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Drehort Berlin. Als Gregory Peck 1953 „Das unsichtbare Netz“ drehte, war die Stadt noch ramponiert, aber es ging voran. Auf dem Ku’damm lockten Kinos, die Gedächtniskirche kam ins Bild, und in Tempelhof landeten Propellermaschinen. Foto: Imago/Screenshots: Klaas

© imago/ZUMA/Keystone

Drehort Berlin: Entführt ins Reich des Bösen

1953 drehte Gregory Peck in Berlin „Das unsichtbare Netz“. Jetzt wurde der Thriller aus dem Kalten Krieg als DVD veröffentlicht Die Nazis entfielen in der deutschen Fassung.

Die Uniform saß wie angegossen. Die eines Colonels mit dem Abzeichen der U.S. Berlin Brigade, flammendes Schwert auf blauem Grund; auf der Brust Ordensspangen, alles am rechten Ort. Gregory Peck passte der schmucke Waffenrock trotzdem nicht. Wozu die dick ausgepolsterten Schultern, die Wespentaille? „Ich sehe aus wie ein Platzanweiser in der Radio City Music Hall.“ Also flog die Jacke in die Ecke, Pecks eigener Londoner Schneider musste ran, in aller Eile, die Dreharbeiten in Berlin sollten bald beginnen.

Es waren nicht die einzigen Kostümprobleme, denen sich die Ausstatter des 1953 in Berlin (mit Studioaufnahmen in München) gedrehten, jetzt als DVD veröffentlichten Spionagethrillers „Das unsichtbare Netz – Night People“ gegenübersahen. Darryl F. Zanuck, Boss der 20th Century Fox, hatte kaum die ersten Aufnahmen mit Pecks Filmpartnerin, der Schwedin Anita Björk, zu Gesicht bekommen, da kabelte er schon seinem Regisseur Nunnally Johnson über den Atlantik: „Mach was mit dem Mädchen! Sie hat keine Titten.“ Das stimmte, gab Johnson später zu, und so wurde wieder ausgepolstert, diesmal ohne Proteste.

Als sich Gregory Peck bei der Berlinale 1993 seinen Goldenen Ehrenbären abholte, war dem Begleitbüchlein zu der ihm gewidmeten Retrospektive auch ein autobiografische Text beigefügt. Der damals gleichfalls gezeigte Film „Das unsichtbare Netz“ war darin nicht erwähnt, obwohl es wohl Pecks intensivste Berlin-Erfahrung war. Ohnehin hat der Thriller aus dem tiefsten Kalten Krieg bei weitem nicht den Ruhm wie „Ein Herz und eine Krone“ oder „Sein größter Bluff“ erreicht, die er kurz vorher gedreht hatte. An der Qualität von Pecks darstellerischer Leistung hat das nicht gelegen, auch nicht an mangelnder, zudem durch Humor verfeinerten Spannung. Aber der Film, in dem in kleinen Rollen auch die blutjunge Marianne Koch und Peter van Eyck mitspielten, blieb vielleicht doch zu zeitgebunden, als dass er ein Klassiker hätte werden können.

Was ihn für Zuschauer mit einem Faible für Berlin-Geschichte aber um so interessanter macht: Der Film zeigt in seinen Außenaufnahmen eine Stadthälfte noch voller Ruinen, doch schon wieder deutlich im Aufstieg begriffen. Flughafen Tempelhof, Kurfürstendamm mit Gedächtniskirche und Kempinski, Liebesszene in der Krummen Straße, Militärparade auf der Straße des 17. Juni, McNair Barracks in der ansonsten noch leeren Goerzallee – alles da. Und in einem Lokal, an der Wand ein Werbeschild der Bötzow-Brauerei, wird auf der Bühne sogar „Im Grunewald ist Holzauktion“ geschmettert.

Auch die Geschichte hat realen Hintergrund: Ein junger US-Soldat ist von den Russen entführt worden, die ihn gegen ein altes deutsches Ehepaar austauschen wollen. Ein heikler Fall für Gregory Peck als Colonel Steve van Dyke vom CIC, dem Counter Intelligence Corps, zumal der Vater des Soldaten, ein einflussreicher US-Industrieller, nach Berlin gereist ist, um den Fall mit seinen Methoden, also Dollars, zu lösen. Gegenüber den Russen ein sinnloses Unterfangen, wie ihn der Colonel belehrt: „Das sind Kannibalen, nach Köpfen jagende, blutdürstige Kannibalen, die darauf aus sind, uns zu verspeisen.“ Oder wie es im deutschen Presseheft hieß: „Mit den Methoden eines Dschingis Khan ist der Osten über die alten Kulturen Europas hergefallen – und ,kidnappt’ Menschen aus politischen Motiven.“ Das tat er damals tatsächlich, auch ein Reporter des Tagesspiegels wurde 1948 aus Ost-Berlin für sieben Jahre nach Sibirien verschleppt.

Entführungen wie in „Das unsichtbare Netz“ hat es also gegeben, was die Frage nicht beantwortet, warum die Filmrussen nicht gleich das ins Visier genommene Ehepaar gekidnappt haben statt den Umweg über den jungen US-Soldaten zu nehmen. Interessanter aus heutiger Sicht ist allerdings der Vergleich der englischsprachigen mit der synchronisierten Fassung: Im Original ist der Ehemann ein deutscher Wehrmachtsgeneral, der am Attentat auf Hitler beteiligt war. „Himmlers Männer“, so sagt seine Frau, haben ihn gefoltert und geblendet, er konnte aber fliehen, doch die Alt-Nazis sind noch immer hinter ihm her, nunmehr im Dienste der Sowjets, mit deren Hilfe sie ihre alte Rechnungen begleichen wollen. In der deutschen Fassung jedoch ist aus dem General laut altem Presseheft ein Raketenforscher geworden, „der bei Versuchen mit der V2 sein Augenlicht verloren habe“.

Ein Einzelfall war eine solche „Entnazifizierung“ im deutschen Kino der fünfziger Jahre keinesfalls. Berühmtestes Beispiel: „Casablanca“. Als der Film1952 in die deutschen Kinos kam, fehlten 25 Minuten. Der Widerstandskämpfer Victor László war zum norwegischen Atomphysiker mutiert, und die Nazis hatten sich fast spurlos in Luft aufgelöst.

Das unsichtbare Netz – Night People. USA 1953, DVD, ca. 90 Minuten, Englisch/Deutsch. Pidax-Film, Riegelsberg (www.pidax-film.de)

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