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Zum 100. Geburtstag: Willy Brandt - der Staatsmann und Berlin

Mit dem Namen Willy Brandt ist eine ganze Ära in Berlin verbunden. Eine Spurensuche zum 100. Geburtstag des SPD-Politikers, ehemaligen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers durch die Hauptstadt.

Die Eigenart dieses Mannes zeigte sich an dem Jahr, in dem er sich dazu entschied, sein Leben in Berlin zu leben: 1948, das Jahr, in dem die Blockade begann, das dritte Jahr nach dem Krieg, als die Teilung die Stadt spaltete.

Willy Brandt hätte andere Wege gehen und andere Orte zum Leben wählen können. Sicher nicht Lübeck, wo er 1913 geboren war, aber doch Orte in Schweden oder eher noch Norwegen, dem Land, das es gut mit ihm gemeint hatte, als von seiner deutschen Heimat Terror ausging und Berlin ein organisatorisches Zentrum dieses Terrors gewesen war.

Doch Willy Brandt, Sozialist, Journalist, passionierter Politiker und außerdem Vater einer kleinen Tochter, spürte wohl die Spannungen in diesem städtischen Trümmerfeld namens Berlin, ehemalige Reichshauptstadt und jetzt, drei Jahre nach dem Krieg, das wichtigste Objekt neuer Machtkämpfe zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs.

Man musste, als Zuwanderer, schon fasziniert sein von den in Berlin wirkenden, vielleicht auch nur zu erahnenden politischen Kräften, um es hier auszuhalten, erst recht in einer Zeit, in der die freie Hälfte Berlins von Flugzeugen abhängig war, die im Minutentakt brachten, was die Stadt zum Leben brauchte. An die in Oslo lebende Mutter seiner Tochter schrieb Brandt damals: „Ich habe früher Berlin und die Berliner nicht ausstehen können. Jetzt habe ich die Ruinenstadt gern und bin stolz auf eine Bevölkerung, die durch die Verteidigung ihres Rechtes daran teilnimmt, die Schande wegzuwaschen, die andere über dieses Volk gebracht haben. Entschuldige bitte die großen Worte, aber entweder geht alles schief, oder es ist ein wesentlicher Beitrag zur politisch-moralischen Regenerierung unseres Kontinents.“

So schrieb man damals, Pathos war gelegentlich angebracht, und so sah man als politischer Mensch diese Stadt und ihre Bedeutung jenseits täglicher Versorgungsfragen. Der Autor Torsten Körner zitiert Brandts Brief in seinem sehr detaillierten und persönlichen Buch „Die Familie Willy Brandt“. Er folgert, dass Brandt, der als Presseattaché der norwegischen Militärmission nach Berlin gekommen war, von der Stadt „elektrisiert war, weil der Ort seinem Begabungsprofil entgegenkam und hier nicht nur Politik, sondern vor allem Geschichte gemacht wurde“.

Es dauerte nicht lange, da wollte Brandt Einfluss nehmen auf diesen von den Kräften der Weltpolitik angetriebenen Prozess: Er gab den Posten des norwegischen Presseattachés auf und wurde Vertreter des SPD-Parteivorstandes in Berlin. Während der Blockade arbeitete er mit dem Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Ernst Reuter, zusammen.

So sehr war Brandt Politiker, das heißt Handlungsreisender für Ideen und Gestalter zwischenmenschlicher Beziehungen, dass seine eigentliche Berliner Phase mit ganz bürgerlichen Lebensumständen erst zwei Jahre später begann. In der Blockadezeit 1948/49 hatte Brandt (auch das beschreibt Torsten Körner über Brandts sehr einfühlsam verfasste Briefe an seine kleine Tochter) in einem „schönen kleinen Haus“ gelebt. „Es liegt an einem See, der Halensee heißt. Es ist tatsächlich in der Mitte der Stadt, aber doch auch ein bisschen ländlich. (...) Mein Büro ist im selben Haus, und ich habe furchtbar viel zu schaffen.“

