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Hunde-Chaos in Berlin. Theodor Hosemann karikierte 1846 das Straßenbild mit Karrenhunden und andere Schnauzen.

© Repro: Tsp

Berlin bellt (2): Die Kläfferschwemme war nicht zu stoppen

Erst Königshof, dann Hinterhof: Hund und Berlin, das hat Tradition. Meldepflicht, Maulkorbzwang und Steuer gab es schon vor 150 Jahren. Doch auch Gesetze vermochten die Kläfferschwemme nicht zu stoppen.

Ausreißer „Ami“ war leicht zu erkennen. „Meinem weißen Liebling fehlt ein Auge“, schrieb die Besitzerin in ihrer Suchanzeige im Berliner Amtsblatt von 1840. Der Spitz sei „mit einem rothen Halsbande versehen“ samt Steuermarke. „Wer das Tier findet, soll es in der Rosenthaler Straße 72a abgeben – gleich rechts im Posamentierladen.“ Ami war kein Einzelfall im alten Berlin. Schon 1812 bat ein Junge, ihm seinen „Oglu“, einen blassgelben Mops, zurückzubringen und versprach dem Finder eine „gute Recompense“. Nur ein paar Jahre später hatte sich der Ton im „Berliner Courier“ geändert. „Es grenzt ans Unglaubliche, welche Masse Hunde in Zimmern und Straßen herumlaufen und die Leute anfallen“, erregt sich ein Leser.

Der Berliner kam schon vor weit mehr als 200 Jahren auf den Hund. Und schon damals gab es zwei Lager: Für die einen ist der treue Begleiter ein Gottesgeschenk, für die anderen eine Stadtplage. Da gibt es kein Mittelding. Schon als Helfer des „Wilden Jägers“ über der Jungfernheide machte der Kläffer sich unbeliebt: „Es ist ein Bellen und Brausen in der Luft, ein Giff-Gaff und Gejuche, das einem die Haare zu Berge stehen“, schildert eine Berliner Sage den mitternächtlichen Geisterzug. Denn die Sauhatz war auch im Grunewald noch im 18. Jahrhundert des Hundes edelste Aufgabe, etwa am heutigen „Hundekehlesee“.

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Kleinere Exemplare durften schon damals auf den Schoß vor allem blaublütiger Damen hopsen. So herzte die Mutter Friedrichs des Großen, Sophie Dorothea, um 1750 im Schloss Monbijou ihre Haushunde vom Schlage Mops. Die Schmusekugeln entsprachen dem beschwingten Gefühl des Rokoko. Der „Alte Fritz“ nahm seine italienischen Windspiele sogar zu Feldzügen mit. Und er ließ seine tierliebe, 1758 verstorbene Schwester Wilhelmine in Sanssouci mit einem Bologneser-Hündchen im Arm in Stein meißeln.

Sahne! Sahne! Auch vor die Wagen der Milchmädchen waren damals Hunde gespannt.
Sahne! Sahne! Auch vor die Wagen der Milchmädchen waren damals Hunde gespannt.

© Repro: Tsp

Einige Jahrzehnte später entdeckte das aufstrebende Bürgertum den Hund. Dem Berliner Verleger Christoph Friedrich Nicolai missfiel das. Er beklagte 1781 die „alberne Gewohnheit vornehmer Leute, mit großen Kötern aus purer Nachahmungssucht spazieren zu gehen.“ In London mache das noch Sinn wegen der vielen Straßenräuberei, aber in Berlin? Auch die Obrigkeit reagierte genervt. Alle Hunde mussten nun angemeldet werden und eine Blechmarke tragen, um „das Publikum vor bissigen Tieren zu schützen“ sowie aus Furcht vor Tollwut. Andernfalls riskierten die Besitzer, dass ihre Vierbeiner, falls sie mal ausrissen, mit Knüppeln erschlagen wurden. Am sichersten sei es wohl, den Hund ständig an der Leine zu führen, machte sich der Grafiker Daniel Chodowiecki 1799 über die Polizeiverordnung lustig und karikierte elegante Menschen mit angebundenen Hunden. Titel: „Berlinische Folgsamkeit.“

