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Markierter Kreuzungsbereich, bidirektionale Radstreifen. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie Ihre Fotos von gut gestalteten Radwegen an leserbilder@tagesspiegel.de. - Foto: Paul Krueger (CC: BY 2.0)

© Paul Krueger

Infrastruktur: Wie gute Radwege für Berlin aussehen können

Berlin will eine Fahrradstadt werden, doch die Infrastruktur ist trotz mancher Verbesserungen mangelhaft. Wie gute Radwege aussehen können, zeigen andere Städte.

Der Radverkehr hat massiv zugenommen – nicht nur in Berlin. Viele Metropolen Europas und der Welt haben diese Entwicklung während der vergangenen 15 Jahre beobachtet und reagiert. Der enge Straßenraum in Großstädten wird neu verteilt, zugunsten von Radfahrern. In Städten mit einer starken Fahrradkultur hat sich dieser Wandel zum Teil schon vollzogen. Die überkommene, auf die Bedürfnisse des Kraftverkehrs zugeschnittene Infrastruktur wurde mit breiter Zustimmung verändert. Dazu zählt auch der Bau besserer Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Mitnahmemöglichkeiten im öffentlichen Nahverkehr oder eine grüne Welle für Radfahrer.

Anderswo verzögert politischer Widerstand umfassende Umgestaltungen von Straßen, denn am Ende können Parkmöglichkeiten oder ganze Spuren für den motorisierten Verkehr fehlen.

Der oft für selbstverständlich gehaltene Vorrang des Autos fällt weg. In den Ämtern setzt sich die Erkenntnis durch, dass man mit einer besseren Infrastruktur Menschen aufs Fahrrad bringt, die dies zuvor aus Angst vor dem Kraftverkehr vermieden haben. Wer täglich zur Arbeit radelt und dabei sicher und schnell ans Ziel kommt, erspart dem Gesundheitssystem Kosten. Radfahrer verschmutzen die Luft nicht und nehmen anderen Bewohnern der Großstadt wenig Platz weg.

Separierte Radwege mit Barrieren liegen im Trend

Viele Städte gehen bei der Planung von neuen Radwegen über die reine Markierung von Radstreifen auf der Straße hinaus. Im Trend liegen feste Barrieren zwischen den Spuren für Rad- und Kraftverkehr, die verhindern, dass Autos Radstreifen blockieren. In Kopenhagen reichen dafür Bordsteine von wenigen Zentimetern. In Städten mit schwächeren Radfahrertraditionen werden bepflanzte Streifen oder hohe Barrieren aus Beton errichtet, um die Autos fernzuhalten. Besonders fortschrittliche Städte bauen Brücken und Kreisverkehre für Fußgänger und Radfahrer. Ein Netz aus Fahrradschnellwegen bringt dort Pendler von der Peripherie ins Zentrum. Nachfolgend ein Überblick, was sich hier und anderswo bewegt.

London

Noch vor wenigen Jahren war London als „Radfahrerhölle“ gefürchtet. Vor zwei Jahren wurden innerhalb von zwei Wochen sechs Radfahrer zwischen Lastern und Bussen zerquetscht – eine erschütternde Serie. Heute macht die Stadt Schlagzeilen mit hohen Investitionen in ein Netz aus Fahrradschnellstraßen. An die Spitze der Bewegung hat sich der konservative Bürgermeister Boris Johnson gesetzt, selbst ein begeisterter Radfahrer. Johnson will London zur „weltbesten Fahrradstadt“ machen.

Superhighways für 220 Millionen Euro

220 Millionen Euro investiert die Stadt in den Ausbau von Fahrradschnellstraßen, die Pendler bequem vom Stadtrand in die City bringen und dort Gebiete mit hoher Beschäftigung vernetzen. Anders als in der ersten Generation der „Cycle Superhighways“ werden die neuen Wege nicht nur auf dem Asphalt markiert, sondern durch feste Barrieren vom Kraftverkehr getrennt. Und wer kein eigenes Fahrrad besitzt, kann im städtischen Verleihsystem eines von 5000 Rädern leihen.

Kopenhagen

Anders als bei der ersten Generation der Superhighways für Radfahrer werden nun bauliche Barrieren geschaffen, um den Kraftverkehr fernzuhalten. - Foto: Cmglee (CC: BY-SA 3.0)
Anders als bei der ersten Generation der Superhighways für Radfahrer werden nun bauliche Barrieren geschaffen, um den Kraftverkehr fernzuhalten. - Foto: Cmglee (CC: BY-SA 3.0)

© Cmglee

„Copenhagenize“ ist zu einem  Stichwort der modernen Stadtentwicklung geworden. Geprägt wurde es vom Fahrrad-Aktivisten Mikael Colville-Andersen, der weltweit Städte für neue Verkehrskonzepte berät.  36 Prozent der Bevölkerung fahren in Kopenhagen bereits mit dem Rad zur Arbeit, in Berlin sind es nur 13 Prozent. Die Stadt hat sich vorgenommen, diesen Anteil auf über 50 Prozent zu steigern. Baulich abgetrennte Radwege an Hauptverkehrsachsen gibt es in Kopenhagen schon lange, typischerweise zur Straße hin leicht erhöht und durch Bordsteine begrenzt. Der blau gefärbte Asphalt wird auch über Kreuzungen gezogen, um Autofahrer beim Abbiegen für den Radverkehr zu sensibilisieren. Deren Perspektive ist den meisten Autofahrern präsent, denn viele von ihnen sind selbst auf guten Radwegen groß geworden.

