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Freiräume in der Stadt: Brachen für alle!

Die Freiheit der Fläche wird in der Berliner Politik nicht geschätzt – dabei könnte man sich hier etwas trauen. Statt alles zuzubauen, sollten Aktionsräume bewahrt werden. Die Bürger haben die besten Ideen für kreative Zwischennutzungen.

Berlin wird normal. Das ist nicht gut so. Der Stadt kommen langsam die Brachen abhanden – die Leerflächen und Ruinen, die Investoren zum Rechnen bringen, Träumer aber zum Experimentieren und zum Machen. Oder zum Da-Sein. Brachen, Ruinen, zweckentleerte Großgebäude sind die Freiräume der Freigeister.

Von diesen und den Ideen, die sie provozieren, hat Berlin viel gehabt. Dass etwa Kreuzberg wurde, was es ist, war leeren Großgebäuden zu verdanken. In den späten Sechzigern hat es begonnen, es prägt den Stadtteil bis heute. In Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain sind Brachen, Ruinen, leere Altbauten nach dem Mauerfall zweckentfremdet und mit Fantasie bewohnt worden. Die Normalität, die aus bebauten Grundstücken und geordneten Verhältnissen besteht, war natürlich stärker.

Ob sie der Stadt aber immer nur nutzt, darüber kann man streiten. Klar: Brachen mitten in der Stadt sind Grundstücks- und Baugeschäfte ohne Abschluss. In der Hartz-IV-Metropole kann niemand, der Steuern zahlt, etwas gegen die Ansiedlung von ein paar mehr Steuerzahlern haben. Es geht auch nicht darum, jeden Kommerzbau schlechtzumachen. Aber: Den Bürgermeistern, Baustadträten und Stadtentwicklungsbeamten darf man Brachen nicht überlassen. Dann kommt es zu langen Verfahren und Lösungen nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Eine Berliner Premiumbrache ist zum "Snackpoint Charlie" geworden
Das lässt sich an zwei Premium-Brachen zeigen. Erstens: der Checkpoint Charlie. Machen wir es kurz – es tut zu weh, sich hier in einer Stilkritik zu verlieren. Als es das Café Adler dort noch gab und eine Brandwand, auf der aus DDR-Zeiten die Werbung für die Zeitung „Neue Zeit“ zu lesen war, hatte der Ort Atmosphäre; seine Bedeutung im Kalten Krieg war zu erahnen. Dann kam die Zeit der historischen Fotos auf einem Bauzaun. Das war interessant. Der Zaun ist zur Hälfte abgebaut zugunsten eines Ensembles der Imbisse. „Snackpoint Charlie“ haben sie im Radio gehöhnt. Irgendwann kommt das Geschäftshaus mit dem Untermieter „Museum des Kalten Krieges“. Vom Ort zum Unort – weil das Land in den 90er Jahren bestimmte Grundstücke nicht kaufen wollte, und sei es, um sie erst mal leerstehen zu lassen.

Dem großen Platz an der Schlossfreiheit ist es nur vom Bedeutungs-Wumm her besser gegangen. Der Hohlraum mitten in der Stadt war eine Art ungesponsortes BMW- Guggenheim-Lab, an dem man bestens über Berlin grübeln, nachdenken, reden konnte. Manche Leute haben das gemacht. Gelegentlich stand auf dem Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals am Samstag morgen eine leere Sektflasche aus der Nacht zuvor. Okay, das Gelände gehört dem Bund – und der macht eben Staatsästhetik. Immerhin zeigt die Humboldt-Box, was gehen kann an so einem Ort: nomadische Architektur, der zweite temporäre Raum nach der Kunsthalle. Schön wäre es, käme das Pseudo- Schloss erst im Jahr 2200.

Politiker lieben es zu bauen. Wer baut, der bleibt. Brachen wie die an der Schlossfreiheit können nicht bleiben – was sollen denn die Leute denken? Manchmal aber ist es nicht falsch, Politiker am Planen und Grundsteinlegen zu hindern. Denn das, was Städte spannend macht, entwickelt sich ohne Plan. Dann ist jeder Zeitgewinn mehr wert als ein Geldgewinn. Berlin hätte einen spannenden Aktionsraum mehr behalten, stünde das olle, zurückgebaute Palastskelett noch.

