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Willkommen bei Mummenschanz.

© promo

Mummenschanz gastiert in Berlin: Formschöne Fantasie

Seit 40 Jahren tourt Mummenschanz mit bunten Illusionen um die Welt. Ab heute gastieren die Schweizer in der Komischen Oper in Berlin-Mitte. Mit einer Tonne Gepäck und jede Menge Klopapier.

Das größte Kompliment, sagt Floriana Frassetto, ist, wenn die Leute nach der Musik fragen. Was sie denn da gehört hätten, mittendrin oder kurz vor Schluss, ganz egal. Dann muss Frassetto grinsen. „Wenn wir das schaffen“, sagt sie, „dann ist die Illusion perfekt.“ Denn was das Publikum hört, findet nur im eigenen Kopf statt, pure Fantasie. Ein Krachen hier, ein Rascheln dort, vielleicht ein Klatschen – sonst hört man bei Mummenschanz: rein gar nichts. „La musique de la silence“ – die Musik der Stille – nennt das die Schweizer Theaterformation. „Ihr seid unsere Musik“, sagt Floriana Frassetto, „ihr gebt den Rhythmus vor.“

Was also soll das sein: ein Theaterstück ohne Musik, ohne Sprache? Pantomime! Frassetto verzieht das Gesicht, streckt die Zunge heraus. „Aber nein“, schimpft sie. Pantomime, das sei Mimik. „Und wir haben Masken auf.“ Nicht nur hier, hinter der Bühne, ist Floriana Frassetto, 65, ganz in schwarz gekleidet. Ihr Gesicht ist nie zu sehen, die Formen sind das Zentrum der Performance: die beiden Riesenhände, der grüne Klops, die leuchtenden Schwäne, das grinsende Blatt Papier, die Neon-Gesichter, die weinenden Klorollen. Das ist es, was der Name Mummenschanz ausdrückten soll – eine Kombination aus dem altdeutschen Wort „vermummen“ und dem französischen Wort „chance“ für Glück. Vom Glück, sich zu verkleiden.

Sie bezeichnet es als "Visuelles Theater"

Klingt ein bisschen nach Sektlaune, damals im Paris der frühen 70er Jahre, als drei Schauspielstudenten, inspiriert vom Dadaismus, auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen waren. 40 Jahre und mehr als 60 Länder später ordnet Floriana Frassetto hinter der Bühne die Requisiten. Die 65-Jährige ist die letzte der drei Gründer, die noch spielt – ab dem heutigen Dienstag für eine Woche in der Komischen Oper. Andres Bossard ist Anfang der 90er Jahre gestorben, Bernie Schürch hat sich kürzlich in den Ruhestand verabschiedet. Nur Floriana Frassetto kann sich noch nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu tun als das, was sie immer getan hat. „Visuelles Theater“, sagt sie, das sei der richtige Ausdruck.

Ihr Kopf ist ein Quadrat aus schwarzem Samt. Blind klebt sie Streifen aus Krepp-Band darauf, ein Strichmännchengesicht mit langen Haaren, fesselt einen Mann im Publikum damit an sich – und alle anderen in Gedanken. Reine Interaktion, Kommunikation ohne Worte. Nach wenigen Minuten in dieser verzauberten Stille taucht man ein in eine andere Welt.

Mummenschanz ist ein Farbenspiel aus surrealen Formen, so variantenreich wie die Auslage eines italienischen Antipasti- Buffets, spärlich-dezent ausgeleuchtet.

Eine schwarz-weiß-gestreifte Krake räkelt sich, knallt die vier Extremitäten von rechts nach links, im Publikum rätselt man: Wie viele Menschen stecken wohl darin? Einer pro Bein? Und im grünen Klops, der sich plötzlich öffnet wie Pacman und eine knallrote Zunge über die Mundwinkel schleckt? „Ein einziger für alles“, wird Floriana Frassetto später aufklären. Überhaupt sind es nie mehr als vier Künstler, die sich abwechseln, weniger geht nicht, denn das umziehen dauert.

Mehr als 100 Nummern haben die Künstler in 40 Jahren entwickelt, etwa 25 können sie pro Show zeigen. Häufig geht um Beziehungen, Liebe, Streit oder Eifersucht. Wie bei den Knetmasken: Blind formen zwei Männer daraus Gesichtsausdrücke, zerstören immer wieder die des anderen. Es war der erste Sketch, den Bernie Schürch und Andres Bossard entwickelt haben. „Sie haben sich selbst gespielt, wer ist der stärkere“, erinnert sich Frassetto, „es wird niemals etwas Besseres geben.“

Den Slinky-Man haben sie an den Cirque du Soleil verkauft

Die Riesenhand, die mal zum Daumen, mal zur High-Five wird, war schon mit Helene Fischer auf der Bühne, in der Muppet-Show ist Mummenschanz aufgetreten. Den Slinky-Man, den wandelnde Kinder-Spiel-Schlauch, haben sie an den Cirque du Soleil verkauft. Französische DJs haben neulich einige Formen für einen Videodreh in der Wüste verlangt. „Es ist abgefahrenes Zeug, was sie machen, das ist Kult“, sagt Markus Simmen, Geschäftsführer der Mummenschanz-Stiftung, die seit 18 Jahren die Belange der Künstler vertritt und non-verbales Theater in der Schweiz fördert.

Sie haben es mal kommerzieller versucht, eine Zeitlang tourten drei oder vier Kompanien. Doch die Gründungsmitglieder hatten das Gefühl, dass die Show ihren Charakter verliert, zu sehr Cirque du Soleil wird, sagt Markus Simmen. Mindestens vier Monate dauert es, die Kunst von Mummenschanz zu lernen. Manche Nummern, wie die mit der Knetmaske, brauchen mehr als ein Jahr.

Es ist immer noch die Originalknete aus den 70er Jahren. „Da steckt der Dreck der ganzen Welt drin“, sagt Floriana Frassetto. Mit 20 Koffern und einer Tonne Material ist Mummenschanz nach Berlin gereist, alles ist selbst hergestellt. Bernie Schürch war Bildhauer, Frassetto näht bis heute die Kostüme. „Andere kiffen zur Entspannung, ich nähe“, sagt sie.

Sie reisen immer mit haufenweise Klopapier um die Welt

Neben der Riesenkrake liegen hinter der Bühne stapelweise Klopapierrollen, Hakle in rosa und blau. Die werden befestigt an zwei uralten Fechtmasken, mehrere Kilo schwer. Zwei Rollen an den Ohren, eine am Mund, der Nase, zwei an den Augen. Nach und nach werden sie abgerollt. Mann und Frau, blau und rosa, streiten sich, die Klorolle kann zuhören, schreien, weinen. Das Klopapier, sagt Frassetto, müssen sie überall mit hinnehmen. Bei der Einreise in die USA gebe es ständig Ärger. „Was sollen wir machen? Die haben nun mal kein vernünftiges Klopapier.“

War die Nummer gut platziert? fragt sie dann. Floriana Frassetto ist noch immer auf der Suche nach Perfektion. Erst wenn sie die erreicht hat, sagt sie, kann sie sich womöglich auch zurückziehen auf ihre Terrasse in St. Gallen. Und vielleicht mal ein wenig Musik hören.

Mummenschanz, 21. bis 26. Juli, Komischen Oper, Behrenstraße 55-57, Mitte, Karten ab 29 Euro. Mehr Infos unter: www.mummenschanz.com/de

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