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Gefesselt mit den Ringen. Für den Berliner Bär ist Olympia nichts, meint unser Autor.

© dpa

Berliner Bewerbungspläne: Olympia ist zu groß für diese Zeit!

Die Befürworter einer Olympiabewerbung sagen: Berlin braucht eine Idee, eine große Geschichte. Damit die Stadt auch morgen große Geschichten schreibt. Das kann doch nur eine Horrorstory werden.

Vielleicht liegt es daran, dass ich aus dem Ruhrgebiet komme. Vielleicht liegt es daran, dass ich – geboren 1984 – mein Leben lang in den Zeitungen meiner Heimat vom Aufstieg und Fall monumentaler Ideen gelesen habe; dass ich die redselige Euphorie über „Strukturwandel“ und „Leuchtturmprojekte“ stets langsam habe übergehen sehen in das Totschweigen von Misserfolg. Sei es nun, dass Projekte auf der Strecke scheiterten oder dass die an ihre Fertigstellung geknüpften Erwartungen sich kaum oder gar nicht erfüllten. Vielleicht habe ich zu hautnah mitbekommen, wie sich in dieser Zeit das (eher behagliche, etwas melancholisch-rückwärtsgewandte) Lebensgefühl einer Region vom rastlosen Zukunftswillen ihrer Macher abgekoppelt hat.

Nun ist Berlin – zum Glück! – nicht das Ruhrgebiet, für melancholische Rückwärtsgewandtheit fehlt es den Menschen hier an Zeit, Temperament oder beidem. Und um die Dinge endlich beim Namen zu nennen: Olympia könnte, Privatisierung der Gewinne hin, Kommunalisierung der Kosten her, ökonomisch für Berlin bestimmt Sinn ergeben. Die Jugend der Welt ist zahlreich, ihr Geld duftet, und neue Sportstätten sind ja immer was Schönes, zumindest für Sportler.

Mich wundert eher, dass man überhaupt glauben kann, Berlin könne auch nur in die Nähe dieses Ziels gelangen. In der vagen Hoffnung auf eine ferne Zukunft wird einer von Großprojekten traumatisierten Stadt das Großprojekt aller Großprojekte angetragen. Dass die Menschen, die hier leben, es annehmen und zum Erfolg machen, erscheint so realistisch wie die Hoffnung, dass die Kaufkraft im Ruhrgebiet durch das stetige Errichten von Einkaufszentren endlich wächst.

Das Ganze muss, vermute ich, irgendetwas mit dem Selbstbild zu tun haben. Ebenso wie die Städte im Westen nicht akzeptieren können, dass sie keine Orte des Wachstums mehr sind, scheint es für Berlin unerträglich, dass nach Teilung und Aufbruch nun kleinere Zeiten anbrechen – oder längst angebrochen sind. Vor allem brauche Berlin 2024, 35 Jahre nach dem Mauerfall, „eine neue Erzählung“, schrieb der hoch geschätzte Kollege Robert Ide im Tagesspiegel als wesentliches Argument pro Olympia. Damit steht er hier stellvertretend für all jene Berliner, die genau das zu glauben scheinen: dass man Berlin eine zentrale Erzählung verpassen muss.

Das Kleine ist heute das Große!

Aber: warum denn? Warum dieser Stadt, deren Größe zuletzt gerade aus ihrer Kleinteiligkeit erwachsen ist, etwas Großes verordnen? Braucht Berlin den Jahrhundert-Roman, wenn an allen Ecken vorzügliche Kurzprosa entsteht? Und wenn es ihn braucht, müsste er nicht aus einer dieser Ecken kommen – und nicht über Innenverwaltung und Landessportbund? Ist Berlins Zukunftsprojekt wirklich Olympia – und nicht eher, wie man die lebenswerte Gegenwart dieser Stadt klug ins Morgen verlängert? Mit vielen kleinen Projekten, mit Start-ups und Kunstorten, sozialem Ausgleich, Förderung von Initiative, neuen Modellen ökologischen und sozialen Zusammenlebens, wie sie andere Metropolen nicht bieten? Ich höre so oft, es brauche eine umfassende Idee für just jene Zeit, wenn die heutige „Szene“ weitergezogen und Berlin endgültig nicht mehr „cool“ ist. Wäre die Konservierung der Coolness durch Nachhaltigkeit nicht aber die beste Idee für Berlin?

Man kann mir nun an dieser Stelle mit lautem „Das reicht doch niemals!“ provinzielle Naivität unterstellen. Im Gegenzug brächte ich dann ins Spiel, dass es auch so etwas wie eine metropolische Naivität gibt. Das ist die Naivität, mit der die hier etablierten Vordenker verkennen, dass die Zeit der großen Stadtgeschichten vorerst vorbei ist. Und dass das auch kein Ja-Nein-Volksentscheid ändern wird. (Um daran zu glauben, dass gar eine detailreichere Einbeziehung der Berliner möglich ist, habe ich zu lange über die Piratenpartei berichtet.) Im Zeitalter des misstrauischen Bürgers muss die Verzweiflung schon überbordend sein, damit eine Region in guten wie in schlechten Tagen zu einem fernen Großereignis hält. In diesem Sinn: Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, übernehmt diese Erzählung! Bei euch, zu Hause, könnte daraus ein Märchen werden.

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