Die Leute machen interessante Sachen, wenn man sie lässt!

Tagesspiegel-Redakteur Werner van Bebber: "Es müssen ja nicht gleich auf dem Tegeler Flugfeld Dragster-Rennen stattfinden. Obwohl ... warum eigentlich nicht?"
Tagesspiegel-Redakteur Werner van Bebber: "Es müssen ja nicht gleich auf dem Tegeler Flugfeld Dragster-Rennen stattfinden. Obwohl ... warum eigentlich nicht?"

© Thilo Rückeis

Alle modernen „Szene“-Mythen der vergangenen Jahrzehnte von London über New York bis Berlin belegen, dass Planlosigkeit und Freiräume starke Wachstumsmotoren sind. Wohlgemerkt: Hier geht es gerade mal nicht um das Für und Wider der „Gentrifizierung“. Es geht um die Freiheit der Leere und darum, dass die Politik in einer Stadt gut beraten ist, diese Freiheit zuzulassen. Was sagt mehr über den Stadtbewohnerstolz der Menschen etwa in Detroit, als dass sie auf zahllosen brachliegenden Innenstadtflächen dieser dem Verfall überlassenen Industriemetropole Gärten angelegt haben?

Lasst die Leute machen: Das ist ein politisches Konzept, das konfrontativ zur ex-preußischen Regel- und Vorschriftenmetropole Berlin steht. Aber die Leute machen eben interessante Sachen, wenn man sie lässt. Nur zwei Beispiele: Der Musiker Rummelsnuff betrieb seine Künstler- und seine Kraftsportlerkarriere synchron auf dem ehemaligen DDR-Rundfunk-Gelände an der Nalepastraße, heute schafft er in einer ehemaligen Nähmaschinenfabrik im Südosten. Das ist nicht gerade eine szenenahe Liegenschaft, aber ein Freiraum, in dem man sich, siehe http://rummelsnuff.de, autonom entwickeln kann. Beispiel zwo: Der Maler Johannes Heisig hat im vergangenen Sommer einen Teil des Sportzentrums SEZ in ein temporäres Atelier umgewandelt, Zeichnungen über einen Gedichtzyklus dort ausgestellt und eine Performance veranstaltet – die optimale Art einer Um- und Zwischennutzung. So was könnte man von der ein- oder zweimaligen „Veranstaltung“ auf monatelange Zeiträume dehnen.

Wie wäre es mit einer Agentur für Zwischennutzung?

Was geht, ist eine Frage der Fantasie. Doch die jüngst für das Tempelhofer Gelände vorgestellten Pläne mit einer kleinen Bauausstellung hier und ein paar eventtauglichen Eingriffen in die Landschaft zeigen: Die Freiheit der Fläche wird in der Berliner Politik nicht geschätzt – sie ist politisch gefährdet.

Dabei könnte man sich, statt Geld nach dem Motto „Wir tun was!“ in die Planungsbüros zu pumpen, etwas trauen: Wie wäre es damit, auf

bestimmten Brachen und in bestimmten Altbauten auf einen Teil der Vorschriften zu verzichten, etwa Bau- und Denkmalschutzparagrafen außer Kraft zu setzen? Internetseiten wie „Leerstandsmelder“ oder

„Liegenschaftsanzeiger“ zeigen, wie groß das Interesse vieler Leute an Immobilien in der Innen-und in der Außenstadt ist. Einzelheiten wären auszuhandeln nach dem Motto: Das Land als Eigentümer lässt Zwischennutzungen zu, es lädt sogar dazu ein. Das kann nur in schnellen, schlichten, rechtlich schlanken Verfahren funktionieren. Der Senat hat Erfahrung im Auslagern von Aufgaben: Wie wäre es mit einer Agentur für Zwischennutzung? Es müssen ja nicht unbedingt auf dem Tegeler Flughafengelände Dragster-Rennen stattfinden – obwohl ... warum eigentlich nicht?

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