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Schön kuscheln. Martin Heiße mit seinen Rauhwolligen Pommerschen Landschafen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Visite beim Hobbyschäfer in Berlin-Marienfelde: Ey, du Schaf!

Für Hobbyschäfer Martin Heiße im Freizeitpark Marienfelde ist das ein Kompliment. „Schafe sind alles andere als blöd!“, sagt er. In seiner Herde herrscht ein strenges Matriarchat, es gibt Sitter- und Entdeckerschafe – und manchmal stürmt ein Bock auf ihn zu.

Auf Frieda lässt er nichts kommen. Martin Heiße (53), dunkelblonder Wuschelkopf, Cordhemd, ausgewaschene Jeans, öffnet das Gattertor zur Weide, läuft durchs hohe Gras und quer durch die Brennesseln und macht jetzt eine ausladende Geste: „Darf ich vorstellen, Frieda!“ Die löst sich aus der Herde und rennt auf ihn zu. Sie erinnert auf den ersten Blick an eines der Höllentiere von Hieronymus Bosch. Pechschwarzer Kopf, dunkle, glupschig wirkende Augen und Hörner, die wie kurze Krummsäbel aus ihrer Stirn wachsen. Schwarze Wolle an Bauch, Mähne, Beinen, Schwanz, der Rest: grau-weiß. Frieda ist eine „Graue Gehörnte Heidschnucke“ im Freizeitpark Marienfelde. Sie ist Martin Heißes leibhaftiger Beweis, „dass Schafe alles andere als blöd sind“. Lautes Geblöke. Ein rauer, klagender Ton aus den Tiefen von Friedas Bauch. Sie stupst ihn, er fährt ihr mit den Händen durch die Wolle. Begrüßungszeremoniell. „Dieses Schaf“, sagt er, „ist besonders frech und neugierig. Außerdem zutraulich, eine gute Beobachterin und grenzenlos.“ Weshalb Frieda auch mal über Zäune springt oder den Verschlussriegel eines Tores mit der Nase selbst hochhebt.

Frieda & Co.. Graue Gehörnte Heidschnucken auf der Weide am Naturerlebnispfad.
Frieda & Co.. Graue Gehörnte Heidschnucken auf der Weide am Naturerlebnispfad.

© Kitty Kleist-Heinrich

Martin Heiße ist ein Hobbyschäfer. Seine Herde grast auf Weiden am Südrand Berlins. Er kooperiert mit dem Naturschutzbund NABU, der im Freizeitpark Marienfelde einen Naturerlebnispfad angelegt hat und eine Naturschutzstation betreibt (siehe Kasten). Ein wichtiger Halt am Erlebnispfad sind Heißes Schafe. Als „Ökorasenmäher“ stellt sie der NABU hier vor. Auf Flächen, wo man die Wiesen mit Rücksicht auf Kleintiere nur schwer mähen kann, regulieren die Schafe das Wachstum von Gräsern und Kräutern. Sein Geld verdient Martin Heiße als Physiotherapeut in einer Sonderschule für behinderte Kinder in Treptow. Mit Frau und zwei Töchtern wohnt er in einem Reihenhaus in der Stadtrandsiedlung Marienfelde. Dort hält er Hühner, seine zweite tierische Leidenschaft. „Im Vergleich zu Schafen, sagt Heiße, seien Hühner allerdings „strohdoof“. Doch wie kam er überhaupt auf die Schäferei?

Seine erste „nachhaltige Begegnung“ mit zwei Lämmern hatte er 2008 auf einem Pferdehof. Er verliebte sich in das Duo, nahm die Zwei mit und zog sie im eigenen Garten auf. Doch bald waren sie zu groß fürs heimische Grün. Heiße senste zwar allmorgendlich Gras in der Umgebung und schleppte es heran, aber das ging auf seine Knochen. Ein Schaf frisst am Tag 20 Kilo Frischfutter. Also ging er zum NABU und bekam so die Chance, artgerecht eine Herde zu züchten mit zwei robusten Rassen: Heidschnucken und Rauwolligen Pommerschen Landschafen.

