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Kolorierte historische Fotos: Berliner Blütejahre

So farbenfroh war die Stadt vor 100 Jahren: Ein Bildband verblüfft mit handkolorierten Fotos.

Es ist ein beliebtes Gedankenspiel: Was wäre passiert, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre? Wenn Berlin zum Beispiel nicht zu großen Teilen im Zweiten Weltkrieg zerstört worden wäre. Oder niemals in Ost und West geteilt worden wäre. Eine Ahnung davon, was aus der Stadt hätte werden können, vermittelt eine Sammlung historischer und dennoch zeitlos wirkender Fotografien, die kürzlich als Bildband veröffentlicht wurde: Berlin-Aufnahmen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die einst von Malern per Hand koloriert wurden.

Der Effekt ist bemerkenswert: So dynamisch wie auf diesen Zufallsfunden aus dem österreichischen Volkshochschularchiv hat man das historische Berlin wohl kaum je gesehen. Plötzlich scheint die graue Stadt von vor 100 Jahren, die man bisher nur von Schwarz-Weiß-Fotos und ebensolchen Filmen zu kennen meinte, in Farbe wiederaufzuerstehen

Durch die ungewohnten Farben, die man mit aktuelleren Aufnahmen assoziiert, wirken die Glasdiapositive und Stereobilder wie der Vergangenheit entrissen und ermöglichen den direkten Vergleich mit der bunten Gegenwart – wobei zumindest bei der Eleganz der Architektur die Vergangenheit oftmals besser abschneiden dürfte, auch wenn man mit den damaligen Lebensumständen nicht tauschen möchte, deren Härte durch Schwarz-Weiß-Bilder von Heinrich Zille und anderen illustriert wird.

Fast 250 Fotos versammelt der Band „Berlin – Die Welt von gestern in Farbe“. Sie zeigen den Kutschenverkehr vor der Neuen Wache Unter den Linden und das bunte, wenngleich bemerkenswert überschaubare Treiben auf der Friedrichstraße. Man sieht stolze Arbeiter, die auf der Baustelle des Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. gegenüber dem ebenfalls im Bau befindlichen Stadtschloss posieren und Handwerker, die die Kugel einer Gaslaterne reparieren. Es sind Momentaufnahmen einer Millionenstadt am Anfang ihrer Blüte, die in ihrer Lebendigkeit fast schmerzlich daran erinnern, wie viel davon in den folgenden Jahrzehnten wieder verloren gehen sollte.

Christian Brandstätter (Hg.): „Berlin – Die Welt von gestern in Farbe“, mit Texten von Philipp Blom, Brandstätter-Verlag, 160 Seiten, 29,90 Euro

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