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Flugrouten-Protest: Einmal um den ganzen Müggelsee

26 000 Demonstranten protestierten mit einer Menschenkette in Köpenick gegen Fluglärm. Der Müggelsee wurde umrundet, an einigen Stellen standen die Flugroutengegner gleich in mehreren Reihen.

Klaus Niemann von der Friedrichshagener Bürgerinitiative (FBI) kann gar nicht mehr aufhören zu strahlen, während er immer wieder „Herzlichen Dank!“ durchs Megafon ruft. Es ist Sonntagnachmittag halb vier, die Massen strömen heimwärts, an dem 70-jährigen Niemann mit dem selbst geschriebenen Wort „Einsatzleiter“ auf der Warnweste vorbei.

Eine Viertelstunde vorher hatten sie sich die Hände gereicht, um gegen den Fluglärm zu protestieren, der dem von Wald und Wasser geprägten Berliner Südosten mit der Eröffnung des Flughafens in Schönefeld droht. 26 000 Leute, davon 2000 in mehr als 400 Booten, hätten sich beteiligt, sagt Niemann strahlend. Die Menschenkette reichte einmal um den See herum. Die Kapitäne mussten aufpassen, dass ihre Boote im Wind nicht aneinander schubberten. Sowohl auf dem Wasser als auch an Land war die Kette vielerorts zur Traube angeschwollen, weil so viele kamen.

Dank des Organisationstalents der FBI-ler wussten sie, wo sie hingehörten. So wie Birgit und Peter, die rechtzeitig vor 15 Uhr mit ihrem Söhnchen im Fahrradanhänger an den Spreetunnel zu Treffpunkt A geradelt waren. Dorthin hatte die FBI die Bewohner des Allende-Viertels gebeten. Birgit und Peter wohnen am Rande des Plattenbaugebietes; vor ihrem in mehrjähriger Eigenleistung renovierten Häuschen parkt das Familienauto mit Anti-Fluglärm-Logo. Aber zum Müggelsee fährt man als Köpenicker natürlich mit Rad: „Er ist DAS Naherholungsgebiet“, sagt Birgit. Und, falls diese Begründung zu mager sein sollte: „Die Leute haben hier Häuser gekauft, weil sie nicht wissen konnten, dass sie den Krach abbekommen sollen.“

Einer der Organisatoren aus Friedrichshagen sagt, die Leute seien dünnhäutig geworden. Schon der Gedanke an den Fluglärm lasse manche schlecht schlafen – ein Desaster mit Ansage schlage halt aufs Gemüt. Trotzdem war es eine große Herausforderung: Um die rund elf Kilometer lange Kette um den Müggelsee zu schließen, musste rechnerisch fast jeder der 17 000 Friedrichshagener mitmachen. Hinzu kommt, dass die Randbereiche auch für den Schiffsverkehr tabu sind: Naturschutz geht vor, zumindest in diesem Punkt. Auch deshalb habe sie nie geglaubt, dass die Flugzeuge über den Müggelsee fliegen würden, sagt eine Frau in der Menschenkette. Dieses Gefühl der Empörung trieb viele hierher. Während die einen nur um ihr liebstes Ausflugsziel fürchten, fühlen sich andere von einer Seilschaft aus Politikern und Wirtschaftslobbyisten betrogen. Demonstrantin Lydia B., die vor der Geburt ihres zweiten Kindes im Februar nach Friedrichshagen zog, sagt: „Stadtnähe und Wirtschaftlichkeit werden als Totschlagargumente benutzt. Aber was nützt mir die Wirtschaftlichkeit dieses mit Steuermilliarden gebauten Flughafens, wenn die Toiletten in unserer Kita noch aus DDR-Zeiten stammen? Und wie passt es zur Wirtschaftlichkeit, dass prosperierende Wohngegenden vor die Hunde gehen?“ Für Frau B. ist die Misere um den Fluglärm weder ein Ost-West-Konflikt noch ein Friedrichshagener Spezialproblem. „Es geht um den Standort Schönefeld und um die Gesundheit von mehreren Hunderttausend Menschen drumherum.“

Als ausgerechnet die Brandenburger CDU-Chefin Saskia Ludwig in der vergangenen Woche erstmals die Standortfrage stellte, reagierten selbst eigene Parteifreunde und Wirtschaftsvertreter mit Kommentaren wie „völlig grotesk“, „populistische Anbiederung“ und „Verrat von Grundüberzeugungen“. Das sei die Sprache von Diktatoren, konstatiert der Bürgerverein Brandenburg-Berlin (BVBB), der seit den 1990ern gegen den Standort Schönefeld kämpft. Ludwig habe vor einer Woche als erste Brandenburger Landespolitikerin den Mut gehabt, „Auge in Auge“ mit den Bürgerinitiativen zu sprechen. „Ist es verboten oder verwerflich, klüger zu werden?“, fragt der BVBB in einem offenen Brief.

Seit Ludwigs Looping wird die CDU am Müggelsee noch genauer beobachtet. Denn es war die CDU, die 1996 wider allen fachlichen Rat den Standort Schönefeld durchsetzte. Und es waren die Berliner Christdemokraten, die vor einigen Wochen ein striktes Nachtflugverbot forderten – und nach harscher Kritik aus der Wirtschaft gleich wieder davon abrückten. Jetzt brachte die Fraktion im Abgeordnetenhaus einen Antrag für die letzte Sitzung vor der Wahl ein, in dem sie Klaus Wowereit (SPD) als Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft auffordert, sich für die Entlastung der Müggelseeregion einzusetzen. Denn „diese Planungen waren zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Diskussion“, die Leute seien überrumpelt worden.

Lydia B. weiß nach gründlichem Landkartenstudium, dass es für Starts von Schönefeld aus kaum Alternativen gebe. Nun hofft sie, dass noch mehr Politiker umdenken.

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