Seine schönste Erholung - inmitten der Herde sitzen und die Schafe beobachten

Ein Pfad führt vom Diedersdorfer Weg am Rande des Parks zur Weide. Schäfchenwolken am blaue Himmel, Flieder wuchert am Gehege. Einige Tiere dösen an der der Tränke, andere rupfen Gras, kauen im Unterstand gemächlich wieder. Nur Frieda ist längst auf den Schäfer zu geeilt. Doch kaum rasselt er mit Futterpellets in einer Schüssel, kommt Bewegung in die Schar. Heiße wird bedrängelt, beschnuppert, knufft zurück. Dann macht er sich’s auf der Wiese bequem und sagt: „Das sind meine schönsten Erholungsmomente. Inmitten der Herde sitzen und die Schafe beobachten.“

Wiese satt. Die Pommerschen Landschafe beim Rupfen. Ein Schaf frisst am Tag bis zu 20 Kilo Frischfutter.
Wiese satt. Die Pommerschen Landschafe beim Rupfen. Ein Schaf frisst am Tag bis zu 20 Kilo Frischfutter.

© Kitty Kleist-Heinrich

Dabei stellt er so manche „Ähnlichkeiten mit menschlichen Charakteren“ fest. Es gibt soziale Schafe, die gesellig umherziehen – und Einzelgänger. Es gibt ängstliche Naturen, „die ihre Unsicherheit mit Aufdringlichkeit kompensieren“ und echte Draufgänger. Oder „Entdeckerschafe“. Er zeigt auf eines, das gerade umtriebig die Weide inspiziert. Wenn er seine Tiere derart im Blick hat, fühlt er sich der Herde „irgendwie zugehörig“. Zumal ihn auch die Schafe nicht aus den Augen lassen und mit Mäh und Bäh umkreisen. „Ist doch ein tolles Feedback“, findet Heiße. Welches andere Steckenpferd biete das schon? Er lacht. „Eine Bohrmaschine, die sagt nicht wie meine Schafe ,Hallo!’“

Blitzschnell muss er den Bock an den Hörnern fassen und auf den Rücken werfen

Spannend findet er auch die Sozialstruktur seiner Herde. Um das zu erläutern, pfeift er Josy heran, sein Lieblingsleitschaf. Josy, ein Pommersches Landschaf, ist grau-weiß und sechs Jahre alt. Sie hat etwa ihre Lebensmitte erreicht. Derzeit ist sie die Chefin der Herde, denn bei Schafen herrscht ein strenges Matriarchat. Das Leittier ist immer weiblich. Es bestimmt, wo’s langgeht. „Auch bei den männlichen Tieren gibt es nur ein privilegiertes Exemplar“, erklärt Heiße. Den Zuchtbock. „Er passt auf, hält die Herde zusammen, weshalb er meist ganz hinten läuft.“ Nur den Zuchtbock lassen die Mutterschafe an sich heran, nachdem er sich als Stärkster gegen die Jungböcke durchgesetzt hat. Zum Harem von Heißes derzeitigem Bock gehören acht Tiere. Paarungszeit ist im Herbst. „Nach fünf Jahren allerdings sollte man den Bock auswechseln“, sagt Heiße. Um Inzucht zu vermeiden. Mit den Zuchtböcken hat er schon heftige Kämpfe ausgetragen. Für sie ist er ein Konkurrent. Drei- bis vier mal im Jahr bekommt so ein Bock einen Rappel. „60 Kilo Körpergewicht und gesenkte Hörner rennen dann im Galopp auf Dich zu“, sagt Heiße. Man habe in diesem Fall zwei Möglichkeiten: Entweder einen dicken Knüppel, den Schäferstock, vor sich aufstellen, weil kein Bock gegen einen Baum rennt, sondern davor abstoppt. Oder das Tier blitzschnell an den Hörnern packen, auf den Rücken werfen und so unterordnen. Schafe können sich in dieser Lage nur mit großer Mühe aufrichten. Die schwere Wolle zieht sie zu Boden.