In Kopenhagen zeigen auch vermeintlich kleine Dinge, wie wichtig die Stadt das Radfahren nimmt. Schräg montierte Mülleimer erleichtern das Einwerfen aus der Fahrt.  Sensoren zählen die Radfahrer an einzelnen Wegpunkten und lösen eine grüne Welle aus. Für Colville-Andersen sind Fahrräder in Kopenhagen so selbstverständlich wie Staubsauger im Haushalt. Keine Kult-Objekt, sondern Gegenstände des täglichen Gebrauchs.

Amsterdam

In Amsterdam gibt es mehr Fahrräder als Einwohner. Das Fahrrad, tief in der niederländischen Kultur verwurzelt, ist in den schmalen Gassen der Grachtenstadt schneller als Autos, die hier wenig Platz haben. Das sieht für Besucher der Stadt zum Teil chaotisch aus, funktioniert aber ohne größere Unfälle. Fast alle Hauptstraßen haben eigene Fahrradspuren oder separierte Radwege, die durchgängig rot markiert sind, Mindestbreite 1,80 Meter. Allein zwischen 2012 und 2016 werden 57 Millionen Euro für die Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur in Amsterdam ausgegeben. Landesweit sollen 20 Schnellwege Pendler auch für längere Strecken aufs Rad locken.

Kopenhagen und andere Städte in Dänemark haben nicht nur eine hervorragende Infrastruktur für Radfahrer, sondern auch eine in Jahrzehnten gewachsene Kultur des Respekts gegenüber Radfahrern im Verkehr. - Foto: Tony Webster (CC: BY-SA 2.0)
Kopenhagen und andere Städte in Dänemark haben nicht nur eine hervorragende Infrastruktur für Radfahrer, sondern auch eine in Jahrzehnten gewachsene Kultur des Respekts gegenüber Radfahrern im Verkehr. - Foto: Tony Webster (CC: BY-SA 2.0)

© Tony Webster

Spektakuläre Architektur für Radfahrer ist zwischen Eindhoven und Veldhoven entstanden. Die kreisförmige Brücke nutzen am Tag 4.000 bis 5.000 Radfahrer, während 25.000 Autos unter dem Kreisel durchfahren. Elf Millionen Euro hat das schwebende Bauwerk gekostet, das Radfahrern und Fußgängern mehr Sicherheit gibt.

Portland, Vancouver - und wie sieht es in Berlin aus?

Portland

Niederlande. Zwischen Eindhoven und Veldhoven befindet sich diese kreisförmige Brücke für Fußgänger und Radfahrer. Unten passieren am Tag 25.000 Autos, während in der gleichen Zeit 4000 bis 5000 Radfahrer den Kreisverkehr nutzen. – Foto: Federation European Cyclists (CC: BY 2.0)
Niederlande. Zwischen Eindhoven und Veldhoven befindet sich diese kreisförmige Brücke für Fußgänger und Radfahrer. Unten passieren am Tag 25.000 Autos, während in der gleichen Zeit 4000 bis 5000 Radfahrer den Kreisverkehr nutzen. – Foto: Federation European Cyclists (CC: BY 2.0)

© Federation European Cyclists

Die Stadt im Bundesstaat Oregon gilt als die radfahrerfreundlichste Metropole der USA. Seit 1999 wurde dort eine Infrastruktur geschaffen, die man im Rest des Landes meist vergeblich sucht: Autofreie Brücken, kostenlose und überwachte Parkmöglichkeiten, ein großes Netz aus separierten Radwegen. An einer Steigung wird der Radverkehr sogar zweispurig geführt, damit keine Staus hinter langsamen Fahrern entstehen. Einzelne Ampeln haben Vorrangschaltungen und Diagonal-Querungen für Radfahrer. Schilder erinnern Rechtsabbieger an die Vorfahrt der Radler. 16 Prozent der Beschäftigten fahren in Portland mit dem Rad zur Arbeit, was von vielen Unternehmen mit Fahrradstellplätzen, Umkleideräumen und Duschen unterstützt wird. Bis 2030, so plant die Stadt, sollen die Bürger für ein Viertel aller Fahrten das Rad benutzen.

Vancouver

Klare Ansage: Dieses Wandgemälde stammt von einem Fahrradverleih, aber trifft zugleich das Lebensgefühl vieler Bewohner von Portland im US-Staat Oregon.
Klare Ansage: Dieses Wandgemälde stammt von einem Fahrradverleih, aber trifft zugleich das Lebensgefühl vieler Bewohner von Portland im US-Staat Oregon.

