zum Hauptinhalt
Stage Entertainment "DIRTY DANCING"

© Barbara Braun / DRAMA

Musical: "Dirty Dancing" und der kategorische Imperativ des Theaters

Hebefiguren, das weiß die Welt seit 1987, übt man am besten im Wasser. Einen klaren Bergsee gibt es im Berliner Theater am Potsdamer Platz nicht – sonst aber ist hier alles genau so wie im Kultfilm. Das Musical "Dirty Dancing“ in Berlin.

Die Musical-Version folgt dem Kino-Original mit liebevoller Ergebenheit, bis in die Details der Dialoge. Und das Publikum hängt den Darstellern an den Lippen.

Selbst in der Voraufführung für die Medien am Montag scheinen alle die Texte mitsprechen zu können: Wenn Baby sagt „Ich hab’ ne Wassermelone getragen“, geht ein Juchzen durch die Reihen, wenn Johnny beim Tanztraining zärtlich seine Hand an ihrem Körper entlanggleiten lässt, wird im Zuschauerraum schon losgeprustet, bevor sich die Gekitzelte lachend krümmt. Und als schließlich der legendäre Satz fällt „Mein Baby gehört zu mir“, da ist kein Halten mehr, da tobt der Saal und verfällt in einen kollektiven Weißt-du-noch-damals-Taumel.

Zur Erinnerung: „Dirty Dancing“, die Geschichte vom „summer of ’63“, den Familie Houseman in Kellerman’s Ferienpark verbringt, schlug vor 22 Jahren ein wie eine Bombe. Wie die Arzttochter Frances, die von allen nur Baby genannt wird, auf der Leinwand erwachsen wird, wie sie sich mit den Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert sieht, wie sie in den Armen des Tanzlehrers Johnny vom tapsigen Entlein zum Mambo-Schwan aufblüht, das hat sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt.

Dabei interessierte sich zunächst keiner für das Drehbuch von Eleanor Bergstein. Vergeblich war sie von Produzent zu Produzent gelaufen, bis sich schließlich ein kleines Studio überreden ließ – und seitdem für immer saniert war. Der mit einem Fünf-Millionen-Dollar-Budget produzierte Film unter Regie von Emile Ardolino spielte über 250 Millionen Dollar ein. Und der Erfolg hält an. „Irgendwann stellte ich fest, dass unser Publikum nur noch einen offenen Wunsch hatte“, erzählt Bergstein: „Dabei zu sein, wenn es passiert!“ Also adaptierte sie die Story für die Bühne. Ein riskantes Unterfangen, denn die Erwartungshaltung der Fans ist enorm. Alles soll so sein wie gewohnt.

Immer wieder werden auf einer Leinwand im Bühnenhintergrund die aus dem Film bekannten Schauplätze eingeblendet. Lautlos fahren Podeste auf und ab, gleiten Requisiten herein: Szene für Szene wird mit enormem technischen Aufwand nachgestellt. Janina Elkin sieht nicht nur der Original-Baby Jennifer Grey frappierend ähnlich, ihr gelingt es auch, den Reifeprozess des Teenagers überzeugend nachzuzeichnen. Daniel Rakasz dagegen hat außer dem perfekten Body wenig mit dem jungen Patrick Swayze als Tanzlehrer Johnny Castle gemein. Dass die meisten Hauptdarsteller mit starkem Akzent sprechen, wirkt ebenfalls deutlich desillusionierend. Und doch gehen die Leute glücklich aus diesem dreistündigen Abend – obwohl es nüchtern betrachtet keinen Grund gibt, zwischen 39 und 110 Euro für ein Musical-Ticket auszugeben, wenn man das Original auch für einen Euro in jeder Videothek ausleihen kann.

Worin also liegt das Erfolgsgeheimnis der „Dirty Dancing“-Bühnenversion, die bereits in Australien, Kanada, Großbritannien, Holland, den USA und von März 2006 bis zum vergangenen Sommer auch in Hamburg zu sehen war? Es ist das Angebot, in der Gemeinschaft Gleichgesinnter privaten Erinnerungen nachhängen zu können.

