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Zwei von inzwischen 35 Stolpersteinen in Pankow. Sie liegen gegenüber dem Rathaus Center in der Breiten Straße.

© Ulrike Scheffer

Erinnerung an jüdische Mitbürger: Drei neue Stolpersteine für Pankow

Am Samstag sind in der Breiten Straße Stolpersteine für die Familie Fischer verlegt worden. Frida Fischer und ihre beiden erwachsenen Kinder wurden schon mit dem zweiten Transport aus Berlin deportiert.

Der Ausspruch "Sie müssen nach Pankow!" war Ende des 19. Jahrhunderts ein geflügeltes Wort in Berlin. Er bedeutete nichts anderes als: "Sie sollten mal Ihren Geisteszustand untersuchen lassen." Denn in dem nördlichen Stadtteil gab es gleich mehrere Nervenärzte. Die meisten waren Juden. Zu den bekanntesten gehörte Emanuel Mendel, der auf der Breiten Straße eine Privatklinik betrieb. Auch der jüdische Allgemeinmediziner Julius Fischer praktizierte in Pankow. Er lebte zunächst in der Breiten Straße 4, baute 1902 dann etwas weiter das Haus mit der Doppelnummer 8 und 9. Am vergangenen Samstag (26.9.) wurden vor diesem Haus, in dem sich heute unten ein Backshop und oben die Galerie Pankow befinden, drei Stolpersteine für die Familie Fischer verlegt - für Julius' Frau Frida und ihre Kinder Lotti und Heinz. Alle drei wurden im Oktober 1941 schon mit dem zweiten Transport aus Berlin ins Ghetto nach Lodz deportiert und im Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Julius Fischer selbst hatte sich 1927 das Leben genommen.

Seit 2013 gibt es in Pankow eine Stolpersteingruppe. Sie hat die Stolpersteinverlegung vorbereitet und im Anschluss an die Verlegung in der Galerie Pankow an die Familie erinnert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte die Gruppe am Ende doch eine ganze Menge über die Familie Fischer in Erfahrung bringen. Vor allem der 1903 geborene Sohn Heinz Fischer, der Konzertpianist war, tauchte seit den 1920er Jahren immer mal wieder in Konzertankündigungen auf. "Über Frauen finden wir dagegen meist sehr viel weniger heraus", sagt Maili Hochhuth, die zu den treibenden Kräften der Pankower Gruppe gehört. Frauen hätten in vielen Fällen keinen Beruf ergriffen und seien damit öffentlich kaum in Erscheinung getreten. Auch die Tatsache, dass sie nach einer Heirat den Namen wechselten, mache es schwer, ihren Spuren zu folgen, erklärt sie.

Die Breite Straße war vor dem Krieg ein richtiger Prachtboulevard.
Die Breite Straße war vor dem Krieg ein richtiger Prachtboulevard.

© Imago

Maili Hochhuth zog 2009 mit ihrem Mann von Kassel nach Pankow. Wie die meisten Mitglieder der Stolpersteingruppe sind sie im Rentenalter und wollen durch ihr Engagement dazu beitragen, die Erinnerung an die Schrecken des Dritten Reiches wach zu halten. In Pankow gibt es gerade im Hinblick auf die Verbrechen an jüdischen Mitbürgern noch eine Menge aufzuarbeiten. "Allein rund um den alten Dorfanger, auf der Breiten Straße also, könnten wir mindestens 18 Stolpersteine verlegen", sagt Gerhard Hochhuth. Von den 563 jüdischen NS-Opfern im Altbezirk Pankow lebten 472 im Ortsteil Pankow selbst. Die Bewohner jüdischer Einrichtungen wie des Waisenhauses in der Berliner Straße sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

200 Stolpersteine für Pankow

Etwa 200 Stolpersteine hat die Pankower Gruppe für die kommenden Jahre ins Auge gefasst, 25 im kommenden Jahr. Die Termine sind vor allem von Gunter Demnig, dem Initiator der Stolperstein-Initiative, abhängig. Er kommt nur viermal im Jahr nach Berlin und verlegt dann jeweils 80 Steine. "Da stehen die einzelnen Berliner Gruppen fast schon ein wenig in Konkurrenz zueinander", sagt Maili Hochhuth. Andererseits bleibt der Gruppe so jeweils genügend Zeit, die Geschichten der Opfer zu recherchieren und noch lebende Angehörige ausfindig zu machen. Unterstützt werden sie dabei vom Museum Pankow und vom Jüdischen Museum. Ein wahrer Glücksfall für die Pankower sind außerdem die Forschungen der in diesem Sommer verstorbenen Musikwissenschaftlerin Inge Lammel. Die Berlinerin war selbst Jüdin und entkam 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Nach dem Krieg kehrte sie nach Ostberlin zurück. Ab 1991 begann sie schließlich, die jüdische Geschichte Pankows zu erforschen. Dafür wurde sie 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Vergessener Lebensretter aus Pankow

Die Stolpersteingruppe hat noch weitere Projekte. So entdeckten Gudrun Schottmann und Christof Kurz, inzwischen ebenfalls Mitglieder der Gruppe, dass auch ihr Wohnhaus einmal einen jüdischen Besitzer hatte: den Pankower Flaschengroßhändler Paul Latte. Die beiden versuchen seither, mehr über Paul Latte und seine Frau Selma zu erfahren. Sie setzen sich außerdem dafür ein, dass ein kleiner Platz, der an die ehemalige Fabrik Lattes im heutigen Gewerbegebiet an der Buchholzer Straße angrenzt, den Namen Selma-und-Paul-Latte-Platz erhält. Denn Paul Latte war nicht einfach nur ein wohlhabender Fabrikant. Er stellte in den 1930er Jahren einen Teil seines Gewerbegrundstücks für ein Lager zur Verfügung, in dem sich junge Juden auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten konnten. Sie lernten Handwerke, Landwirtschaft und Hauswirtschaft. "Das hat sicher vielen das Leben gerettet", sagt Gudrun Schottmann. Derzeit wird eine Gedenktafel für das Ehepaar Latte vorbereitet. Und auch mit der Platz-Benennung sieht es gut aus.

Kiezspaziergang in Niederschönhausen

Die nächste Stolpersteinverlegung in Pankow steht auch schon an: am 13. November vor der Eichenstraße 16, dem Wohnhaus der jüdischen Familie Aufrecht. Das Ehepaar Hermann und Erna Aufrecht und ihre Kinder Margot und Herbert wurden 1941 von hier aus nach Minsk deportiert. Nur die Tochter überlebte. Am 21. November findet außerdem ein Kiezspaziergang zu Stolpersteinen und Gedenkorten in Niederschönhausen statt. Treffpunkt ist um 14 Uhr vor dem Supermarkt in der Hermann-Hesse-Straße, Ecke Waldstraße.

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