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Simonetta Ginelli spielte Melancholisches zum Abschied.

© Thilo Rückeis

Abschied und Ausverkauf im Hotel Bogota: Letzter Akt mit Harfenklängen

Am Wochenende haben die letzten Übernachtungsgäste ausgecheckt. Sie waren noch mal da, um ihrem „Bogota“ persönlich adieu zu sagen. Der „Tag der offenen Türen“ lockte außerdem Hunderte an. Sie sicherten sich Stücke aus dem Interieur – der Ausverkauf hat begonnen.

„Dieses Buch ist unverkäuflich.“ Na, wenigstens das. Obwohl es laut dem gleich vorne eingedruckten Hinweis schon immer unverkäuflich war: die Heilige Schrift in Deutsch und Englisch, von einer Bibel-Gesellschaft dem Hotel Bogota überlassen, um seinen Gästen für Trost und Rat auf den Nachttisch gelegt zu werden. Also kein Mindestgebot für das Wort Gottes. Alles andere aber...

Zum Beispiel diese Ansicht vom alten Danzig in Zimmer 432, für den gestrigen Sonntag, den „Tag der offenen Türen“, ausgepreist mit einem Mindestgebot von 150 Euro, das teuerste Bild im Raum, neben einer Altstadtszene für 60 und einem Segelschiff für 80 Euro. Aber nein, zum Kaufen ist das Ehepaar, das auf seinem Rundgang nun auch bei Danzig, Altstadt, Windjammer gelandet ist, nicht gekommen. Übrigens aus Cottbus, zwecks Tagesausflug in die Geschichte des Berliner Hotelwesens, für die an diesem Wochenende in der Schlüterstraße ein Kapitel endgültig geschlossen wird: letzte Übernachtungen, offene Türen, Ausverkauf.

Sogar aus Cottbus kamen Neugierige

Hunderte, oft mit Kamera oder zumindest Smartphone knipsend, wollen die letzte Chance nutzen und schieben sich nun die steilen Treppen hinauf und hinunter, dann durch die labyrinthischen Zimmerfluchten. Leute, die wie das ältere Paar aus Cottbus, durch Zeitungsartikel neugierig gemacht, von weither kommen, oder auch der Jungspund, aus dessen Sporttasche noch der Tennisschläger ragt. Viele sind offenbar zum ersten Mal hier, ein Vater mit Töchterlein aus Schöneberg beispielsweise, die kurz vor Torschluss doch noch die Atmosphäre schnuppern wollen. „Schade, dass das jetzt weg muss“, seufzt der Vater. „Unverständlich, warum nicht eine große Hotelkette zugegriffen hat.“ Lag’s vielleicht an mangelnder Aussicht auf Profit?

Nicht alle sind hier ganz neu. Ein Ehepaar aus Wilmersdorf etwa hat schon vor ein paar Wochen hier übernachtet, ohne die beiden kleinen Töchter, die nun aber zur letzten Besichtigungsrunde mitgekommen sind. Auch ein paar Angebote hat die Familie schon abgegeben: Sessel, Bett und Bild aus Zimmer 209. Nun kann sie nur hoffen, dass niemand mehr bietet. Alles muss raus, wenn auch nicht alles heute. Größere Objekte werden erst im Februar von einem Auktionshaus versteigert. Doch der eine oder andere macht schon heute seinen Schnitt: 40 Glasschälchen, das Stück zu einem Euro, von der Geschirrresterampe im Hochparterre. Wofür braucht man denn die? Klare Antwort: „Für mein Restaurant.“

Etliche Berliner buchten eine letzte Nacht

Manch einem war der schnelle Rundgang zu wenig zum Abschiednehmen. Bis zum 30. November konnte man noch übernachten. Das Angebot wurde genutzt, solch ein Erlebnis kommt nicht wieder. Noch einmal im roten Ledersofa in der Lobby versinken bis weit nach Mitternacht. Ein Glas Wein leeren und mit den Augen auf den dunklen Holzdielen entlangwandern. Immerzu weiterspazieren durch die Flucht der Salons, die hier aufeinander folgen, als wären sie für eine langsame Kamerafahrt geschaffen worden. Rot-gold gestreifte Tapeten, Barockspiegel, die Leuchter aus der Zeit einer längst vergangenen Moderne, die alte Telefonzelle – alles im Parterre des Bogota, gleich hinter der Rezeption.

In Zimmer 418 lockten Fotos von Helmut Newton Besucher an.
In Zimmer 418 lockten Fotos von Helmut Newton Besucher an.

© Thilo Rückeis

Schon in der Nacht zu Sonnabend, die vorletzte, bevor die Lichter endgültig ausgemacht werden, haben sich im Hotel zahlreiche Menschen versammelt. Eine junge Frau knipst mit ihrem iPhone Souvenirs, Details bis hin zum Zimmerschlüssel mit der Aufschrift „Bogota“. Eine Freundesrunde zählt zusammen, wie oft sie in den vergangenen Jahren bei ihren gemeinsamen Berlinbesuchen in ihrem Lieblingshotel abgestiegen ist. Ein Paar, Mitte sechzig, steigt langsam die Treppen bis zur vierten Etage hinauf, macht in jedem Stockwerk Halt, betrachtet die Kunstwerke im Lichthof, erforscht die verwinkelten Zimmerflure mit den Gemälden und Modefotografien aus neun Jahrzehnten. Die beiden sind in Wilmersdorf zu Hause, wollen dem Bogota nun für eine Nacht „ganz persönlich tschüss sagen“. Also haben sie ein Zimmer gebucht und dabei an einen Spruch des französischen Essayisten Montaigne gedacht: „Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Sachen, die uns lieb sind, immer ein wenig wärmer.“ Sie sind nicht die einzigen Berliner Übernachtungsgäste. Etliche hatten die gleiche Idee, sagt der Mann an der Rezeption.

Gegen ein Uhr früh setzt sich im Salon ein älterer Mann ans Klavier. Weiße, etwas verwuschelte Haare, dunkles Jackett, blaue Fliege. Spielt Gershwins Melodien aus „Three Preludes“. Die Gespräche verstummen. Es ist sein Lebewohlkonzert. Dann klappt er den Deckel über der Tastatur zu. „Ich könnte heulen.“

Samstagvormittag sind die Hotelgäste beim Frühstück schon ab acht Uhr nicht mehr unter sich. Menschen mit Kameras laufen herum, Profi- und Hobbyfotografen, als hätten sie hier ein Klubtreffen. Zumeist sind es Berliner. Sie lichten das Bogota ab wie eine Sehenswürdigkeit in einer fremden Stadt. Ihr Lieblingsmotiv ist die geschwungene Stiege im vierten Stock. Sie führt zum Atelier hinauf, in dem Helmut Newton Schüler von Yva war, der angesagten Berliner Modefotografin der 20er Jahre. Seit Sonntag stehen auch ihre Arbeiten zum Verkauf.

Ausverkauf im „Bogota“: bis 13. Dezember täglich von 16 bis 20 Uhr, an Wochenenden ab 12 Uhr.

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