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Über den Globus geweht. Von der britischen Insel aus hat sich das Englische in den letzten Jahrhunderten zur weltweit wichtigsten Verkehrssprache gemausert. In Berlin gilt es, diese Realität im Werben um Fachkräfte anzuerkennen.

© dpa

Gegen die Provinzialität: Eine englischsprachige Universität für Berlin

Der weltweite Hype hilft nicht darüber hinweg: Berlin ist vielerorts noch zu provinziell – auch an den Hochschulen. Um langfristig wichtige Fachkräfte anzulocken, sollte eine der drei großen Unis ihre Verkehrssprache komplett wechseln.

Von Markus Hesselmann

Zum Studium nach England: Für Shanti Behari Seth wäre das naheliegend, wie für viele junge, gebildete Inder. Mit Großbritannien verbindet ihn ein historisch, kulturell und familiär begründetes Netzwerk. Und auch mit der Sprache hätte er es in England leicht.

Doch Seths Familie ist zwar nicht arm – aber eben auch nicht reich genug, um ihm das gewünschte Studium in England zu finanzieren. Der junge Mann entscheidet sich für Berlin, obwohl er kein Wort Deutsch kann und ihm die Deutschen als raues, nicht unbedingt gastfreundliches Völkchen geschildert wurden. Gleich am ersten Abend verläuft er sich heillos in der deutschen Hauptstadt. Er hat die Bahnhöfe Charlottenburg und Friedrichstraße verwechselt. Doch ein hilfsbereiter Passant hilft dem Verirrten und erklärt ihm – „in perfect English“ – wo es langgeht. Ein guter Start in der fremden Stadt.

Die Geschichte hat sich 1931 so abgespielt und ist Vikram Seths epischer Doppelbiografie „Zwei Leben“ über seinen indischen Großonkel und dessen deutsch-jüdische Frau entnommen. Was sich als Vorlage für große Literatur anbot, weil sich historisch wie persönlich dramatische Entwicklungen anhand dieser beiden Figuren erzählen ließen, könnte – und sollte – heute in Berlin endlich zum Alltag werden: Einwanderung aus Teilen der Welt, die traditionell eher mit den Kolonialmächten des 20. Jahrhunderts verbunden sind und deren Menschen es immer noch eher in deren Metropolen zieht.

Auch heute noch lebt es sich in Berlin – Klagen über steigende Mieten und „Gentrifizierung“ hin oder her – deutlich günstiger als in London. Das könnte ein Argument für Familien aus den wachsenden Mittelschichten jener Länder sein, ihren Nachwuchs zum Studium lieber hierher zu schicken.

Der Berlin-Hype allein reicht nicht

Deutschland braucht mehr Einwanderung, mehr Menschen, die als Fachkräfte in den Unternehmen arbeiten, mehr Menschen, die selbst Unternehmen gründen, mehr Menschen, die in die Rentenkasse einzahlen. Mit seiner globalen Anziehungskraft und hohen Lebensqualität kann in Deutschland vor allem Berlin im Kampf um die weltweit besten Köpfe punkten. Es reicht nämlich nicht, wie derzeit im Rahmen des Berlin-Hypes, hauptsächlich Künstler und Kreative anzuziehen. Die Stadt braucht Techniker und Betriebswirte, um wirtschaftlich voranzukommen.

Das Haupthindernis ist wohl die Sprache. Deutsch ist keine Weltsprache und wird es nie werden. Der Anreiz, Deutsch zu lernen, ist weltweit eher gering. Wenn wir dies ohne kulturellen Dünkel als Fakt anerkennen, wäre ein kluger nächster Schritt für Berlin, eine der drei großen Universitäten konsequent auf die Verkehrssprache Englisch umzustellen, das säkularisierte, dem Elfenbeintum entrissene Latein unserer Zeit, das auf Sicht in seiner Internationalität auch nicht von Chinesisch oder Spanisch verdrängt wird. Alle Vorlesungen und Seminare sollten auf Englisch angeboten werden. Ohne Sprachbarriere würden sich mit Sicherheit nicht nur Studenten, sondern auch ausländische Forscher und Dozenten noch öfter für Berlin entscheiden.

Trotz weltweiten Hypes um die Stadt ist Berlin immer noch nicht die internationale Metropole, die es zwei Jahrzehnte nach der Wende sein könnte. „Die Stadt ist voller Studenten“, schrieb der Amerikaner Clayton McCleskey, als er mit einem Fulbright-Journalismus-Stipendium in Berlin lebte, im Tagesspiegel. „Aber haben Sie mal in die Mensa der FU geschaut? Die Studenten sind praktisch alle weiß. Das kann so nicht weitergehen.“

Wie sehr provinzielle Muffigkeit gegenüber als fremd Wahrgenommenem auch im vermeintlich hippen Berlin des 21. Jahrhunderts noch verbreitet ist, beschreibt die Journalistin Hani Yousuf in ihrem Blog unter der Überschrift „Warum ich Berlin verließ und nach Karatschi ging“. Als gebildete und beruflich erfolgreiche pakistanische Frau sei sie meist als Exotin behandelt worden und habe eine komische Figur abgegeben im „arty- bourgeois Berlin“ sowie in den fast ausschließlich weißen Berliner Kiezen, in denen sie wohnte. Die Leute hätten sich nach ihr umgedreht. „Manchmal hätte ich mich am liebsten in einer Burka versteckt.“

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