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Schuss in der Nacht. Wolfsbeobachter Stefan Waldner trug im "Polizeiruf 110: Wolfsland" einen illegal erschossenen Wolf zum Haus von Jagdpächterin und Schlossherrin Elisabeth von Taupitz. Wie in der Realität auch spaltet die Rückkehr der Wölfe die Dorfgemeinschaft in dem kleinen brandenburgischen Ort Kaskow.

© rbb/Oliver Feist

Polizeiruf 110: "Wölfe kommen nah an Dörfer heran"

Ein Film, viele Fragen: Wie viele Wölfe leben in Brandenburg? Wie scheu sind sie? Und war der Wolf im Film ein echter? Fragen an einen Experten nach dem „Polizeiruf 110“ .

Von Matthias Matern

Sebastian Koerner (50) begleitet als Biologe und Naturfilmer seit 2003 die Rückkehr der Wölfe in die Lausitz. Zuvor arbeitete er längere Zeit im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.

Herr Koerner, Sie begleiten seit rund zehn Jahren die Rückkehr der Wölfe in die Lausitz. Für den Polizeiruf 110 „Wolfsland“, der am Sonntagabend in der Lausitz spielt, haben Sie Aufnahmen von frei lebenden Wölfen gemacht. Wie nah kommen die im Ort aufgezeigten Spannungen, die durch die Rückkehr der Wölfe ausgelöst werden, der Realität?

Das ist natürlich eine rein gefühlsmäßige Antwort, aber ich finde, das kommt dem schon sehr nah. Am meisten Konfliktpotenzial birgt das Verhältnis Wolf und Jagd. Bei dem anderen großen Problemkreis Wolf und Nutztierhaltung kann man relativ gut eingreifen und die Verluste durch den Einsatz von Schutzzäunen und Herdenschutzhunden begrenzen. Dagegen gibt es einfach immer noch Jäger, die denken, das Wild gehört ihnen und die den Wolf ganz archaisch als Konkurrenten ansehen. Und dabei geht es natürlich auch ums Geld. Viele Jagdpächter und Grundstückseigentümer befürchten, dass ihre Jagdgebiete durch den Wolf an Wert verlieren, weil dieser so viele Tiere reißt. Das klingt zwar plausibel, doch seitdem der Wolf zurück in der Lausitz ist, haben die Jäger nicht weniger geschossen als vorher. Leider können oder wollen einige Menschen nicht von den Erfahrungen anderer lernen. Hier in der Lausitz gibt es junge Familien, die immer wieder vor die Presse geschoben werden, weil sie angeblich Angst davor haben, ihre Kinder im Wald spielen zulassen. Dabei lebt die Mehrzahl der Leute hier seit rund 14 Jahren mit den Wölfen problemlos zusammen. Die Leute gehen im Wald spazieren oder sammeln mitten im Wolfsrevier Pilze, wie früher auch.

Im Film spaziert ein Wolf am hellichten Tag mitten durch den kleinen brandenburgischen Ort Kaskow. Ich dachte, Wölfe seien sehr scheu. Haben Sie so etwas schon mal erlebt?

Grundsätzlich ist es in dem Film so, dass es sich in den Szenen, wo Menschen mit einem Wolf zu sehen sind, um einen trainierten Wolfshund handelt. Das ist eine Hunderasse, die dem Wolf sehr ähnlich sieht. Zudem spielt die Filmszene in der Dämmerung. Tatsächlich kommen wilde Wölfe unter Umständen auch nahe an Orte heran. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ein Wolf eine Straße entlangläuft. Wölfe nutzen grundsätzlich den gleichen Lebensraum wie das Wild. Aber wie ihre Beutetiere meiden sie direkte Begegnungen mit Menschen und sind vor allem nachts und in der Dämmerung aktiv.

Wie häufig werden Wölfe in Deutschland illegal geschossen. Haben Sie selbst schon mal ein erlegtes Tier gefunden?

Es gibt seit dem Jahr 2000 acht Fälle, die bekannt geworden sind. Entweder wurden verendete Tiere gefunden oder die Schützen haben sich selbst angezeigt. Eine Zeit lang ist etwa die sächsische Jägerschaft mit ihrer Ablehnung gegen den Wolf sehr intensiv in die Medien gegangenen. Wolfsfreunde hatten damals den Jägern vorgeworfen, illegal Jagd auf Wölfe zu machen. Daraufhin hatte der damalige Präsident des sächsischen Landesjagdverbandes gesagt, er lege für seine Jäger die Hand ins Feuer. Ich glaube, zwei oder drei Jahre später hat man dann aber eine fies angeschossene Wölfin aus dem Nochtener Rudel gefunden. Ich denke, nur wenige Fälle werden bekannt. Doch die Dunkelziffer ist vermutlich viel höher. Zumal sich die Tat recht gut verschleiern lässt. Unter wolfsskeptischen Jägern heißt es, wer einen Wolf schießen will, muss nur die drei S befolgen: schießen, schaufeln, Schnauze halten.

