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Die Lichter der Großstadt. Hier am Rosenthaler Platz in Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Beleuchtung: Experten warnen vor Lichtsmog in Berlin

Strahlende Bürowände, blinkende Reklametafeln: Was für viele zu jeder Metropole gehört, bringt andere um Schlaf und Gesundheit. Die O2-Arena muss nun nachts ihre Leuchttafel abschalten. Ab Mittwoch wird dagegen das Licht wieder für Freude sorgen.

Den Terrier hatte sie nicht gesehen, plötzlich stand der winzige Yorkshire vor ihr auf dem Weg. Eigentlich kennt Linda, Schülerin vom Schlesischen Tor, die Pfade durch den Treptower Park ganz gut. Den vielen Hunden wich sie in den vergangenen Monaten problemlos aus. Doch diesen Donnerstag gegen 19 Uhr, dann das: „Es war auf einmal dunkel, an meine Stecklampen hatte ich beim Losfahren nicht gedacht. Da rennt mir der Hund unter’s Rad“, sagt Linda. Wo Jugendliche kürzlich Frisbee spielten und kühles Bier tranken, herrscht nun Dunkelheit.

Und diese scheint gerade besonders gefräßig – obwohl jeder einzelne Tag nur etwa fünf Minuten kürzer wird. Auf einmal dämmert es längst, wenn viele Berliner gerade erst ihr Büro verlassen. Wer nach dem Job noch einkaufen geht, muss Zuhause erstmal die Lichter einschalten. Es ist jedes Jahr dasselbe – und trotzdem: "Daran muss man sich erst wieder gewöhnen", sagt Linda.

Das merken derzeit auch die hauptamtlichen Lichtprofis. Zuständig für die öffentliche Beleuchtung ist Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), sie wiederum hat den Energieversorger Vattenfall damit beauftragt, die Berliner Laternen zu warten. Und Vattenfall hat eine Hotline für Störfälle eingerichtet, dort geht ein freundlicher Helfer ans Telefon. Die telefonische Betreuung habe er erst vor ein paar Tagen übernommen – und dennoch schon mit hunderten Anrufern gesprochen. "Täglich melden sich bis zu 150 Menschen bei uns", sagt er. Meist wollten sie mitteilen, wo Laternen kaputt sind, "oder sie beschweren sich, dass das Straßenlicht zu schwach sei." Viele Anrufer seien ungeduldig, sie wollten es offenbar schnell richtig hell haben. Auch Mitarbeiter der Ordnungsämter berichten, dass sich derzeit wieder mehr Anwohner über dunkle Uferwege und Parks beschweren.

Wer nachts Berlin überfliegt, und schon Paris oder London bei Dunkelheit von oben gesehen hat, weiß: Die Stadt geht mit Licht sparsamer als andere Metropolen um. Vor 20 Jahren konnte man hier noch mit bloßem Auge die Milchstraße erkennen. Inzwischen kommen zu den 180.000 Elektrolaternen und 44.000 Gasleuchten, hunderttausende Autoscheinwerfer hinzu, strahlende Bürotürme, blinkende Reklamewände...

Die Lichter der Großstadt mögen sich positiv auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner auswirken, gesund scheinen sie aber nur in Maßen zu sein. Experten jedenfalls warnen vor Lichtsmog, der den Nachthimmel illuminiere und den Biorhythmus durcheinanderbringe. Stefan Klinkenberg ist so jemand, der unter zu viel Licht zu leiden hatte. Der Blick aus dem Fenster sei einst „ein Schock“ für ihn gewesen. Sein Büro in der Köpenicker Straße in Kreuzberg liegt der O2-World am anderen Spreeufer gegenüber. Deren riesige Leuchtdiodentafel, schlicht LED genannt, ist die größte Deutschlands. Nach der Eröffnung 2008 war die Leuchtkraft so stark, dass "die ganze Umgebung wegen der bewegten Werbeschriften flackerte", sagt Klinkenberg, der selbst Architekt ist.

Bei der O2-World gab es anfangs keine Auflagen zum Licht. Der US-Betreiber, die Anschutz Entertainment Group, sei "Las-Vegas-mäßig in die Vollen" gegangen, sagt Baustadtrat Hans Pannhoff (Grüne). Für die Anwohner am gegenüberliegenden Spreeufer ein Lichtgewitter. Der Bezirk leitete ein Verwaltungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ein, das eineinhalb Jahre dauerte. Auf dem Gebiet der Lichtverschmutzung gibt es juristisch wenig Erfahrung. Nun darf die LED-Tafel an der Südfassade nur noch zu Veranstaltungen betrieben werden, um 24 Uhr muss sie erlöschen. Die tagsüber eingesetzte Lichtstärke muss abends außerdem halbiert werden. Ähnliches gilt für die Nordtafel, die weit über die Gleise am Ostbahnhof zu sehen ist. Was bei O2 nicht gerade die Stimmung gehoben hat, man wohne ja hier schließlich "in einer Metropole und nicht im Dorf", sagt ein Sprecher.

Historisch gesehen hat Licht viel mit Macht zu tun. Im Mittelalter galt nächstens grundsätzlich Ausgangssperre. Nur die königlichen Nachtwachen durften durch die dunklen Straßen ziehen. Ihre Fackeln waren Herrschaftssymbole. Und die ersten 27 öffentlichen Berliner Gaslaternen wurden 1826 Unter den Linden entzündet – die Arbeiterkieze blieben noch für Jahre dunkel.

Aus medizinischer Sicht war das allerdings nicht das Schlechteste. Ärzte berichten zunehmend von Schlafstörungen durch aufputschendes Licht, auch abseits der O2-Arena oder des Potsdamer Platzes. Nicht zuletzt wegen "drohender Lichtverschmutzung" hat der Senat diesen Februar ein neues Lichtkonzept vorgestellt. Weniger, dafür gezielter beleuchten, heißt die Devise. Einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Dunkelheit und Kriminalität gibt es ohnehin nicht, auch Unfälle nehmen kaum zu. Die Polizei empfiehlt aber, Straßenlicht so einzusetzen, dass schon bei vier Metern Abstand entgegenkommende Gesichter erkennbar sind.

Als völlig unumstritten gilt das Farbspektakel, das wie jeden Herbst am kommenden Mittwoch startet: Beim 7. Festival of Lights werden die Wahrzeichen der Stadt erstrahlen. Zwölf Nächte lang soll es 80 Installationen geben. Bis zum 23. Oktober werden jeden Abend zwischen 19 und 24 Uhr der Berliner Dom, der Hauptbahnhof und die Humboldt-Box in verschiedenen Farben nach Ideen von Künstlern illuminiert.

Doch es hilft alles nichts: Die Stadt versinkt erst mal weiter in der Dunkelheit – bis Ende Dezember, zur Wintersonnenwende. Dann steht Berlin die längste Nacht des Jahres bevor: mit über 16 Stunden.

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