Kurzgeschoren schleichen die Schafe herum, als würden sie sich ihrer Nackheit schämen

Und wann wird ihr Fell geschoren? Das erledigt ein Schafschermeister im Frühjahr. Die Kandidaten werden dabei eingepfercht, „weil sie’s nicht mögen, totalen Zirkus machen“. Kurz geschoren schleichen sie danach herum, als würden sie sich ihrer Nacktheit schämen, erzählt Heiße. Aber schon nach ein paar Tagen fühlen sie sich offenbar angenehm erleichtert – „und machen Sprünge“. Immerhin sind sie bis zu vier Kilo los. Ihre Wolle landet auf dem Kompost. Niemand will sie haben, die Verarbeitung wäre zu aufwändig. Bei der Schäferei hat Martin Heiße engagierte Helfer. Zwei junge Frauen gehen ihm als „Schafpaten“ zur Hand, auch seine jüngere Tochter Hanna packt mit an. Wochenbilanz: Gut 16 Stunden Einsatz. Zäune überprüfen gehört dazu, Klauenpflege, Heu heranschaffen, Ausmisten, das Wachstum der Jungschafe überwachen. Die sind jetzt schon in der Pupertät, toben herum und fordern den Zuchtbock zu Schaukämpfen heraus. Dass sie es nicht all zu wild treiben, dafür sorgt ein älteres Herdenmitglied. Heiße nennt es „das Sitterschaf“. Es kümmert sich um die junge Truppe und hält sie zusammen.

"Den Tieren nicht in die Augen schauen - das macht sie stößig!"

Einen Hütehund gibt’s bei der kleinen Herde nicht. Nur manchmal hätte der Schäfer gerne einen zur Abschreckung, wenn Spaziergänger mal wieder seine Tiere füttern, obwohl das unerwünscht ist. Zum Beispiel mit Salat plus Mc Donald Dressing. So etwas bringt die vier Mägen und den komplizierten Verdauungstrakt der Schafe total durcheinander und sie in Lebensgefahr. Doch andererseits freut sich Heiße über die vielen Besucher, die zum Schafe gucken kommen. Frieda steht jedes Mal zuallererst am Zaun. Doch auch bei ihr gilt der Tipp: Nicht am Kopf streicheln, nicht in die Augen schauen. „Das macht Schafe stößig.“

Martin Heißes Schafe stehen am Naturerlebnispfad im Freizeitpark Marienfelde.
Mehr Infos zum Park und der dazugehörigen Naturschutzstation finden Sie im nachfolgenden Text:

DER FREIZEITPARK

Das ist Berlins grünes Wunder: Aus einer riesigen Mülldeponie im äußersten Süden der Stadt wurde ein Naturparadies. Von 1950 bis 1981 hat die Berliner Stadtreinigung (BSR) auf dem 40 Hektar großen Areal des heutigen Freizeitparks Marienfelde vier Millionen Kubikmeter Abfall gelagert. Danach deckte man die Deponie mit Erde ab und legte auf den Hügeln einen Park an. In den vergangenen zehn Jahren hat der Naturranger Björn Lindner des Naturschutzbundes NABU mit seinem Team dort auf 15 Hektar ein „Naturerlebnisgebiet“ angelegt: Ein Ökopark mit Erlebnispfad, Krötenteich, Sanddünen, Trockenrasen, Zauneidechsenhang, Barfußpfad und Aussichtspunkt. Flora und Fauna können sich frei entwickeln, entsprechend hoch ist der Artenreichtum.

DIE NATURSCHUTZSTATION

Mal einen Frosch oder Libellen im Fluge beobachten, mal einem Imker zuschauen, Fährten lesen, Hühner und Schafe kennenlernen, Falter beim Schlupf beobachten oder einen Naturgarten erleben mit Insektenhotel, Kompost und Nistkästen: Das alles können Kindergruppen und Familien in der NABU- Naturschutzstation am Diedersdorfer Weg 5 erleben. Motto: „Natur Fühlen, Hören, Sehen, Schmecken und Riechen.“ Geöffnet: samstags, 12-18 Uhr, www.berlin-marienfelde.de/natur. Telefon: 75774766.

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