Mit welcher Strafe müssen die Täter rechnen?

Ohne Erlaubnis einen Wolf zu schießen ist keine Ordnungswidrigkeit. Es ist eine Straftat. Und die kann mit einer hohen Geldstrafe von 10 000 bis 20 000 Euro oder mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Außerdem ist man den Jagdschein los. Allerdings habe ich es noch nie erlebt, dass jemand fünf Jahre ins Gefängnis musste. Es ist wirklich ärgerlich, dass sich ein Schütze relativ sicher sein kann, dass er, wenn er erwischt wird, nicht die volle Strafe abbekommt. Die Ausrede, er hätte das Tier für einen Hund gehalten, reicht immer noch, um nicht empfindlich bestraft zu werden. Das ist unbefriedigend.

Was fasziniert Sie eigentlich so an den Tieren?

Wenn man häufig Wölfe beobachtet, stellt man fest, dass sie eigentlich ein ganz normaler Bestandteil der Natur sind. In unserer Gesellschaft werden sie entweder gehasst oder gehypt, aber im Wald gehören sie einfach nur dazu. Außerdem denke ich immer, ich habe einen Hund vor mir. Die Menschen haben den Hunden zwar kurze Beine oder Schlappohren angezüchtet, aber das Wesen des Wolfs haben sie nicht verändert. Wölfe sind weder hinterhältig, verschlagen noch aggressiv. Die oft angeführte, erbittert umkämpfte Rangordnung ist ausschließlich ein Phänomen, das auftritt, wenn man erwachsene Wölfe zwingt, zusammen zu leben. In Freiheit sind Wölfe füreinander sorgende Familientiere.

Hatten Sie jemals Angst?

Ehrlich gesagt nicht. Aber ich bin mal in Estland einer frischen Wolfsspur gefolgt und später auf dem Rückweg traf ich dann in einem unübersichtlichen Gelände auf die frische Spur eines Bären. Das ist eine ganz andere Nummer. Ich habe sofort angefangen zu pfeifen, um auf mich aufmerksam zu machen und den Bären nicht zu überraschen.

Wie gut waren die Macher des Polizeirufs „Wolfsland“ vorbereitet?

Mussten Sie bei den Filmarbeiten oft intervenieren? Erst Mal gehen da natürlich alle Alarmglocken an. Schon seit Jahren versuche ich, durch meine Filmaufnahmen ein objektives Bild zu vermitteln, wie die Wölfe sind. Dann ruft die Polizeiruf-110-Produktion an und will das Thema zu einem Sonntagabend-Krimi verarbeiten! Doch die Drehbuchautoren Rainer Butt und Ed Herzog, der auch Regie führte, haben sich eingehend über das Verhalten wilder Wölfe informiert - wie mir die Leiterin des Kontaktbüros Wolfsregion Lausitz erzählt hat. Weil sie eben von Anfang an keine negativen Klischees über die Wölfe verbreiten wollten. Als es dann darum ging, welche Szenen ich für Wolfsland einfangen kann, habe ich ihnen allerdings gesagt, dass man schon froh sein kann, wenn es überhaupt gelingt, die Tiere zu filmen.

Der Polizeiruf spielt in Brandenburg. Auch in Sachsen gibt es bekanntlich Wölfe. Wo noch?

Die Rückkehr der Wölfe wurde lange Zeit immer als exotisches Ostthema wahrgenommen. Doch das war vielleicht noch bis vor fünf oder sechs Jahren zutreffend. Jetzt merkt man plötzlich, es geht auch in Niedersachsen los. Dort gibt es mittlerweile drei Rudel mit vermutlich knapp 30 Tieren. Auch in Schleswig-Holstein gibt es bereits Wölfe. Insgesamt gibt es bundesweit mittlerweile 25 Rudel. Das Einzige, was die Wölfe wirklich brauchen, sind ausreichend Hirsche, Rehe und Wildschweine. Und die gibt es in unserer Kulturlandschaft so viel wie nie zuvor. Einer Modellrechnung des Bundesamtes für Naturschutz zufolge könnten in Deutschland bis zu 400 Rudel leben. Ich glaube zwar, dass es Wölfe in ländlichen Gebieten, wo private Jagdreviere dominieren, sehr schwer haben. Aber sie werden es mit Sicherheit überall versuchen.

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