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Mit Berliner Migrationshintergrund: Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney.

© dpa/Marijan Murat

Bilkay Öney im Interview: "Integration ist kein Schönheitswettbewerb"

Außenansichten einer in Berlin aufgewachsenen Politikerin: Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney über Flüchtlinge, Berlins Kieze und Problemverleugnung.

Bilkay Öney, 44, arbeitete seit 2006 für die Grünen im Berliner Parlament und wechselte 2009 zur SPD. Die türkischstämmige, in Berlin aufgewachsene Politikerin gehört seit 2011 der rot-grünen Koalition in Stuttgart als Integrationsministerin an.

Deutschland und Berlin werden in diesem Jahr deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Es gibt viel Hilfsbereitschaft, aber auch Rassismus. Kann man Ängste ernst nehmen, ohne rechte Positionen einzunehmen?
Gestern habe ich etwa 20 Gespräche auf einem Bürgerempfang geführt. Eine Frau sagte: ’Es wird nur noch von Flüchtlingen gesprochen, wer kümmert sich denn um uns Deutsche?’ Das gab mir zu denken. Das ist keine Angst vor Ausländern, sondern Angst, nicht wahrgenommen zu werden oder zu kurz zu kommen. Nennen wir es Aufmerksamkeitsdefizit. In letzter Zeit stand Flüchtlingspolitik im Fokus, das hat mit der drängenden Aktualität des Themas zu tun. Offenbar gibt es Bürger, die sich dadurch zurückgedrängt fühlen. Deswegen muss man mit den Menschen ins Gespräch kommen, um Ängste abzubauen.

Berlin erwartet 2015 weitere 20 000 Flüchtlinge. Dazu kommen viele Zuwanderer. Kann es problematisch werden, wenn in einzelnen Bezirken die Zahl von Flüchtlingen und Migranten zu stark steigen?
Es besteht nicht allerorts dieselbe Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Das gilt für Berlin wie für andere Kommunen. Aber alle Landesregierungen sind gesetzlich zur Aufnahme verpflichtet. Ähnlich sieht es mit der Zuwanderung aus EU-Ländern aus. Da haben wir keinen Einfluss, weil es die Niederlassungsfreiheit gibt. Das erklärt auch die hohe Zuwanderung in Ballungsräumen aus EU-Ländern, etwa Südosteuropa. Wenn es sich um Ballungsräume handelt, kann man Instrumente der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus nutzen, um Häufungen zu vermeiden. Wenn Migration sich im Stadtbild verteilt, fällt sie weniger ins Gewicht. Deshalb ist es wichtig, dass es genügend bezahlbaren Wohnraum gibt. Man kann auch mit bildungspolitischen Instrumenten arbeiten, um an Schulen eine bessere Mischung von Deutschen und Migranten zu erreichen, etwa durch pädagogische Konzepte, die auch bildungsaffine Eltern anziehen.

Geraten in Berlin Bezirke aus dem Gleichgewicht, und können kippen, weil sich Migranten in einigen Stadtteilen, etwa in Neukölln oder Kreuzberg, sehr konzentrieren?
Von dem, was ich höre, ja. Das scheinen lokale Politiker anders zu sehen. Als ich das ansprach, empörten sich einige...

... etwa die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann ...
... über mich, aber auch das ist in Debatten erlaubt.

Kann es sein, dass sich Berliner Bezirkspolitikerinnen und -Politiker nicht trauen, genau hinzuschauen, weil sie Angst haben, dann in die rechte Ecke gestellt zu werden?
Nein. Insbesondere beim Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky hat man das nicht gespürt und auch seine Nachfolgerin Franziska Giffey hat einen Blick für diese Probleme und spricht sie an. Nicht mit dem Alarmismus wie Buschkowsky, aber mit vernünftigen Lösungsvorschlägen. Es gibt Bezirkspolitiker, die gute Arbeit leisten in schwierigem Umfeld.

Kreuzberg nehmen Sie da aus?
Ich habe in Kreuzberg nur den Konflikt um den Görlitzer Park und die Gerhard-Hauptmann-Schule verfolgt.

Entsteht durch die starke Zunahme von Flüchtlingen und Zuwanderern auch ein Druck auf längst integrierte Migranten?
Diese Entwicklung kann man in allen Ballungsräumen beobachten, etwa hier bei uns in Mannheim, wo es Verdrängungseffekte und Ängste gibt, weil alteingesessene Migranten das Gefühl haben, es sind zu viele Neue da. Zudem kann man in vielen Ballungsräumen beobachten, dass wohlhabende Migranten wegziehen, wenn sie sich eine bessere Gegend leisten können. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder an Schulen mit einem Migrantenanteil von 90 Prozent aufwachsen.

Haben die Vorgänge um die Flüchtlinge am Oranienplatz und im Görlitzer Park dazu geführt, dass eher Ressentiments geschürt wurden, als dass dadurch die Akzeptanz für Zuwanderung gewachsen ist?
Kein Bezirksbürgermeister, kein Minister und kein Ministerpräsident steht über dem Gesetz. Das Asylrecht in Deutschland ist da für politisch Verfolgte. Man muss das den Menschen in dieser Deutlichkeit sagen, man kann ihnen keine falschen Informationen geben. Das halte ich für verantwortungslos, weil dann nämlich Erwartungen enttäuscht werden und Konflikte entstehen, die es möglicherweise sonst nicht gegeben hätte. Auch bei uns haben Flüchtlinge mehrere Wochen lang campiert, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, die ich aber nicht erfüllen konnte, weil auch ich nicht Recht brechen darf und nicht über dem Gesetz stehe. Das haben die Menschen irgendwann auch verstanden.

Fehlt der Wille zu praktikablen Lösungen?
Integration ist kein Schönheitswettbewerb, sondern es geht um Lösungen, die alle Menschen akzeptieren können. Manchmal muss man auch unpopuläre Dinge umsetzen oder fordern. Ich finde es schade, dass in Deutschland bestimmte Reflexe sofort ausgelöst werden und sachliche Diskussionen dadurch erschwert werden. Schade ist, dass durch diesen Mechanismus manche Politiker zurückschrecken und Probleme nicht benennen, und damit das Feld den radikalen Kräften überlassen. Unsere Aufgabe ist es doch gerade, uns Gedanken zu machen über rechtlich mögliche Lösungen. Mantras wie „wir müssen uns alle lieb haben“ funktionieren leider nicht.

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