zum Hauptinhalt
Bislang blieben bei allen rechten Kundgebungen gegen das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf die Gegendemonstranten in der Überzahl.

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Deutschland braucht mehr Ausländer

Viele Beobachter erinnern die Szenen vor dem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf an Rostock-Lichtenhagen. Rechtspopulisten wollen aus der Angst vor Überfremdung Kapital schlagen. Dabei sind Ressentiments gegen Migranten dort am meisten verbreitet, wo es am wenigsten gibt.

Am Donnerstag druckte der Lokalteil des Tagesspiegel ein großartiges Foto: zwei Frauen waren da drauf zu sehen, eine schob einen Kinderwagen, Tüten hingen dran, voll mit Spielzeug. Die Bildunterschrift lautete: „Auch das ist Hellersdorf. Die Anwohner Cindy Laqua, Omar Elaoad und ihre Tochter bringen Spielsachen zum Heim.“ Das Foto ist deshalb so großartig, weil es so normal aussieht: Bürgerinnen helfen. Mal so nebenbei. Haben was über und geben es denen, die wenig oder gar nichts haben. Fertig. Keine große Geste, keine Getue. Ihre politische Haltung tragen die beiden Mütter nicht als Kleidung zur Schau, sie halten auch keine Transparente hoch, sie demonstrieren nicht – und tun es eben doch, weil sie etwas Selbstverständliches tun. In einem Text in der „Süddeutschen Zeitung“ kommt Traude Golla vor, 62, Hartz-IV-Empfängerin, sie geht vor dem Heim mit ihrem Hund spazieren und sagt: „Ick hab’ keene Angst vor den Ausländern. Ick hab’ Angst vor den Nazis.“ Sie sagt auch: „Es ist doch unwürdig, wie die Flüchtlinge hier leben müssen. Ich gehe extra hier spazieren, damit die da drin spüren: Ich will Kontakt.“

Viele Beobachter, die in den vergangenen Tagen nach Hellersdorf gefahren sind, kommen zurück und berichten, dass es sie an Rostock erinnern würde, Rostock-Lichtenhagen, wo im August 1992 ein brauner Mob vor einem Asylbewerberheim tobte. Damals entstand ein Foto, das einen Mann beim Hitlergruß zeigte, im Schritt seiner Hose war ein große Fleck, heute gibt es das Foto eines Mann, der den Hitlergruß zeigt und dabei beängstigend normal aussieht. Das Foto von heute ist schlimmer.

Viele Kommentare beginnen mit: "Ich bin kein Rassist, aber ..."

Noch schlimmer allerdings sind die Kommentare zu dem Foto auf der Facebook-Seite der „Bild“. Das Boulevard schreibt unter das Foto: „Wir schämen uns für diesen Deutschen.“ – aber viele, die ihre Kommentare hinterlassen, sehen das anders. Einige schreiben, dass sie sich überhaupt nicht schämen würden, eine Frau schreibt: „ich bin kein Rassist aber schon traurig, dass wir allen und jedem helfen nur unser eigenes Volk nicht kaum Arbeitsplätze wir sind pleite sozusagen aber holen immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland“. Manche Kommentare beginnen so: „Ich bin Rassist, aber...“; „Ich bin kein Nazi, aber....“; „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber...“ Andere schreiben, dass es nun mal „Fakt“ sei, dass 70 Prozent aller Deutschen keine Ausländer in ihrem Land haben wollen, einige leiten daraus ab, dass man sich nicht für den Hitlergrußmann schämen müsse, sondern „für die deutsche Politik“. Die rechtspopulistische Partei „Pro Deutschland“ versucht gerade, die ganze Aufregung für ihren Wahlkampf zu nutzen.

Natürlich wird ihr das nicht gelingen. Keine rechtspopulistische Partei wird die Fünf-Prozent-Hürde überspringen bei der Bundestagswahl, nicht einmal annähernd. Was ist also mit diesem angeblichen „Fakt“, nachdem 70 Prozent der Deutschen keine Ausländer haben wollen? Im März veröffentlichte die Uni Leipzig eine Studie zum Thema Rechtsextremismus , die Leiter der Studie haben in den vergangen zehn Jahren mehr als 16.000 Menschen befragt.  22,7 Prozent stimmen der Aussage „überwiegend“ zu, dass Deutschland „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet ist“, 14,5 Prozent stimmen ihr „ganz“ zu. Das ist also mit insgesamt 37 Prozent keine Randmeinung. Rechnet man noch die 27,7 Prozent hinzu, die „teilweise“ zustimmen, dann hat mehr als die Hälfte eine ausländerfeindliche Haltung. Aber: Die Ausländerfeindlichkeit in den östlichen Bundesländern ist höher, was vermutlich – zu diesem Schluss kommt die Studie – damit zu tun hat, dass nur 36 Prozent der Ostdeutschen gegenüber 75 Prozent der Westdeutschen Kontakt mit Migranten in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz haben.

Abgesehen davon, dass es für ein Land wie Deutschland das normalste der Welt sein sollte, anderen zu helfen, ist das beste Mittel, Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen, nicht weniger Ausländer ins Land zu holen. Sondern mehr.

Zur Startseite