zum Hauptinhalt
Solidaritätsbekundung für attackierten Rabbiner in Berlin: Antisemitismus in Deutschland hat unterschiedliche historische und kulturelle Ursprünge.

© dapd

Antisemitismus: Vermutlich arabischstämmig

Christian Wulff bekam viel Beifall für den Satz, der Islam gehöre zu Deutschland. Weniger leicht ist es, zu akzeptieren, dass der islamische Antisemitismus damit auch zu Deutschland gehört. Das gesellschaftliche Instrumentarium im Kampf gegen diesen Antisemitismus existiert noch nicht.

Wer den Rabbiner am vergangenen Dienstag in Berlin im Beisein seiner Tochter krankenhausreif geschlagen hat, ist noch unbekannt. „Vermutlich arabischstämmige Jugendliche“, mehr wissen wir über die Täter nicht. Deshalb lässt sich der Generalsekretär des Zentralrats der Juden auch auf keine Unterscheidung ein. Die Juden, sagte Stephan Kramer, würden sich nicht „vor diesem antisemitischen Terror auf deutschen Straßen“ beugen, „egal, ob es radikale Muslime oder Neonazis sind, die uns und damit die Gesellschaft bedrohen“. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dagegen hatte bei dem Überfall auf den Rabbiner sofort die deutsche Geschichte mit dem Holocaust im Kopf, bekannte sie in einem Interview.

Dass die Tat antisemitisch war, ist offenbar, dass die Tat vermutlich von deutschen Jugendlichen begangen wurde, auch. Damit ist sie ein antisemitischer Angriff deutscher Jugendlicher auf einen Rabbiner. Es war sehr leicht, dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff Beifall zu klatschen, als er den Satz sagte, „Der Islam gehört zu Deutschland“. Weniger leicht ist es, zu akzeptieren, dass der islamische Antisemitismus damit auch zu Deutschland gehört. Der Hinweis auf die Abstammung der Täter ist keine moralische Entlastung: Der Aufgabe, gegen diesen arabischstämmigen Antisemitismus Stellung zu beziehen, so neu dies sein mag für dieses Land, kann es sich nicht entziehen. Dieser Antisemitismus ist, auch wenn sich das noch nicht bis zur Antifa herumgesprochen hat, inzwischen so deutsch wie der altbekannte.

Bildergalerie: "Kippa-Flashmob" gegen Antisemitismus

Gleichwohl macht es durchaus einen großen Unterschied, ob in Deutschland ein Rabbiner von radikalen Muslimen oder von glatzköpfigen Neonazis angegriffen wird. Nicht, weil es Antisemitismus unterschiedlicher Ordnungen und Bedeutung gäbe oder die Bedeutung von Gruppen wie der NSU dadurch relativiert werden könnte. Sondern weil die Motivation eine jeweils andere ist und damit auch der Umgang mit den Jugendlichen ein anderer sein muss. Die Aufgabe der Gesellschaft, von der Stephan Kramer auch spricht, ist in beiden Fällen unterschiedlich. Zu ignorieren, dass Antisemitismus unterschiedliche historische und kulturelle Ursprünge haben kann und stattdessen festzuhalten an der Vorstellung eines virulenten, historisch determinierten Antisemitismus in Deutschland, wäre falsch.

Das, was deutscher Antisemitismus sein kann, hat sich offenbar verändert. Das zeigt nicht zuletzt der Angriff auf den Rabbiner. Die deutsche Geschichte ist nicht mehr die einzige Folie, vor der sich Antisemitismus in Deutschland abspielt. Diese geschichtspolitische Erkenntnis ist entscheidend, weil der Kampf gegen den islamischen Antisemitismus ohne Rückgriff auf die deutsche Vergangenheit geführt werden muss. Das Thema ist ein anderes, die emotionale Unterfütterung eine andere: Ein arabischstämmiger Jugendlicher, der in Berlin einen Rabbiner zusammenschlägt, denkt dabei, anders als die deutsche Justizministerin, vermutlich nicht an den Holocaust. Das gesellschaftliche Instrumentarium im Kampf gegen diesen Antisemitismus existiert aber noch nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false