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Fluglärm-Urteil: Von laut bis unlauter

Das Urteil zum Fluglärm zeigt: Heimlichtuerei und Trickserei gehören offenbar zur internen Verhaltenskultur der BER-Verantwortlichen. Doch die Verantwortlichen, insbesondere der Ministerpräsident von Brandenburg, müssen nun dafür die Rechnung zahlen.

Null Mal ist kein Mal. Um das zu klären, hätte es nicht das Oberverwaltungsgericht gebraucht, das weiß jeder Drittklässler. Wenn ein Lärmpegel null Mal überschritten werden darf, wie es im Gesetz steht, dann auch nicht einmal in zwei Tagen. Jetzt weiß es auch Brandenburgs Regierung. Die ist beim Streit um den Lärmschutz am Flughafen Schönefeld um eine Erfahrung reicher: Rechenkunststücke gehen leicht daneben – besonders, wenn die Rechnung ohne den Richter gemacht wird.

Wer nicht hören will, muss eben zahlen. Der Anspruch auf uneingeschränkten Lärmschutz für die BER-Anwohner wird fast 600 Millionen Euro mehr kosten, als die Flughafengesellschaft herausrücken wollte – für ein Schallschutzprogramm, von dem sie wusste, dass es nicht mit den Vorgaben der Baugenehmigung von 2004 übereinstimmte. Dafür haben die BER-Chefs getrickst, und die Landesregierung hat es mitgetragen, wie Protokolle belegen. Für tausende Anwohner, bei denen sich angesichts dieser jahrelangen Täuschung viel Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust findet, ist das Urteil deswegen eine Genugtuung.

Auf null gebracht hat das Urteil zugleich den Brandenburger Ministerpräsidenten und jetzigen BER-Aufsichtsratschef Matthias Platzeck. Haltet euch an eure eigenen Gesetze, hat der Richter gemahnt – eine Klatsche für den Regierungschef mit der bürgerbewegten Vergangenheit. Er hat sich auf peinliche Weise in seiner Doppelrolle verloren. Anstatt vor Jahren gegen das unwürdige Spiel mit der Gesundheit der Anwohner aufzustehen, macht er sich nun für ein Nachtflugverbot stark, obwohl die Frage längst höchstrichterlich entschieden ist.

Kein einziges Mal am Tag darf künftig in den Wohnungen der Lärmpegel durch die Flugzeuge die Gesprächslautstärke von 55 Dezibel übersteigen – wie es in der Baugenehmigung steht. An der Weisheit des Urteils kann man trotzdem zweifeln. Denn im Kern wird eine Absurdität fixiert. In Nachtstunden nämlich darf die 55-Dezibel-Grenze sechsmal überschritten werden, am Tage kein einziges Mal. Weil das nur durch einen wirtschaftlich unvertretbaren technischen Aufwand erreicht werden kann, werden Bewohner deshalb eine Entschädigung, aber keinen Lärmschutz bekommen. Ein Witz.

Eine Grenzwertüberschreitung alle zwei Tage wäre auch erträglich gewesen. Mancher Berliner, der an Hauptstraßen wohnt, würde sich freuen, wenn seine Gespräche nur alle zwei Tage vom Autolärm übertönt würden. Es wird nicht lange dauern, bis der erste Kläger das Urteil als Blaupause nimmt, die Lärmsituation in Berlin zu verbessern. Hätte die Potsdamer Regierung das Vertrauen durch eigenes Verschulden nicht verspielt, wären vielleicht andere, nicht so teure Lösungen möglich gewesen oder eine frühzeitige Veränderung des Planfeststellungsbeschlusses. Denn zahlen für den maximalen Lärmschutz muss der Steuerzahler.

Heimlichtuerei und Trickserei gehören offenbar zur internen Verhaltenskultur der BER-Verantwortlichen. Auch bei den Routen für Starts und Landungen wurden zehntausende Anwohner in der trügerischen Sicherheit gelassen, dass über ihren Dächern niemals Jets hinwegröhren, obwohl Flughafengesellschaft und Regierung die wahren Routen schon jahrelang kannten. Die Verbissenheit, mit der nun um jede Kompensation gekämpft wird, darf deshalb niemanden überraschen. Im Fliegerjargon steht BER übrigens für „beyond economical repair“ – Totalschaden mithin. Ziemlich beschädigt lässt das Urteil auch die Landesregierung zurück.

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