Die Leidenschaft für den Hund nahm dennoch rapide zu. 1830 gab es etwa 6000 registrierte Schnauzen in Berlin. Im gleichen Jahr führte der Rat die Hundesteuer ein, vor allem, um Berlins ärmere Volksklassen zum Verzicht zu bewegen. Doch vergeblich. 1850 wurden knapp 10 000 Hunde gezählt. Darunter waren allerdings etliche, die nicht um ihre Herrschaft schwänzelten, sondern sich als Karrenhunde ins Zeug legen mussten. Sie waren die Zugpferde des kleinen Mannes, schleppten Fleischer- und Scherenschleiferwagen oder trabten vor den Karren der Milchmädchen in die Stadt. Der Berliner Künstler Heinrich Sperling hat sie gemalt. „Bummler und Arbeiter“ heißt sein Bild über die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Hunde: Ein Windspiel und ein Mops beäugen zwei müde größere Artgenossen vor einem Lumpenwagen.

Ab 1926 machte der Hund auch in der Werbung Karriere

Berlin wuchs in den Jahren der Industrialisierung, der Hund wurde mehr und mehr zum Kumpel. Damit waren die Großstadt-Tölen auch in den Hinterhöfen der Mietskasernen mittenmang. Keiner hat das so humorvoll festgehalten wie Heinrich Zille. Berlin ohne Hunde? Da hätten ihm die Spaßmacher gefehlt. Kinder setzen auf seinen Bildern ihrer Promenadenmischung beim Hoffest Kaspermützen auf, ein Terrier flitzt vor dem Kinderwagen „ins Jrüne“, als würden die Würstchen für ihn gegrillt. „Vater bestellt die Weißen, Oma gibt dem Hündchen“, schildert Hans Ostwald in „seiner Kultur- und Sittengeschichte Berlins“ die Szene in den Ausflugslokalen um 1900.

Großstadttölen – hier vor der Tram. Gemalt von Heinrich Zille.
Großstadttölen – hier vor der Tram. Gemalt von Heinrich Zille.

© Stiftung Museumsdorf / Repro Tsp

So viel Gefühlswärme für den anpassungsfähigen Hausfreund brachte den Tierschutz voran. 1892 eröffnete Berlins erstes großes Tierasyl in den S-Bahnbögen an der Jannowitzbrücke. Makulatur waren da schon diverse Polizeiverordnungen, so die von 1860, wonach Hunde auf der Straße einen Maulkorb tragen mussten. Es hielt sich kaum jemand daran.

Stattdessen machte der Hund in der Werbung Karriere. 1926 kratzt ein Foxterrier in der „Berliner Illustrierten“ an einem Damenstrumpf: „Alle Mühe vergebens? Tramaxa Dauerseide“. Hundehalter hatten plötzlich eine Lobby.

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Zu Beginn der Weimarer Republik demonstrierte die erfolgreich gegen eine drastische Erhöhung der Hundesteuer. Und 30 Jahre später, am 2. Dezember 1950, besetzten Tierfreunde das West-Berliner Tierheim in Lankwitz. Alle dort behüteten 41 Hunde sollten zur Sicherheit eingeschläfert werden, weil zwei mit Tollwut infiziert waren. Das schien manchem übertrieben, die Besetzer schlossen sich ein und Polizei wie Amtsveterinäre aus. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Jeder Asylhund musste drei Monate lang tierärztlich beobachtet werden.

Welches Zusammengehörigkeitsgefühl viele Berliner mit ihren Hunden verband, hat der Korrespondent der „Stuttgarter Zeitung“ zur Zeit der Luftbrücke beschrieben. Lebensmittel waren knapp, Hundefutter sowieso. Dennoch schnellte die Zahl der Hunde 1948/49 um ein Viertel auf rund 60 000 hoch. Der Journalist erklärt das so: „Mancher kauft sich jetzt einen Seelentrost für die langen Abende in der stromlos-dunklen Bude. Der Seelentrost hat vier Beine und macht wau, wau. Manchmal heißt er ,Alte Töle’, aber das ist durchaus zärtlich gemeint.“

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