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Der Norden Neuköllns ist in den vergangenen Jahren vom "Problemviertel" zu einem Szenekiez avanciert. Die soziale Spaltung der Stadt zu stoppen ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft.

© dpa

Stadtentwicklung: Berlin braucht eine neue Mischung

Michael Müller tritt ein schweres Amt an. Als Senator für Stadtentwicklung hat er nicht nur Großprojekte wie die Neugestaltung des Flughafen Tempelhofs zu verantworten. Die größte Herausforderung wird es sein, die soziale Spaltung der Stadt zu stoppen.

An dieser Aufgabe haben sich schon viele vor ihm verhoben, Genossen zumal, denn die Entwicklung dieser Stadt, die Verantwortung für das Bauen und Wohnen in Berlin haben die Sozialdemokraten seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr aus der Hand gegeben. Kein anderer Senator hat bessere Möglichkeiten zu gestalten. Aber auch kaum ein anderes Amt ist fordernder und bringt größere Gefahren mit sich zu scheitern. Seit Freitag heißt der neue Berliner Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr Michael Müller.

Der SPD-Mann muss nun ganze Quartiere gestalten: die stillgelegten Flughäfen in Tempelhof und Tegel, die Leere in Berlins Mitte über das Gebiet am Schloss hinaus zukunftsfähig machen. Vor allem muss er aber die soziale Spaltung der Stadt stoppen. Wenn ihm das gelingt, dem Drucker aus Tempelhof, dann empfiehlt er sich als Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit.

Müller tritt in einer Zeit des Umbruchs an. Ein tiefgreifender Wandel hat die Stadt erfasst, die nach Jahren der Stagnation – endlich – wirtschaftlich auf Gesundungskurs ist. Berlin ist im Begriff, seinen Platz unter den europäischen Metropolen einzunehmen und holt im Zeitraffer nach, was sich anderswo in Jahrzehnten vollzogen hat: eine Neuordnung der Stadt anhand der Kaufkraft. Der Berliner ist seinem Kiez treu, so lange es eben geht. Für viele geht aber nichts mehr, seitdem die Stadt so hip ist, unter Schwaben und Norwegern, Irakern und Amerikanern. Neuberliner kommen mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche oder einer üppigen Pension und suchen eine Wohnung mittenmang. Berlin ist eben sexy, wegen der Bühnen und Konzerthäuser, der Kneipen und Clubs, wegen der Regisseure und Starlets im Grill Royal oder auf dem roten Teppich am Potsdamer Platz.

Unaufhaltsam ist der Zug ins Zentrum, und weil Jahr für Jahr dreimal so viele Haushalte entstehen wie neue Wohnungen, wächst der Druck aufs knappe Gut. Das ist gut, denn es nicht lange her, da beherrschten Ballonseide und Bierdose das Straßenbild von Neukölln oder Lichtenberg so wie Milchkaffee und Laptops das Leben in Prenzlauer Berg. Niemand hat ein Recht darauf, in der City zu wohnen, hat Klaus Wowereit den Kampf um den Wohnraum im Zentrum einmal kommentiert. Doch so eingängig die Formel auch sein mag, sie greift zu kurz.

In den Banlieues von Paris und den Vorstädten von London ist das Ende der Entwicklung zu besichtigen, deren Anfang nun Spandau und Marzahn erfasst. Dorthin ziehen die Erwerbslosen, Alleinerziehenden und Migranten, sie wohnen an den Rändern der Stadt, wo die Büchereien rar, die Sportanlagen geschlossen und die Schulen mit ihrem Bildungsauftrag überfordert sind. Nein, niemand hat das Recht in der City zu wohnen, gewiss nicht. Aber sollte nicht jeder eine Chance auf eine gute Schule haben, auf eine Berufsausbildung, damit er seinen Platz auf dem Arbeitsmarkt findet? Armut vererbt sich, dort zumal, wo die Mischung nicht mehr stimmt. Kinder lernen von ihrem Umfeld – und das muss Optionen aufzeigen, jenseits der Stütze. Davon profitieren dann auch diejenigen, die sich Mitte leisten können, nicht nur durch geringere Sozialabgaben.

Vor dieser Aufgabe steht jetzt Michael Müller, der Sozialdemokrat. Er muss sich daran messen lassen, wie er die soziale Spaltung der Stadt aufhält und die bewährte Berliner Mischung erhält.

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