Vor dem DVDPlayer ist jeder mit sich und den Seinen allein, hier aber findet eine Art Klassentreffen statt. Hier kann man mit sämtlichen Freundinnen hingehen, als Groupie-Gruppe. Oder gar die eigenen Kinder in Kellerman’s Welt einweihen, denn natürlich haben die Produzenten darauf geachtet, dass die feuchtwarme Erotik des Films auf familientaugliche Temperatur zurückgefahren wurde.

„Dirty Dancing – das Original live on stage“ bietet makelloses Entertainment und kündet doch auch vom Niedergang eines Genres. Bislang war es üblich, dass erfolgreiche Musicals durch das Interesse der Filmindustrie geadelt wurden. Zuletzt geschehen bei „Mamma Mia“, der sicher besten Show dieses Jahrzehnts, die nach neun gloriosen Bühnenjahren vergangenen Sommer in den Kinos herauskam. Die geniale Idee dieses Stücks besteht darin, die beliebtesten Abba-Songs mit einer überraschenden Handlung zu ummanteln. Mit der Udo-Jürgens-Hitparade „Ich war noch niemals in New York“ wurde das Prinzip 2007 in Hamburg erfolgreich kopiert.

Beim neuesten Trend auf dem Musical-Markt aber geht es nicht mehr um witzige Verfremdung, sondern nur noch um den blanken Wiedererkennungseffekt. Ob „Der Schuh des Manitu“ oder jetzt „Dirty Dancing“ beim Marktführer Stage Entertainment, ob das Monty-Python-Spektakel „Spamalot“ in Köln oder Mel Brooks’ Nazisatire „The Producers“, die als Gastspiel den Vereinigten Bühnen Wien ab Mai im Admiralspalast gezeigt wird: Hier werden altbekannte, auf ihre Massentauglichkeit getestete Filme lediglich auf die Theaterbretter gestellt.

Man kann das als logische Folge einer Entwicklung sehen, die mit Andrew Lloyd Webbers Verbot der Gedankenfreiheit begann. Der Komponist von „Das Phantom der Oper“ setzte durch, dass seine Stücke ausschließlich in Klon-Versionen einer von ihm genehmigten Inszenierung gezeigt werden durften. Seitdem sind die großen Musical-Produktionen Markenprodukte, die in New York, London und Berlin garantiert gleich aussehen, so wie eben auch Coca-Cola rund um den Globus identisch schmeckt.

Mit Kunst im traditionellen Sinne hat das nichts mehr zu tun. Denn die Faszination des Theaters liegt ja gerade darin begründet, dass die besten Stücke immer wieder neu befragt, neu gedeutet werden. Der Zuschauer mag das jeweilige Ergebnis goutieren oder nicht – in jedem Fall aber wird er dazu animiert, aktiv die Interpretation nachzuvollziehen. Musicals, die Filme kopieren und außerdem wie Filmkopien über die Kontinente geschickt werden, verleiten dagegen zum passiven Konsum. Bloß keine Überraschung. Und sowieso wissen alle, was gleich passiert.

Eine Szene gibt es in „Dirty Dancing – das Original live on stage“ dann aber doch, die zeigt, was mit ein wenig mehr Vertrauen in die Fantasie des Publikums möglich wäre. Wenn der Moment naht, in dem Johnny und Baby ins Wasser gehen, um dort ihre Hebefiguren zu trainieren, senkt sich plötzlich ein Gazevorhang herab, auf den die glitzernde Oberfläche eines Sees projiziert wird. Es platscht aus den Lautsprechern und das Paar taucht auf, von zwei Scheinwerfer-Spots aus dem Dunkel der Bühne herausgehoben.

Die Größenrelationen zwischen Mensch und Wellen stimmen überhaupt nicht mehr, man sieht deutlich die quer gespannte Stoffbahn, hinter der die Schauspieler ihre Unterleiber verbergen. Und doch ist man entzückt, wenn beide prusten und ihre Haare schütteln, als wären sie tropfnass. Weil hier endlich einmal mit den ganz einfachen Zaubermitteln der Illusion gearbeitet wird, weil Vorstellungskraft über technische Perfektion siegt, weil für eine paar Minuten der kategorische Imperativ des Theaters Wirklichkeit wird: Träumen wir!

Theater am Potsdamer Platz. Täglich außer dienstags. Informationen und Tickets: www.dirtydancing.de

>> Tickets für Dirty Dancing hier sichern!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false