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DDR-Geschichte als Comic: Tatwaffe Schreibmaschine

Zwei Comicautoren haben die Geschichte des DDR-Bürgerrechtlers Peter Grimm als Bilderzählung verarbeitet. Die Berliner Zionskirche zeigt eine Ausstellung zum Buch.

An der Wand der Zionskirche hängt das Bild eines überlebensgroßen DDR-Volkspolizisten: „Kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts!“, steht in der Sprechblase darunter. Momente wie dieser, in denen die Staatsmacht ihn zum Verhör mit ungewissem Ausgang mitnahm, waren für Peter Grimm Teil des Alltags, damals in den 80er Jahren. Manchmal löste das bei dem jungen Mann, der als Schüler zur Opposition gestoßen war, Angst aus, später spürte er in solchen Momenten „eine plötzliche Ernüchterung“, wie sich der heute 46-Jährige beim Treffen in der Zionskirche erinnert, jener Kirche in Mitte nahe Prenzlauer Berg, die für die ostdeutsche Bürgerrechtsbewegung zum Symbol wurde.

Neben der Zeichnung des Polizisten hängt an der Kirchenwand das Bild eines jungen Mannes auf einem Fahrrad, der mit ausgebreiteten Armen fährt und zu fliegen scheint: So haben die Comic-Autoren Thomas Henseler und Susanne Buddenberg Peter Grimm als Schüler gezeichnet. In diesen Tagen kommt ihre packend geschilderte und professionell gezeichnete Comic-Erzählung „Grenzfall“ in die Buchläden, und in der Zionskirche eröffnet eine Ausstellung mit Bildern aus dem Buch. Dort kann man dann in großformatigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen nachvollziehen, was passierte, nachdem der Schüler Peter Grimm sich nicht mit der staatlichen Jubelpropaganda der SED anfreunden konnte: Das Abitur wurde ihm verwehrt, über die Kirche kam er in Kontakt mit Bürgerrechtsgruppen, er engagierte sich in der regimekritischen Umweltbewegung, gründete mit Mitstreitern die oppositionelle Zeitung „Grenzfall“ und geriet ins Visier der Stasi.

Zeichner und Objekt. Die Comic-Macher Thomas Henseler (Mitte) und Susanne Buddenberg (links) und ihr „Comic-Held“ Peter Grimm (rechts) in der Zionskirche.
Zeichner und Objekt. Die Comic-Macher Thomas Henseler (Mitte) und Susanne Buddenberg (links) und ihr „Comic-Held“ Peter Grimm (rechts) in der Zionskirche.

© Mike Wolff

Als sich Thomas Henseler und Susanne Buddenberg vor zwei Jahren an Grimm wandten, um seine Geschichte zu erzählen, fand der einstige DDR-Rebell, der heute als Journalist arbeitet, das zu Anfang „komisch“, wie er sagt. Ein Comic für so ein ernstes Thema? Sie überzeugten ihn, dass es neben Asterix oder Micky Maus inzwischen auch etliche Comics mit politischen Themen gibt. Er begann, ihnen seine Geschichte zu erzählen, basierend auf Erinnerungen – und der umfangreichen Stasi-Akte zu seiner Person.

Henseler und Buddenberg, die eine Designfirma in Mitte betreiben, recherchierten parallel: Die beiden gelernten Westler lasen sich ein Grundwissen in Sachen DDR-Opposition an, studierten Unterlagen aus dem Stasi-Nachlass und interviewten andere Akteure der Bürgerrechtsbewegung, wie Katja Havemann oder den Pfarrer der Zionskirche, Hans Simon, in dessen Keller sich die Gruppe um Peter Grimm damals in den Räumen der „Umweltbibliothek“ unbehelligt versammeln konnte. Das Comic-Team – Text und Dramaturgie sind von beiden, die Zeichnungen von Henseler, die Kolorierung und Schattierung von Buddenberg – verdichtete Grimms Geschichte und konzentrierte sie auf die Hauptpersonen. Das Ergebnis der rund einjährigen Arbeit ist eine fesselnde Erzählung, die vor allem Lesern, die die DDR kaum erlebt haben, ein anschauliches Bild davon vermittelt, wie schwer es damals war, gegen den Strom zu schwimmen – aber dass es möglich war.

Grimms Biografie wählten die beiden Autoren auch deswegen aus, weil sie ihnen „wie aus einem Dramaturgie-Lehrbuch“ erschien, wie Henseler sagt: Ein jugendlicher Held, der viele Widerstände überwinden muss – und am Schluss ganz unerwartet einen kleinen Sieg davontragen kann. Denn der mithilfe eines Spitzels in der Opposition ausgelöste Großeinsatz der Stasi gegen die Macher der „feindlich-negativen“ Publikation „Grenzfall“, die den dramatischen Höhepunkt der zwischen 1982 und 1987 spielenden Erzählung darstellt, geht für die Stasi anders aus als geplant. Zwar werden Schreib- und Druckmaschinen beschlagnahmt – aber die Aktion mobilisiert den Widerstand im ganzen Land.

Der Alltag in der Opposition, auch das macht das von der Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte Buch deutlich, bot neben dem Kampf  für mehr Freiheit auch jede Menge Lebensfreude: „Wir haben die Zeit ja nicht zwingend als heroisch erlebt, sondern hatten auch viel Spaß“, sagt Grimm, der mit seinem angegrauten Bart und der Brille seinem jugendlichen Comic-Ich nur noch sehr entfernt ähnelt. „Und wir hatten großes Glück, dass wir vom Ort und von der Zeit her den Preis nicht bezahlen mussten, den wir riskierten.“ Denn in der Regel liefen Grimms Konfrontationen mit der Staatsmacht glimpflich ab. So wie die, deren Eröffnungsmoment jetzt als großes Bild in der Zionskirche hängt.

Thomas Henseler und Susanne Buddenberg: Grenzfall, erschienen im Avant-Verlag, 100 S., 14,95 Euro. Die Ausstellung ist bis zum 29. Mai in der Zionskirche, Zionskirchplatz, in Prenzlauer Berg zu sehen.

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