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Konzept: Herzlichkeit: Neues Hotel "Grenzfall" integriert Schwerbehinderte als Arbeitskräfte

17 von 23 Mitarbeitern des neuen Hotels „Grenzfall“ in Mitte sind schwerbehindert – und arbeiten hoch professionell. Am Freitag war Eröffnung.

Ayla Holthöfer ist 25 Jahre alt und gelernte Hotelfachfrau. Routiniert macht sie die Betten in einem 3-Sterne-Hotel in Mitte. Die Arbeit, sagt sie, ist ihr eine Herzensangelegenheit. Ayla ist Epileptikerin und hat eine halbseitige Spastik. Doch im Hotel „Grenzfall“ in der Ackerstraße ist das egal, 17 von 23 Mitarbeitern sind dort schwerbehindert. Am Freitag war die feierliche Eröffnung. Nun müssen noch die Gäste von dem integrativen Konzept überzeugt werden.

„In einem Jahr wird das Haus so was von voll sein!“, prophezeit Axel Grassmann. Er ist Präsident der Kooperation integrativer Hotelbetriebe. 25 solcher Hotels gibt es in ganz Deutschland. Behinderte und nicht Behinderte sollen dort selbstverständlich miteinander in Kontakt kommen. In Berlin ist das „Grenzfall“ nach dem Hotel „Mit-Mensch“ in Köpenick nun bereits der zweite Betrieb mit diesem Konzept. Ein drittes soll bald folgen. Hier werde eine Marktlücke bedient, findet Grassmann. „Die Leute wollen nicht nur ein Gebäude. Dieses Hotel erzählt eine Geschichte.“

Keine hundert Meter weiter stehen die Reste der Berliner Mauer in der Bernauerstraße. Bei der friedlichen Revolution 1989 wurden hier die ersten Steine aus der Mauer gebrochen. „Genau wie damals wollen wir heute mit diesem Projekt wieder Grenzen einreißen“, erklärt die Bevollmächtigte für bürgerschaftliches Engagement, Monika Helbig.

Und auch das Gebäude selbst hat turbulente Zeiten hinter sich, weiß Pfarrer Manfred Fischer, Vorstand des Vereins Schrippenkirche, zu dem das Hotel gehört. Nach der Eröffnungsrede ist ihm die Erleichterung anzusehen. Zuletzt betrieb der mehr als 125 Jahre alte Verein hier ein defizitäres Altenheim. Zusammen mit Geschäftsführer Reinhardt Burghardt machte sich Fischer auf die Suche nach einem neuen Konzept, das ein soziales Ziel verfolgt, sich aber auch wirtschaftlich trägt. Nun soll das „Grenzfall“ die Gäste mit seiner Herzlichkeit überzeugen. Dabei nutze man vor allem die Stärken der Behinderten: „Ein Mitarbeiter mit Downsyndrom ist zum Beispiel extrem geduldig“, sagt Fischer. Für die Bedienung am Frühstücksbuffet ist das eine unbezahlbare Eigenschaft. „Die Behinderung ist dann keine mehr, sondern ein Vorteil.“ Die Leute sollten nicht aus Mitleid kommen, sondern weil sie das Haus als zufriedene Gäste wieder verlassen.

Dafür, dass überhaupt jemand kommt, ist Therese Christierson zuständig. Denn auch das Integrationshotel müsse sich auf dem hart umkämpften Tourismusmarkt behaupten. „Extra wegen der Zimmer wird wohl kein Gast kommen“, sagt die Marketingfrau. Die Atmosphäre aber sei einzigartig. „Die Mitarbeiter sind extrem motiviert und dankbar, dass sie hier arbeiten dürfen.“ Alles sei unverkrampfter, auch behinderte Gäste könnten mit einem ganz natürlichen Verständnis rechnen. Manche Dinge dauerten dann eben einfach etwas länger. Tatsächlich wirkt das ganze Hotel wie eine Oase der Entschleunigung. Die Ministerien des Bundes und die Deutsche Bahn haben bereits angekündigt, ihre gestressten Mitarbeiter künftig im „Grenzfall“ absteigen zu lassen. Danach hoffe man auf Mundpropaganda.

Für Ayla jedenfalls ist das Konzept bereits aufgegangen. Nachdem sie über ein Jahr lang in einem Café jobben musste, kann sie nun wieder ihren Beruf ausüben.

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