). „Von mir aus können auch 250 Leute mitmachen“, sagt Germer. Unter den Mitwirkenden seien bekannte Ensembles, Studenten, Musikschüler und Lehrer.

Als Höhepunkt am 6. November gilt ein „internationale Friedenskonzert“ ab 19 Uhr: Das Quartett „Clair-Obscur“ und eine Sängerin treten in der einstigen Orgel- und Chorempore des alten Turms auf. Die Musik wird elektronisch verstärkt auf den Breitscheidplatz übertragen, wo weitere Saxofonisten das Klangbild ergänzen wollen.

Eine Kreativagentur hat als Finanzierungsbeitrag eine Crowdfunding-Kampagne gestartet (www.crowdfans.de). Es geht um weitere 7500 Euro.

Die Empore im alten Turm soll zugänglich werden

Auf längere Sicht hat Pfarrer Germer noch mehr vor mit der Empore über der Gedenkhalle. Er möchte sie für Besucher öffnen und eine Ausstellung einrichten, die an den Krieg und seine Folgen erinnert.

Der Ort sei geeigneter als die Halle, in der man die Ruine oben ja nicht sehe.

Es könne auch Andachten geben – etwa an Jahrestagen der Bombennacht vom 22. auf den 23. November 1943, in der die Kirche schwer getroffen wurde. Zurzeit stehen nur Klimaanlagen der Gedenkhalle auf der Empore.

Noch aber fehlt das Geld für die Umgestaltung – und wegen der Turmschäden muss die Gemeinde erst einmal andere Prioritäten setzen.

- Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.

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