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Schmusen. Unsere Redakteurin Anke Myrrhe wird von Seelöwen umlagert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Circus Krone in Berlin: Mit Seelöwen im Wasser

Zwischen den Vorstellungen kann an der Heidestraße in Berlin jeder mit den berühmten Seelöwen im Circus Krone schwimmen. Ein Selbstversuch mit Fisch und Zärtlichkeit.

Joe weiß ganz genau, was er will. Joe will knutschen. Und zwar richtig, mit ordentlicher Umarmung und Lust auf mehr. Mit seinen Flossen hält er das Objekt seiner Begierde fest, schmeißt sich ran und dann: pffft. Ein bisschen nass, aber durchaus zärtlich.

„Das wird das Erlebnis Ihres Lebens“, hatte die Sprecherin des Circus Krone recht unbescheiden in kräftigem Münchener Dialekt angekündigt. „Sie werden gleich von drei bärtigen Männern umgarnt, und zwar gleichzeitig!“ Gegen Männer, Bärte und Küsse ist ja im Prinzip nichts einzuwenden, doch diese Typen hier wiegen bis zu 160 Kilo und haben ordentlich Zug unter Wasser. Joe, Tino und Chico sind die Stars der Seelöwen-Nummer im Circus Krone, der bis Ende Oktober an der Heidestraße in Moabit gastiert. Und wer mutig genug ist, darf den Tieren nicht nur von weitem bei ihren Kunststücken zusehen, sondern sich auch wirklich und wahrhaftig mit ihnen ins Planschbecken begeben.

84 Quadratmeter, 100 000 Liter Wasser, 18 Grad, keine Heizung, die Tiere nehmen es so, wie die Natur es vorgibt. Und jetzt ist eben Herbst. Joe hat keine Angst vor Neopren, stupst mit der kalten Nase am Hals herum. Sein Fell fasst sich an wie kurzes Hundehaar, gar nicht glitschig, man kann sich daran festhalten und durchs Becken ziehen lassen. Chico schiebt von hinten am Fuß, bis es kitzelt. „Mach mal den Mund auf“, sagt Roland Duss, 57, der Schweizer Tierdompteur und zertifizierter Seelöwen-Papa, der mit seiner Frau Petra, 50, seit mehr als 30 Jahren mit den Tieren unterwegs ist, fast ebenso lange sind sie verheiratet.

Joe zeigt Zähne

Joe reißt das Maul weit auf, zeigt seine Zähne. Nix mehr mit niedlich hier, das sind Raubtiere! Sie fressen sechs bis acht Kilo Fisch am Tag. Chico und Tino, die beiden älteren, schwimmen um die Wette, springen auf Pfiff wie Delphine durch die Luft. Chico und Tino waren die Hauptdarsteller der ZDF-Serie „Hallo Robbie“ mit Karsten Speck, die von 2001 bis 2009 lief. Damals lebten die Tiere mit Familie Duss zeitweise auf Rügen.

Eigentlich gehört noch Charly zum Showquartett, aber der kuschelt nicht so gern, deswegen bleibt er heute lieber drinnen. „Drinnen“ heißt in einem Lkw mit kleinem Becken und ein paar Spielsachen, der sonst nur zur Fahrt von Ort zu Ort und zum Schlafen dient. Wenn nicht gerade Besuch da ist, sind die vier den ganzen Tag draußen in ihrem fahrbaren Schwimmbecken. Am Wohnwagen nebenan, Marke „Travel King“, hängt eine kleine goldene Plakette, „P+R Duss“ ist eingraviert. Unter dem kleinen Vorzelt steht eine Kochplatte auf einem Kühlschrank, ein paar Blumentöpfe und bunte Windräder, Familie Duss versucht, es sich nett zu machen, schließlich ist das hier den Großteil des Jahres ihr Zuhause.

Protest der Tierschützer

„Die Tiere haben viel mehr Platz als wir“, sagt Petra Duss, als wüsste sie schon, welche Frage jetzt kommt. Erst am Wochenende haben Tierschützer wieder am Zaun demonstriert, weil der Zirkus besonders stark auf Tiere setzt. Löwen, Elefanten, Pferde, Kamele, sogar ein Nashorn ist dabei. Mit 100 Tieren reist der Tross durch Deutschland. Wie kann das artgerecht sein? „Was heißt schon artgerecht?“, fragt Petra Duss zurück. „Natürlich ist das Becken nicht das Meer, aber das Becken ist sehr groß.“

Es könnte so groß sein wie der gesamte Platz, es würde nichts ändern. Die Tierschützer fordern nicht weniger als Freiheit. Doch Chico, Joe, Tino und Charly wissen gar nicht, was das ist. Sie sind die zweite Generation des Duss’schen Familienunternehmens, von der ersten Minute ihres Lebens auf Show getrimmt. Damals, auf Rügen, erzählt Petra Duss und grinst, da hätten Chico und Tino hunderte Gelegenheiten gehabt abzuhauen. Raus aufs Meer, weg vom Zirkus. „Aber wenn wir sie abends gerufen haben, sind sie immer wieder zu uns gekommen.“

Zur Show können sie sie ohnehin nicht zwingen, es gibt keine Peitschen, keine Halfter, die vielleicht bei anderen Tieren im Circus Krone den Eindruck des Zwangs verstärken. „Wir haben nur unsere Stimme und den Fischeimer“, sagt Petra Duss. „Wenn die Tiere keine Lust haben, dann bleiben sie draußen.“

Ihre mehrfach ausgezeichnete Nummer im 60er-Jahre-Matrosenlook funktioniert auch mit weniger Tieren – oder Menschen. Drei Monate überwintern Petra und Roland Duss in Spanien, dort gibt es 16 weitere Seelöwen und zahlreiche Familienmitglieder. „Den Tieren ist dort nach ein paar Tagen richtig langweilig“, sagt Petra Duss. „Sie müssen beschäftigt werden, sie brauchen die Show!“

Wie zur Bestätigung meldet sich Tino mit dieser lauten, schnellen Mischung aus Bellen und Brüllen, die heißt: Wirf mir ein Fischlein zu, Hering oder Makrele, ganz egal. Um 11 Uhr hätten die Jungs gefüttert werden sollen, doch sie haben erst auf den Besuch gewartet. Aber erst noch ein Kunststück. „Was sind eure größten Feinde?“, fragt Roland Duss. Die drei drehen sich auf die Seite, recken eine Flosse aus dem Wasser. Haialarm an der Heidestraße. Großer Lacher, kleiner Fisch. Noch ein Kuss? Ach, Joe...

Circus Krone, bis 26. Oktober, Platz an der Heidestraße, Moabit. Karten ab 18 Euro, ermäßigt 15 Euro. Schwimmen mit den Seelöwen ist möglich jeden Vormittag und zwischen den Vorstellungen, nach Terminvereinbarung unter: 01 60 / 73 12 129 oder dussealions@aol.com. 25 Euro, geistig und körperlich behinderte Menschen und Traumapatienten kostenfrei.

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