Private Wirrungen - und eine verschwundene Katze

Was auch mit privaten Wirrungen zu tun gehabt haben dürfte. Denn Brandt fühlte sich damals längst nicht mehr der Mutter seiner Tochter in Oslo verbunden, sondern einer jungen norwegischen Frau namens Rut. Mit ihr bezog er ein Reihenhaus am Marinesteig in Nikolassee, nicht weit vom Schlachtensee. Für Brandt war es ab jetzt Berlin mit Familie. Was sich heute wie eine großbürgerliche Adresse liest, war damals, in einer Zeit, in der viele die Halbstadt verließen, Häuser leer standen und Villen preiswert zu haben waren, Lebensrahmen einer werdenden Familie mit bald zwei Söhnen. Der Vater viel unterwegs, auch abends, die Mutter für die Kinder zuständig, der Wochenmarkt in der Nähe, die Schule auch. Peter und Lars Brandt verbrachten hier die Jahre mit Spielen auf der Straße oder auch mit dem Triezen der Postbotin. Brandts politische Karriere kam voran, auch wenn ihm mehrfach bedeutet wurde, dass sogar manche Genossen ihm seine Zeit im Exil ein wenig verübelten: zu wenig gelitten. Von Berufs wegen war Brandt Bundestagsabgeordneter, was eine möblierte Parallelexistenz in Bonn bedingte.

Weil das Amt damals noch nicht so gut ausgestattet war wie heute, war das Geld bei der Familie eher knapp; Brandt schrieb nebenher als Journalist, war deutscher Politiker und, zeitlich gesehen, ein Dreiviertel-Berliner. In Bonn machte er Bundespolitik. Seit 1955 aber war er zusätzlich Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. Das befand sich in einer alle Gewaltenteilung ignorierenden, aber patriotisch ausdrucksstarken Weise nur ein paar Schritte entfernt vom Amtszimmer des Regierenden entfernt ebenfalls im Schöneberger Rathaus. Zwei Jahre später, 1957, gewann Brandt das Amt, das ihn in jenes Zimmer führte, und wurde Regierender Bürgermeister, ’58 dann auch SPD-Landesvorsitzender.

Schon während des Aufstands in der DDR im Juni 1953 hatte Brandt gezeigt, dass er Menschen auf kluge Weise führen konnte, indem er eine große Zahl aufgebrachter Berliner davon abhielt, in die Gewehre von DDR-Grenzern zu laufen. Berlin-Politik war Welt-Politik, ein Politiker von Brandts Format füllte das Amt des Regierenden mit der Fähigkeit zur Perspektive weit über die Stadtgrenzen hinaus. Reuter hatte es vorgemacht, Brandt folgte ihm mühelos: Er wirkte nicht überbesetzt auf jenen um die Welt gefunkten Fotos mit Adenauer und John F. Kennedy.

Privat war Familie Brandt der Stadt eng verbunden – zwei Jungs in Berliner Schulen, ein dritter eben geboren, die Gattin Rut in der Stadt bekannt, Kundin einer Parfümerie am Kurfürstendamm. Bedeutend war die Berliner Politik, und doch auch bodenständig: „Familie Brandt vermisste ihre Siamkatze“, las man im Januar 1963 in der Zeitung – und dass die Jungs die Katze dann selbst gefunden hatten, als es für die „Rücknahme der Anzeige zu spät war“. Im Jahr danach zogen die Brandts in eine Dienstvilla in Grunewald, Taubertstraße 19, auch das nur ein Rahmen für Brandts Wirkungsdrang. Aus dem Amt des Regierenden und weit darüber hinausweisend machte er mit seinem Vertrauten Egon Bahr Deutschlandpolitik, etwa durch das Passierscheinabkommen und sein Werben für einen „Wandel durch Annäherung“. Und das ging nur in Berlin.

Begraben ist Willy Brandt, der zuletzt in Unkel am Rhein gewohnt hatte, auf dem Waldfriedhof Zehlendorf. Auch andere Orte in der Stadt erinnern an den Politiker. So ist an dem von ihm und seiner Familie zuletzt bewohnten Haus am Marinesteig 14 eine Gedenkplakette angebracht. Im Regierungsviertel gibt es nördlich vom Kanzleramt eine Willy-Brandt-Straße. Das Regierungsviertel selbst ist im übertragenen Sinn eine Brandt-Gedenkstätte, denn Brandt beantragte 1991 den Bundestagsbeschluss, dass Berlin Regierungssitz werden solle. In Kreuzberg, an der Ecke Stresemann- und Wilhelmstraße, erinnert mit der SPD-Zentrale ein ganzes Haus an den Politiker, der in den sechziger Jahre viele junge Leute wie Klaus Wowereit zum Eintritt in die SPD gebracht hat. Im Foyer des Hauses, das seinen Namen trägt, steht eine Skulptur, deren Format der Bedeutung Brandts nicht allein für die SPD entspricht. Das ausdrucksstarke Werk des Künstlers Rainer Fetting ist überlebensgroß. Im Haus ist bis Ende Januar 2014 eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Politikers zu sehen. Und irgendwann könnte ein betriebsbereiter Flughafen seinen Namen tragen.

Zum 100. Geburtstag: Hier geht es zu unserer Willy-Brandt-Schwerpunktseite.

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