© Stefan Jacobs

Die Stadt an der Westküste Kanadas hat auf das schnelle Wachstum des Radverkehrs in den vergangenen Jahren reagiert. Wie in vielen Großstädten der USA haben sich auf den Hauptverkehrsachsen der Stadt die "Green Lanes" durchgesetzt, durch Barrieren getrennte Radstreifen auf dem Asphalt. In Vancouver hat man dafür Blumenkästen auf den Asphalt gestellt, an anderen Stellen hindern Betonplatten den Kraftverkehr am Wechsel auf die Radspur. Vancouver hat die neuen Green Lanes bidirektional ausgeführt, wodurch Fahrer unter Beachtung des Gegenverkehrs besser überholen können. Gleichzeitig entstand aber auch ein Bedarf an zusätzlicher Beschilderung, besonders an den Kreuzungen. Die Stadt macht geltend, dass sich durch die neuen Radstreifen auch das Sicherheitsgefühl der Fußgänger deutlich verbessert hat. Sie müssen sich den Bürgersteig nicht mehr mit den Radfahrern teilen.

Auch für Fußgänger erhöht sich die Sicherheit, da sie sich den Bürgersteig nicht mit Radfahrern teilen müssen. Der sehr breite Radstreifen ist bidirektional. - Foto: Paul Krueger (CC: BY 2.0)
Auch für Fußgänger erhöht sich die Sicherheit, da sie sich den Bürgersteig nicht mit Radfahrern teilen müssen. Der sehr breite Radstreifen ist bidirektional. - Foto: Paul Krueger (CC: BY 2.0)

© Paul Krueger

Was passiert in Berlin?

Im Langfristvergleich hat sich viel getan: Auf den Hauptstraßen sind bisher rund 180 Kilometer Radspuren markiert worden, das Netz aus beschilderten Routen (meist auf vorhandenen Straßen) wächst stetig, an Bahnhöfen gibt es weit mehr als 10 000 teils überdachte Abstellplätze. Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) spricht von knapp 14 Millionen Euro Ausgaben für den Radverkehr in diesem Jahr – wobei zur Wahrheit gehört, dass in den vergangenen Jahren viele baureife Projekte liegen blieben und der Radfahrerverband ADFC strengere Maßstäbe anlegt, weshalb er eher auf acht Millionen Euro kommt.

Fakt ist auch: Der Radverkehr wuchs in vielen Kiezen schneller als die Infrastruktur. Und was hier als Modellprojekte geplant wird – einzelne Grüne Wellen, Fahrradparkhäuser sowie eine kreuzungsarme Route aus dem Südwesten in die City – ist anderswo längst fertig und in ganz anderen Dimensionen umgesetzt worden. Außerdem lässt sich die Verwaltung ihre eigenen Erfolge kaputtmachen, indem sie beispielsweise Radspuren markiert, die Autofahrer oft ungestraft zuparken.

Separierte Radstreifen nach dem Vorbild der Green Lanes gibt es in Berlin nicht. Wo Markierungen für Radfahrer auf den Asphalt gepinselt wurden, können auch Autos ungehindert auffahren. Daneben gibt es das alte Netz aus den schmalen, zu 85 Prozent nicht mehr benutzungspflichtigen Radwegen auf den Bürgersteigen. Trotzdem ist es seit mehr als zehn Jahren erklärtes Ziel des Senats, den zunehmenden Radverkehr zu fördern.

Aktuell wird in Friedrichshain nach jahrelanger Verzögerung die Warschauer Straße umgestaltet. Am Ostkreuz soll mit der Errichtung eines Fahrradparkhauses mit 800 Plätzen ein Modellprojekt für den Radverkehr entstehen. Zum Vergleich: Das Fahrradparkhaus am Amsterdamer Bahnhof fasst 7.000 Plätze, bei einer Einwohnerzahl von 790.000. Gerade an diesem Bahnhof wurden in den vergangenen Jahren durch Neubauten an mehreren Stellen gefährliche Situationen geschaffen. Ein Radweg an der neuen Kynastbrücke fehlt, bei einer im vergangenen Jahr eröffneten Tunnel-Unterführung müssen Radfahrer unvermittelt auf eine verengte Fahrbahn wechseln.

Ein Online-Dialog des Berliner Senats sollte vor zwei Jahren Hinweise zur Sicherheit von Kreuzungen sammeln, doch die Aktion geriet mit mehr als 5.000 Hinweisen von Bürgern schnell zu einer Kritik am ganzen Berliner Radwegenetz.

Was meinen Sie: Fehlt Berlin ein Netz aus Fahrradschnellstraßen oder durch Barrieren separierte Radstreifen nach dem Vorbild der "Green Lanes"? Uns interessiert, was Sie als Leser darüber denken. Schreiben Sie einen Kommentar unter diesen Artikel oder senden Sie Ihre Fotos von guten oder schlechten Radwegen an leserbilder@tagesspiegel.de.

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