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Espiners Berlin: Wir müssen diese Mauer immer noch abreißen

Die East Side Gallery hat ihren Zweck erfüllt. Egal, was David Hasselhoff sagt, sie ist keine Mauergedenkstätte. Erhaltet die Kunst, aber entfernt die Mauer, sagt Mark Espiner.

Berlin, es ist Zeit für einen Realitäts-Check. Die East Side Gallery ist keine Galerie. Es ist ein langer Abschnitt einer Mauer mit schlechtem Karma, der – bis auf ein paar Ausnahmen – mit eher schwachen Graffiti und Straßenkunst überzogen ist, die es so vor 1989 nicht gab. Während der letzten Tage hörte ich ein ganzes Wirrwarr an aggressiv präsentierten Argumenten zur Rettung der mittlerweile schon lückenhaften Mauer, die hier immer noch als längster, ununterbrochener Abschnitt des einst so gehassten Teilungsbauwerks ausgewiesen wird. Diese Argumente riefen sogar den Schutzheiligen von Berlin und Baywatch, seine Heiligkeit David Hasselhoff auf den Plan, mit dem Ziel zu helfen.

Es geht hier ganz um die Geschichte, sagen die Hasselhoff-Anhänger. Diese Mauer abzureißen wäre respektlos gegenüber denen, die ihr Leben beim Fluchtversuch aus der DDR verloren hatten. Sie muss erhalten werden, unter allen Umständen, um das Andenken an die Vergangenheit zu bewahren. Der heilige David hat so gesprochen.

Mark Espiner meint: "Berlin, es ist Zeit für einen Realitäts-Check. Die East Side Gallery ist keine Galerie."
Mark Espiner meint: "Berlin, es ist Zeit für einen Realitäts-Check. Die East Side Gallery ist keine Galerie."

© Thilo Rückeis

Doch dieser Abschnitt der Mauer ist weder eine historische Repräsentation, noch eine Gedenkstätte. Es ist eher ein Berlin im Disney-Format. Während die Leute über die Echtheit und Unversehrtheit dieses 1300 Meter langen Mauerteils diskutieren, kann ich mich nicht dagegen wehren, mir das Punk-Camp vorzustellen, das dort einst, wie mir berichtet wurde, seine Heimat hatte. Das ist jetzt weg. Weg sind auch die DDR-Patrouillenboote auf der Spree und der Stacheldrahtzaun. Anstatt dessen ist jetzt eine Seite der Mauer, die zuvor nie dekoriert war, mit Wandgemälden bemalt, von denen manche auf der Westseite der Mauer an anderen Orten der Stadt existiert haben.

Für all die, die so auf Authentizität pochen, habe ich einen Vorschlag: Sollte man die East Side Gallery nicht noch mit ein paar Themenpark-Elementen ausstatten, um einen Eindruck der Mauer vor und nach 1989 zu geben? Vielleicht einen abgetrennten Teil mit Hausbesetzern und Hunden, daneben ein paar kostümierte DDR-Wachsoldaten mit Spielzeuggewehren. Daraus könnte eine gute Alternative zu Check Point Charlie werden, oder nicht?

Und was die sogenannte Kunst anbelangt, ist es prima, dass sie dokumentiert wurde. Man findet jedoch auf der anderen Seite des Flusses in Kreuzberg eine Straßenkunst, die wirklich lebendig und ein Teil der Berliner Kultur ist, im Gegensatz zu diesen eher konservierten Kunststücken.

Liegt nicht der ganze Sinn von Street Art in deren Zeitgenössigkeit? Es gibt allerdings einen viel ernsteren Punkt bei diesen farbigen Motiven. Wenn ich die Touristen sehe, wie sie die Mauerbilder fotografieren oder ihnen selbst etwas hinzufügen, erinnert mich das an einen Zoo. Leute, die durch Gitterstäbe etwas ankucken, das eigentlich nicht dort sein sollte. Es ist im Grunde nur die farbenfrohe Dekoration einer Waffe der Unterdrückung. Während der Kunstakt die Macht hatte, im Jahr 1990 etwas so grotesk Widerliches zu transformieren, verdient es doch nicht zwangsläufig in seiner ganzen Länge von 1300 Metern weiterzubestehen.

Als ich nach Berlin kam, wollte ich die Mauer sehen. Ich war überrascht, dass die Stadt nicht mehr daraus machte. Nun da ich hier seit einer Weile lebe, wird mir bewusst, warum.   Die Maueranlage an der Bernauer Straße, die geschmackvoll zu einem Open Air-Museum ausgeweitet wurde, ist ein bewegendes Zeugnis der Vergangenheit. Sehen Sie sich die Fotografien der Gesichter der Menschen an, die versuchten, in der Nähe der Gartenstraße zu fliehen. Das hat, zumindest für mich, mehr Macht zu bewegen und zu schockieren, als die East Side Gallery. Der kleine, nahezu unberührte Abschnitt an der Liesenstraße erinnert auch stark an die Realitäten vor 1989. So auch der Mauerabschnitt in der Niederkirchnerstraße, der das ehemalige Reichsluftfahrtministerium von dem früheren Gestapogefängnis abtrennte und somit das Bauwerk des DDR-Regimes von 1961 in einem etwas besseren totalitären Kontext darzustellen vermag, als der Abschnitt an der Oberbaumbrücke. 

Es gibt natürlich ein Argument für die Konservierung der East Side Gallery. Sie ist letzten Endes eine Art Symbol für die kurze Zeitspanne der friedlichen Revolution zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Und nun agiert die Mauer wieder einmal als Barriere gegenüber dem Kapitalismus, so wie sie es ironischerweise auch zu DDR-Zeiten tat: sie steht nun den Baulöwen im Weg. Für neue Ausdrucksformen der Stadt sollte sie nun jedoch wirklich den Weg frei machen. Ob das für noch mehr Luxuswohnungen sein muss, ist eine andere Frage.

Sie können Mark Espiner eine E-Mail schicken an mark@espiner.com und ihm auf Twitter @deutschmarkuk folgen.

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