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Plänterwald: Im Lunapark: Von wegen tot

Der Traum vom Plänterwald: Aus dem Brachgelände ist ein ökologisch vorbildlicher Vergnügungspark geworden. Ein Blick zurück aus der Zukunft.

Wir schreiben das Jahr 2016. Vor einem Jahr ist Berlins Vergnügungspark eröffnet worden, der Funke dazu zündete Ende Mai 2011. Damals lud das Theater Hebbel am Ufer (HAU) im Plänterwald zu der mehrtägigen Veranstaltung „Lunapark“ ein – und löste eine breite Diskussion um die Zukunft des lange brachliegenden Spreepark-Geländes aus. Dessen Name sei durch den Bankrott des alten Betreibers belastet gewesen, erinnert sich Michael Müller, Geschäftsführer der Lunapark GmbH. „Wegen des Einsatzes von Sonnenenergie hätte auch ,Solar-Park’ gepasst, aber der Name ist belegt. So haben wir an den großen Namen des alten Lunaparks in Halensee angeknüpft, der um 1900 der größte Vergnügungspark seiner Art in Europa war.“

Mit Blick auf den Lunapark-Schiffsanleger sitzen Müller und andere führende Mitarbeiter auf der Terrasse des Lokals „Zum Eierhäuschen“. Es war Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Ausflugslokal. Das Anfang des Jahrzehnts vom Verfall bedrohte Lokal im Schweizerhaus-Stil ist seit der Eröffnung des Lunaparks ebenfalls aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Auf der anderen Spreeseite drehen sich die Windräder, zwischen den Bäumen schimmert blauviolett die Fassade des Hotel Solar Berlin. Sein stets zur Sonne ausgerichtetes „Sonnensegel“ ist zu einer Art Markenzeichen des Lunaparks geworden. Nach Passivhaus-Standards gedämmt, kommt es ohne Heizenergie aus, seine Fotovoltaikfassade leistet einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung des Vergnügungsparks.

An dieser Stelle bündelt sich manches, was Berlin ausmacht: Vordergründig steht der Park für die Spaß-Metropole, die Touristen so sehr anzieht. Dann sei da aber auch die Stadt der Innovation und Produktion im Bereich der Energieeffizienz, die Stadt künstlerischer Kreativität, meint Müller. „Und es vereint, was widersprüchlich ist. Vermeintlich widersprüchlich“, fügt er nachdenklich hinzu. „Kennt man ja aus Berlin: Abgrenzung, Eitelkeiten, Geht-nicht-Mentalität. Aber trotz aller Wenn und Aber hat’s ja geklappt.“ Zu den Kontrasten, die den Lunapark interessant machen, gehört für Müller die Verknüpfung von Tradition und Moderne – für ihn „ein Markenzeichen von Berlin“ –, wie es sich in der Lunapark-Idee und in dem restaurierten Eierhäuschen einerseits und in der ökologischen Hochtechnologie andererseits darstellt, aber auch in der Verbindung von Vergnügungspark-Traditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit künstlerischer Avantgarde von heute.

Sabine Schmidt, Geschäftsführerin von SpreEcology, ergänzt: „Am härtesten waren die Flügelkämpfe zwischen Öko- und Spaßfraktion. Die Grünen zum Beispiel wollten den Spreepark damals zum reinen Park machen. Aber mit dem erweiterten Park-Gürtel an der Spree ließ sich ja ein Kompromiss finden.“ Mittlerweile gilt als gesichert, dass auch die Banken in Anbetracht der Möglichkeit einer wertmindernden Re-Naturierung des Geländes zu einem Entgegenkommen bei der Umschuldung des Geländes bewegt werden konnten. Schmidt weist auf die Bedeutung hin, die die Diskussionen nach dem Reaktorunglück in Fukushima hatten. Damals seien Ängste geschürt worden, ohne Atomstrom würden die Lichter ausgehen – „eine triste Perspektive für eine Spaß-Metropole, für die Tourismus ein zentraler Wirtschaftsfaktor ist.“ Also sei man in die Offensive gegangen: „Wir wollten ein populäres Referenzprojekt für ökologische Machbarkeit. Hier sieht man: Vergnügen und Ökologie passen bestens zusammen.“ Der Lunapark ist energie-autark. Dessen künstlerischer Leiter Sven Schulze ergänzt: „Gerade die Begrenztheit von Ressourcen setzt neue Ideen frei – und bei manchen Beteiligten auch neues Engagement und Bereitschaft zur Kooperation.“

Müller zeigt auf das Solarboot, das vom Humboldthafen kommt und gerade anlegt. „Wir hatten die Wirtschaft von Anfang an mit im Boot. Das Solarschiff wurde neu entwickelt – vom Hauptbahnhof geht’s per Schiff direkt hierher ins Vergnügen.“ Die Idee: der Lunapark als alltagstauglicher Showcase für ökologische Innovationen, insbesondere der Berliner Wirtschaft – auch wenn manche in der Alternativszene erst die Nase rümpften. Schmidt weist darauf hin, dass die Selbstdarstellung der Unternehmen nicht plakativ wirken durfte. „Man will ja seinen Spaß haben und nicht ständig belehrt werden. Aber hier und da finden sich Hinweise für Interessierte. Und man sieht ja: das SpreEcology-Infocenter findet international Anklang. Wer weiteres fachliches Interesse hat, findet hier Anknüpfungspunkte an die beteiligten Institutionen und Unternehmen aus Berlin und Umland.

