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Im Stich gelassen. Simon Wachsmuth, Teilnehmer der letzten Documenta in Kassel, als depressiver Bienenmensch im Gewächshaus.

© Harry Schnitger

Ausstellung im Grünen: Laubenpieker

Nur die Smarten kommen in den Garten: Die Ausstellung „Stay Hungry“ verpflanzt Künstler in die Schreberkolonie - zu beiderseitigem Vorteil. Das Ergebnis: kuriose Begegnungen.

„Die Lampe willst du abhängen?“, fragte Anna Redeker, die Kuratorin, ihren Künstler Harald Hofmann. „Die ist doch so schrecklich, dass sie wieder schön ist.“ Die Lampe hat eine schmiedeeiserne Aufhängung und einen bräunlich-vergilbten Schirm. Rustikal könnte man sie nennen. Genau wie man sich Lampen in Schrebergartenhäuschen vorstellt. Hofmann sagt: „Ich brauche einen ruhigeren Hintergrund.“ So ist das eben, wenn sich die Kunstwelt aus den weißen Wänden der Galerie herauswagt: Ästhetik-Debatten werden dann nicht nur über Kunstwerke geführt.

Am Donnerstagabend eröffnete die Ausstellung „Stay Hungry“, zehn Tage lang zeigen Künstler in der Kleingartenkolonie Potsdamer Güterbahnhof am Gleisdreieck ihre Arbeiten, zwischen Hecken und Sträuchern, in Lauben und unter der Trasse der U2, die in regelmäßigen Abständen über diese grüne Insel mitten in der Stadt hinwegrauscht.

Eine Abrechnung mit Schrebergarten-Klischees wird es jedoch nicht. Eher noch geht es der Kunst an den Kragen. Die ziehe sich nämlich, so die Macher des Projekts, Anna Redeker und Theo Ligthart, immer mehr in geschlossene Zirkel zurück und diene häufig nur noch als Lifestyle-Accessoire und schmückendes Beiwerk für private Sammler. Die Parzellierung der Kunst quasi.

Und da steht man dann schon mitten in den Schrebergärten, die eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben, so die These. „Ursprünglich waren sie mal ein Ort für soziale Utopien,“ sagt Redeker, 26 Jahre alt, Studentin der Kunstgeschichte und vernetzt mit den Künstlern der Stadt – unter anderem hat sie eine Ein-Abend-Ausstellung in dem Kneipen-Galerie-Hybrid Forgotten Bar in Kreuzberg konzipiert.

Heute aber seien Kleingärten kleinbürgerliche Rückzugsorte, ein Hort von Gartenzwergen. Ein weißer Zettel weht im Wind, direkt am versteckten Eingang der Kolonie am Gleisdreieck, „Polterabend“ steht darauf, mit Herzen umrandet. Der Pfeil weist Richtung Vereinsheim, dort, wo noch die Girlanden aus sich küssenden Täubchen hängen.

Aber dieses Bild so stehen zu lassen, das wäre ungerecht, zumindest in dieser Kolonie. „Natürlich veranstalten wir Eisbeinessen und Skatabende“, sagt Kleingärtner Klaus Trappmann. „Aber Sie sehen ja selbst, hier ist alles ein bisschen lockerer.“ Alles wuchert und wächst. Es ist ein verwunschener Ort, und das mitten in der Stadt. Im Winter, wenn das Laub von den Bäumen gefallen ist, sehen die Gärtner auf die hohen Gebäude des Potsdamer Platzes.

Trappmann ist seit mehr als vier Jahren der Vorsitzende des Vereins. Die 50er-Jahre-Möbel seines Vorbesitzers hat er zum Teil behalten. So wie Trappmann sie in seiner gemütlichen Laube arrangiert hat, sehen sie richtig stylish aus. Trappmann ist ein Alt-68er-Typ, mit wildem Bart und tiefer Stimme, gerne erzählt er Besuchern, dass sich in den Schrebergärten ein „Paradigmenwechsel“ vollzogen habe. Die Idee mit der Kunstaktion hat ihm gleich gefallen. Schließlich steht für ihn und die seit 1948 existierende Kolonie viel auf dem Spiel. Die Kleingärtner waren bis vor kurzem bedroht, das Gleisdreieck wird in einen Park verwandelt. Nun müssen Trappmann und die 70 Parzellanten beweisen, dass sie nicht im Weg sind. „Wir wollen uns öffnen“, sagt der Vorsitzende. Und hat für die Berliner Künstler die Türen der Lauben aufgemacht. 16 Kleingärtner konnte er überzeugen mitzumachen.

Angelika Ilk ist auch dabei. Sie hat schon bei den sogenannten „Previews“ mitgemacht. Das waren Kunstaktionen für einen Abend, Testläufe fürs große Finale. Einmal hatte die 60-Jährige das deutsch-walisische Künstlerduo Awst & Walther in ihrem Garten, der mit dem hübschen roten Haus, die 4a. „Die haben kiloweise Tomaten angeschleppt und haben dann eine Performance gemacht und Bloody Mary bei mir gemixt“, erzählt sie.

„Stay Hungry“ – der Titel des Projekts klingt deplatziert in einer Kleingartenkolonie, die nach dem Krieg gegen die Armut gegründet wurde, damit sich jeder sein Gemüse selbst anbauen konnte. „Bleib bissig“, so will es Kurator Theo Ligthart, 46 und selbst Künstler, übersetzt wissen. Sei neugierig auf Kunst. Zwanzig Positionen sind zu sehen, Nachwuchs genauso wie bekannte Namen. Awst & Walther haben schon auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Stephen Willats, 1943 geboren, ist Konzeptkünstler, seine Werke befinden sich in zahlreichen Museen, wie der Tate Gallery in London. Simon Wachsmuth, Teilnehmer der letzten Documenta in Kassel, stellt sich als depressive Biene ins Glashaus. Der Musiker Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten richtet eine Klanginstallation ein.

„Ich habe hier schöne Erfahrungen mit den Laubenpiepern gemacht“, sagt Künstlerin Bettina Khano. „Sie sagen kluge Sachen zu den Arbeiten.“ Khano hat sich ein Grundstück mit abgebrannter Hütte ausgesucht. Auf einer rechteckigen Fläche verteilt sie zentimeterdick feinen Kreidestaub, er sieht aus wie Asche. Der Boden mit den Pflanzen zeichnet sich wie ein Relief ab, die Strukturen der Oberflächen treten in den Vordergrund. Bereits bei einer der Previews hatte Bettina Khano eine Veranda mit Staub bedeckt und so einen geheimnisvollen Ort inszeniert. Durch die Koniferen von Klaus Trappmann hat sie Nebelschwaden wabern lassen. „Ich war so fasziniert von meinem eigenen Garten, alles sah so anders aus“, schwärmt der Vorsitzende.

Nicht immer ist es so leicht, den künstlerischen Eingriff zu erkennen. „Stay Hungry“, das heißt auch: wachsam bleiben. Denn der Besucher trifft auch auf den Erfindergeist von sparsamen und pragmatischen Kleingärtnern, die gefundenes Material gerne für An- und Umbauten verwenden. Stammt die Mauerecke aus alten Flaschen von einem Gärtner oder ist das ein skulpturaler Eingriff eines Bildhauers? Für Besucher ist der Eintritt in den Mikrokosmos Kleingarten eine Entdeckungsreise, bei der Grenzen verschwimmen.

Schrebergärten am Gleisdreieck, Zugang über Ecke Bülow-/Dennewitzstraße. Bis 29. Mai, tägl. ab 20 Uhr und nach Vereinbarung. Infos: www.stay-hungry.net

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