Müller zählt Beteiligungen auf: die fantasievolle Ausleuchtung mit Leuchtdioden eines großen Herstellers mit Berliner Wurzeln, die hocheffizienten Solarpanels der regionalen Wirtschaft, Kooperationen mit den Wissenschaftseinrichtungen in Adlershof und der Berliner Energie-Universität bei Gesamtplanung und Entwicklung effizienter Antriebe für die Fahrgeschäfte sowie die neue S-Bahn-Direktverbindung vom Hauptbahnhof zum Plänterwald. „Die neue Linie dient der deutschen Bahnindustrie quasi als Laufsteg für ihre Neuentwicklungen“, und das sei gerade für die Berliner und Brandenburger Unternehmen interessant. Die Hersteller räumen der Stadt Sonderkonditionen ein, und da Kommunalverwaltungen aus aller Welt zum Prüfen des rollenden Materials hierher kämen, seien die Züge stets in perfektem Zustand. Auch der E-Bus-Shuttle zur S-Bahnstation habe sich bestens bewährt. Schulze ist froh, bei der Konzipierung von Lunapark mit einem Ideenwettbewerb und der Einbeziehung der Universität der Künste und des Hebbel am Ufer eigene Wege gegangen zu sein. Wichtig sei allen Beteiligten gewesen, ein Plagiat zu verhindern: bloß kein Disneyland, bloß kein vom „London Eye“ schlecht abgekupfertes „Big Wheel Berlin“, das zumal mit dessen spektakulärer Themse-Lage nicht hätte konkurrieren können.

Kinder und Jugendliche sind Hauptzielgruppe des Lunaparks. Berlin habe sich nach der Wende zum Magneten für die Partygeneration und Kulturtouristen entwickelt – „aber warum sollte man mit Kindern in die Hauptstadt kommen?“, fragt Müller. Nachdem die Anfang des Jahrzehnts von Kreuzberger Bürgern ausgehende touristenfeindliche Kampagne ihren Niederschlag in internationalen Medien und Reiseführern und schließlich in den Besucherzahlen gefunden hätte, habe man auch Berlins Image als „Welcoming City“ aufpolieren müssen.

Der Lunapark bietet den Besuchern ein „Rundum-Sorglos-Paket“ für Kinder und Jugendliche, wie Schulze es nennt. Mit den Angeboten der „Spreeratten“ können Besucher ihre Kinder einer qualifizierten Betreuung auf dem Gelände übergeben und ihr eigenes Berlin-Programm genießen. „Oder sie gehen hier abends ins ,Moon’ zu einem Konzert oder einer Varietéveranstaltung. Vielleicht auch zu einem Boxkampf, wie damals im Lunapark, wo Max Schmelings Karriere begann. Viele Eltern und Großeltern fahren auf einem der etwas ruhigeren Fahrgeschäfte am liebsten gleich selber mit – zum Beispiel im ,Revival Shuttle’. Sie kurven durch die fantasievoll illuminierten Bäume, vorbei an überrankten Dinosauriern und Vehikeln des alten Spreeparks, Zeugen der Urzeit und der Berliner Vergangenheit, zum Leben erweckt im Lunapark.

Carsten Meyer leitete eine bauökologische Beratungsstelle in Bremen und wirkte im Bereich der Stadtbild- und Denkmalpflege. Er arbeitet als Lehrer in Berlin.

An diesem Sonntag endet eine Veranstaltungsreihe, mit der das Team des Theaters Hebbel am Ufer den früheren Spreepark im Plänterwald vier Tage bespielt hat. Heute gibt es ab 14 Uhr Veranstaltungen wie die First Berlin Mud Wrestling Championship oder Manuel Muertes Metaphysisches Kabinett. Auch werden Touren durchs Gelände zu verschiedenen Themen angeboten, so die „FahrgeschäfteTour“ mit Sabrina Witte, der Tochter des Ex-Betreibers des Spreeparks, um 13, 16 und 19 Uhr. Park-Eintritt: fünf Euro (Kinder unter 14 Jahren frei), eine Tour: drei Euro.

Carsten Meyer

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